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"Stuttgart 21 wird absichtlich verteuert"

Stuttgart 21 wird von der rot-grünen Landesregierung in Baden-Württemberg ausgebremst, sagt Thomas Bareiß, Vize der CDU-Landesgruppe. Er erwartet außerdem ein klares Bekenntnis des Bundes zu dem Projekt, für das sich die Bürger klar ausgesprochen hätten.

Thomas Bareiß im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 06.02.2013
    Tobias Armbrüster: Es wird wohl das Gesprächsthema heute in Berlin sein, mehrere Zeitungen sprechen heute Morgen von einem politischen Beben. Die Universität Düsseldorf hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan gestern Abend den Doktortitel entzogen. Sie werfen ihr vorsätzliche Täuschung durch Plagiat vor. Am Telefon ist jetzt Thomas Bareiß, er ist der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landesgruppe aus Baden-Württemberg im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Bareiß.

    Thomas Bareiß: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Bareiß, kann Annette Schavan weiter Bundesbildungsministerin bleiben?

    Bareiß: Also nun mal langsam. Ich glaube, es ist unumstritten, dass Annette Schavan große Leistungen hat als Ministerin. Wir sind in der Forschungspolitik so erfolgreich wie nie, geben 13 Milliarden Euro mehr aus in den nächsten vier Jahren für Forschung und Entwicklung. Ich glaube, hier sollten wir mal vorwegstreben, und ich denke, dass wir jetzt einfach mal abwarten müssen, was Annette Schavan sagt, und ich glaube, wir sollten hier nicht öffentlich ihr irgendwelche Ratschläge geben, ich schon gar nicht. Sie ist eine gute Ministerin und sie weiß am besten, was zu tun ist.

    Armbrüster: Aber wie wollen Sie das jungen Wissenschaftlern in Deutschland erklären, dass eine Frau, der von der Universität der Doktortitel wieder entzogen wird, dass die den Wissenschaftsbetrieb in Deutschland führen kann?

    Bareiß: Annette Schavan hat jetzt gesagt, sie wird gegen diese Entscheidung klagen. Das halte ich auch für richtig. Wenn man mal sieht, wie das Verfahren abgelaufen ist, war es höchst unfair. Es war sehr politisch getrieben, immer wieder wurden Dinge an die Presse lanciert, Behauptungen aufgestellt. Insofern halte ich mal auch das Verfahren für nicht gerade wissenschaftlich ausreichend und ich denke, man sollte hier auch mal abwarten, was jetzt weiter zu tun ist. Insofern denke ich mal, dass wir nicht irgendwie jetzt jemand verurteilen sollten, sondern abwarten sollten, was jetzt weiter passiert.

    Armbrüster: Das heißt, Sie glauben, der Fakultätsrat in Düsseldorf war unfähig, ein solches Urteil zu fällen?

    Bareiß: Ich kann das nicht beurteilen, weil ich selber nicht daran beteiligt war. Aber ich habe nur vieles mitbekommen, was darum herum gelaufen ist, und es wurden wie gesagt viele Dinge behauptet, es wurde viel lanciert. Es gibt auch viele andere Meinungen über die Doktorarbeit, die ebenfalls wissenschaftlich hoch anspruchsvoll sind, und insofern maße ich mir nicht an, hier ein Urteil zu bilden. Annette Schavan hat klar gesagt, dass sie mit dem Urteil nicht so einverstanden ist, dass sie dagegen klagen wird, und das halte ich auch für richtig.

    Armbrüster: Wie groß ist denn der Schaden, den diese Auseinandersetzung für die CDU anrichtet?

    Bareiß: Der Schaden ist vor allem für Annette Schavan sehr, sehr groß, und das finde ich einfach auch nicht in Ordnung. Deshalb stehen wir in der CDU hinter ihr, gerade auch die CDU im Südwesten steht hinter ihr, und wir warten jetzt ab, was sie auch dazu sagt.

    Armbrüster: Aber die CDU steht ja fast mitten im Wahlkampf.

    Bareiß: Das ist richtig. Aber trotzdem muss man Dinge, die einfach unfair abgelaufen sind und die nicht in Ordnung sind und wo es wie gesagt auch viele andere Meinungen in der Wissenschaft gibt, klar ansprechen. Und insofern liegt es auch an ihr zu sagen, wie es weitergeht.

