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"Subventionsbedarf ist natürlich gigantisch"

Die Energiewende wird viel Geld kosten und muss finanziert werden. Folglich werden die Preise tendenziell steigen und Verbraucher und Industrie belastet, sagt Michael Vassiliadis, der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie.

Michael Vassiliadis im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 02.07.2011
    Jürgen Zurheide: Das war der Bericht von Christoph Hoffmann über einige Details dieser Energiewende, die natürlich hier noch verschiedene Fallstricke beinhaltet. Da ist a) die Frage nach der Energiesicherheit – wird Energie dann zur Verfügung sein, wenn wir sie alle brauchen? –, und zweitens natürlich die Preise und die Kosten, auch das ist gerade angesprochen worden. Über alles wollen wir reden, ich begrüße am Telefon jetzt Michael Vassiliadis, den Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Guten Morgen, Herr Vassiliadis!

    Michael Vassiliadis: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Zunächst einmal Sicherheit: Der eine oder andere hat im Vorfeld dieser erneuten Energiewende, muss man sagen, mit einer Art Blackout nicht gerade gedroht, aber mindestens mit dem Gedanken daran gespielt, um auch ein Stück, ja, vielleicht Angst und Panik zu verbreiten. Was war das? Ist das ein reales Risiko oder ist das Panikmache von interessierter Seite gewesen aus Ihrer Sicht?

    Vassiliadis: Also ich denke, dass natürlich in dieser Auseinandersetzung auch ein bisschen mit den Säbeln gerasselt wurde, aber es ist Realität, dass ein solches Netz der Stromversorgung eine gewisse Stabilität braucht. Das hängt davon ab: Wie sicher sind die Erzeugungskapazitäten, also das Einspeisen von Netz? Es ist aber auch so, dass die Abnehmer sehr stabil und sicher dieses Netz stabilisieren müssen, und beides muss beachtet werden. Und wenn man Kapazitäten herausnimmt, wie zum Beispiel durch das Abschalten jetzt der kerntechnischen Anlagen, dann sind die Reserven geringer, und bisher hat es keine Instabilitäten gegeben, das ist aber kein Argument, dass das für alle Zeiten so bleibt. Man muss das ernst nehmen und im Blick behalten, aber sicherlich ist da auch technisch noch einiges zu machen. Also insofern ist es etwas, was wir nicht kennen in Deutschland, Netzinstabilität, und auch nicht kennenlernen sollten, und deswegen müssen wir daran arbeiten.

    Zurheide: Jetzt gibt es ja verschiedene Probleme, zum Beispiel mit neuen Kohlekraftwerken, a) sind sie politisch umstritten, beim CO2-Ausstoß ist man sich auch nicht ganz sicher – oder man ist sich sicher, wie das wirkt und das passt nicht in die CO2-Bilanz –, und drittens gibt es aktuell so ein Problem mit dem Stahl bei einigen Kohlekraftwerken. Können die denn die Lücke füllen, oder haben Sie da inzwischen Sorgen?

    Vassiliadis: Na ja, wir brauchen ja insgesamt eine Möglichkeit, durch fossile Energieträger möglichst CO2-arm die Lücken, die jetzt entstehen beim Ausstieg aus der Kernenergie, für eine gewisse Zeit lang auszugleichen.

    Zurheide: Geht denn das, passt das zusammen, gerade CO2-arm, wie Sie sagen?

    Vassiliadis: Ja, das kann zusammenpassen. Man muss ja erst mal sehen, dass man sich wirklich den realen CO2-Ausstoß zum Beispiel der Kohle- und Gaskraftwerke anschaut, und da ist natürlich allein der Ersatz von uralten Kraftwerken durch ganz moderne effiziente, am besten noch mit Kraft-Wärme-Kopplung, die Wirkungsgrade von 90 Prozent erreichen, ist ein Beitrag, Tonnen an CO2 aus der Welt zu bekommen, ohne dass man diese Technologie jetzt problematisch zählen muss. Also da sind Reserven drin. Der zweite Punkt ist: Wir wollen es ja nicht auf ewige Zeit tun, sondern im Zuge des Ausbaus erneuerbarer Energien kann man Zug um Zug eben dann auch Kohlekraftwerke und Gaskraftwerke aus dem Netz nehmen. Es geht nur nicht alles gleichzeitig, und das ist glaube ich der wichtigste Impuls. Da gibt es einige, die tun so, als könne man sowohl aus der Kernenergie als auch aus den fossilen Energieträgern gleichzeitig und schnell heraus. Das halte ich für eine Illusion. Im Moment ist es beim Zubau so, dass es Projekte gibt aus der Vergangenheit, die sind wichtig und die sind auch im Zuge der Modernisierung des Kraftwerksparks unbedingt und dringend notwendig. Da gibt es ein paar Probleme, nicht nur bei einem Kraftwerk, sondern es gibt eine neue Technologie, die im Zuge eben einer Modernisierung von Kesseln und von Technologie auf dem Weg ist, und mit der gibt es weltweit Schwierigkeiten, auch in Deutschland, sodass es zu Verzögerungen kommt bei der Inbetriebnahme neuer Kraftwerke. Das hat mit der Energiewende gar nichts zu tun, ist aber trotzdem jetzt natürlich problematisch, und es wird da mit Hochdruck dran gearbeitet, das Problem zu lösen.

    Zurheide: Was heißt denn das für die Preise der CO2-Zertifikate, damit wir uns diesen Preisthema mal nähern? Alle sagen voraus, dass natürlich über die gestiegenen Preise für die CO2-Zertifikate am Ende auch die Preise steigen werden. Das ist schwierig sowohl für die Industrie aber auch für die Verbraucher. Oder ist jetzt meine Argumentation falsch?

    Vassiliadis: Zunächst einmal gibt ja zumindest jeder jetzt zu, dass die Energiewende nicht kostenlos sein wird. Da gibt es zwei Elemente, das eine: Es gibt riesige Investitionsbedarfe, die müssen erst mal finanziert werden, und natürlich, wenn das alles auf dem Weg ist und erfolgreich ist, gibt es dann irgendwann natürlich auch Rückflüsse durch die erneuerbaren Energien, beispielsweise, weil eben im Bereich der erneuerbaren Energien keine Brennstoffe einzusetzen sind, aber dazwischen gibt es eine Menge Zeit und dazwischen gibt es eine Menge Finanzierungsbedarf. Das ist das eine. Das Zweite ist das, was Sie gerade gesagt haben: Durch das politische CO2-Regime in Europa ist der CO2-Ausstoß gedeckelt und wird durch Zertifikate gehandelt, und wenn man natürlich Kernkraft aus diesem System herausnimmt, das CO2-frei ist, dann verknappt man natürlich diese Mittel, und das führt zu steigenden Preisen an den CO2-Märkten. Beides wird dazu führen, dass tendenziell die Energiepreise steigen, die schwanken allerdings, weil es an der Börse gehandelt wird. Im Moment kann man diesen Effekt noch nicht erkennen, den gab es ganz kurz nach Fukushima, es hat sich aber wieder stabilisiert. Langfristig wird es aber der Fall sein, und das ist sowohl für die Verbraucher, wie Sie es gesagt haben, als auch für die Industrie eine Belastung, und darüber muss man zunächst einmal ehrlich und transparent reden.

    Zurheide: Wenn Sie jetzt sagen, da muss man ehrlich und transparent reden, haben Sie natürlich im Blick, dass man da etwas tun muss. Jetzt fürchten viele, dass es da einen Subventionswettlauf geben wird, vielleicht sogar geben muss