    Armbrüster: Herr Bareiß, ein anderes, sehr unangenehmes Thema heute für die CDU, vor allem die in Baden-Württemberg, ist Stuttgart 21. Das Bahnhofsprojekt steht offenbar wieder zur Disposition. Aus dem Bundesverkehrsministerium und auch aus der Bahn sind Stimmen zu hören, die sich für ein Ende dieses Bahnhofneubaus stark machen. Wird es langsam Zeit, bei Stuttgart 21 die Notbremse zu ziehen?

    Bareiß: Also ich war sehr verwundert über die Stimmen, die aus dem Bundesverkehrsministerium kamen, und dass hier auch wiederum Papiere geschrieben wurden, die anscheinend sehr kritisch sind. Ich erwarte ein klares Bekenntnis vom Bund zu Stuttgart 21. Die Menschen wollen Stuttgart 21. Und deshalb war es auch richtig und gut, dass der Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer gestern sich klar und deutlich noch mal für das Projekt ausgesprochen hat und damit auch klargestellt hat, dass der Bund weiterhin mit im Boot bleibt.

    Armbrüster: Aber spricht nicht das Dossier, das ja aus dem Bundesverkehrsministerium gesickert ist, eine ganz andere Sprache?

    Bareiß: Dieses Dossier ist nicht offiziell. Es wurde geschrieben anscheinend von irgendeinem Referenten, der es wiederum an die Presse gespielt hat. Auch das ist ein Unding. Insofern: Ich kenne das Dossier nicht, ich habe es nicht gelesen und ich halte es auch für eigentlich nicht veröffentlichungsfähig.

    Armbrüster: Wer soll denn die Mehrkosten tragen, denn darum geht es ja vor allem jetzt in dieser aktuellen Kontroverse, dass Stuttgart 21 doch einige Milliarden teurer wird als ursprünglich angenommen?

    Bareiß: Man muss zunächst mal schauen, dass man diejenigen auch zur Rechenschaft zieht, die diese Mehrkosten auch tragen müssen, diejenigen, die dafür gesorgt haben, dass die Mehrkosten entstehen. Ich stelle fest, dass die Landesregierung alles daran setzt, dieses Projekt teurer zu machen. Es werden Fristen nicht eingehalten, es werden Termine verschoben, es werden die Anforderungen an das Projekt ständig erhöht, es wurde ein langwieriger Filderdialog eingeführt, und das möchte alles die grün-rote Regierung und…

    Armbrüster: Winfried Kretschmann sagt, er hält sich an den Volksentscheid des vergangenen Jahres.

    Bareiß: Ja, das sagt er. Aber er hat an allen entscheidenden Stellen im Staatsministerium und auch im Verkehrsministerium Stuttgart 21-Gegner gesetzt, die nur daran arbeiten, dieses Projekt teurer zu machen, und das ist, denke ich mal, auch der Hauptkostentreiber. Deshalb finde ich es auch sehr doppelzüngig von Herrn Kretschmann und auch von Herrn Hermann, dass sie hier ständig dieses Projekt verschieben, dieses Projekt teurer machen und dem Bund den schwarzen Peter zuschieben. Ich denke, hier muss man auch einmal ganz klar einfordern, von Seiten auch der Öffentlichkeit, dass die Landesregierung solche Verhinderungstaktiken endlich mal unterlässt.

    Armbrüster: Können Sie uns ein Beispiel nennen? Wo macht Herr Kretschmann Stuttgart 21 teurer?

    Bareiß: Beispielsweise bei dem Filderdialog. Es gibt ja einen weiteren Bahnhof oben am Flughafen und am Messegelände. Hier hat man einen sehr aufwendigen Filderdialog eingeführt, um die Öffentlichkeit einzubinden, um neue Anforderungen auch an diesen Bahnhof dann schlussendlich zu stellen. Aber die Landesregierung ist nicht bereit, diese Hunderte von Millionen Euro, die dann mehr auf das Projekt zukommen, zu tragen, und das ist ein Unding meines Erachtens.

    Armbrüster: Aber war es nicht von Anfang an klar, dass es sehr schwierig wird, ein solches Großprojekt gegen eine Landesregierung durchzuführen?

    Bareiß: Das war natürlich klar, natürlich! Aber trotzdem haben sich die Bürger auf Verlangen der grün-roten Regierung einheitlich für Stuttgart 21 ausgesprochen, auch die Bürger in Stuttgart im Übrigen, und deshalb sollte die Landesregierung sich auch dem Votum der Bürger stellen.

    Armbrüster: Und die Landesregierung soll auch die zusätzlichen Kosten zahlen?

    Bareiß: Also ich denke, da muss man einfach in einen Dialog treten. Ich finde es einfach nur unfair, auch von Seiten der grün-roten Regierung, hier ständig jetzt auch das Bundesverkehrsministerium anzugehen. Ich glaube, jetzt müssen wir schauen, wer dann die Mehrkosten trägt. Da ist die Bahn natürlich auch in erster Linie mit im Boot. Sie muss natürlich auch jetzt hier Farbe bekennen. Das tut sie meines Erachtens auch. Es gibt Fragen natürlich, die im Aufsichtsrat diskutiert werden müssen. Klar ist natürlich, dass ein solches großes Projekt immer wieder auch vor neuen Herausforderungen steht. Das sieht man ja auch an Projekten wie jetzt in Berlin oder auch in Hamburg die dortige Philharmonie. Ich denke, wir sollten jetzt alle daran arbeiten, dass dieses Projekt schnell umgesetzt wird, kostengünstig umgesetzt wird und dass wir dann auch das bekommen, was die Bürger wollen, nämlich Stuttgart 21.

    Armbrüster: Ich glaube, Herr Bareiß, viele Leute, die das von Anfang an beobachtet haben, haben den Eindruck, die Bahn hat sich das etwas schön gerechnet.

    Bareiß: Das kann ich nicht beurteilen. Ich habe das Verfahren auch der letzten drei Jahre, die ganzen Gespräche mit der Bahn verfolgt. Ich habe den Eindruck gehabt, dass natürlich hier eine sehr hohe Emotionalität darin steht, dass viele Behauptungen aufgestellt wurden und natürlich wie gesagt bei so einem Projekt immer es Unwägbarkeiten geben kann und natürlich auch Gelder mehr fließen müssen.

    Armbrüster: Ja, Herr Bareiß, aber es ist doch irgendwie immer das gleiche bei allen diesen Großprojekten: Am Anfang steht eine Zahl, von der viele sagen, die ist viel zu niedrig, aber die Projektbefürworter sagen, nein, so geht es, und nach ein, zwei Jahren merken wir, nein, irgendjemand muss ein paar Milliarden mehr zahlen.

    Bareiß: Deshalb muss man auch ganz klar natürlich der Bahn die Fragen stellen, die gestellt wurden, und die müssen auch beantwortet werden. Und wenn es dann dort entsprechende Probleme gibt, dann müssen auch die Personen zur Rechenschaft gezogen werden. Es wurden Puffer eingebaut, man hat von vornherein klar gesagt, auch im Dialogverfahren von Heiner Geißler, dass man entsprechend hier mit Mehrkosten auch eventuell rechnen muss, wenn man auch entsprechend höhere Anforderungen stellt. Die sind alle berücksichtigt und jetzt erwarte ich einfach, dass das Projekt Stück für Stück umgesetzt wird.

    Armbrüster: Wie viele Milliarden mehr für Stuttgart 21 dürfen es denn sein?

    Bareiß: Ich denke, das kann keiner sagen. Wie gesagt, es gibt klare Grenzen, die hat man vereinbart, es gibt Vertragspartner …

    Armbrüster: Warum kann das keiner sagen?

    Bareiß: Es gibt Vertragspartner, die müssen das untereinander ausmachen, wie es entsprechend auch getan wurde, und entsprechend müssen die das auch entsprechend dann tragen. Ich sehe hier die Bahn in der Verantwortung und die Bahn hat einen Vorstand, der entsprechend hier Verantwortung trägt, einen Aufsichtsrat, der prüft, und das sind die Gremien, die das entsprechend auch dann beschließen müssen.

    Armbrüster: Aber die Rechnung ist nach oben offen, da gibt es kein Limit?

    Bareiß: Wissen Sie, es gibt so viele Unwägbarkeiten bei so einem Projekt. Wie gesagt, das sieht man auch bei anderen Großprojekten. Ich kann das nicht beurteilen heute, was hier 100 Millionen Euro kostet, was hier 50 Millionen Euro kostet. Wenn man allein für Umsetzung von Bäumen im Stadtgarten, die ja von den Bahnhofsgegnern erwartet werden, 400.000 Euro pro Baum zahlt, glaube ich, dass durchaus in diesem Projekt Luft ist, um Geld zu sparen.

    Armbrüster: Live hier heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk war das Thomas Bareiß, der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg im Deutschen Bundestag. Besten Dank für das Gespräch, Herr Bareiß.

    Bareiß: Dankeschön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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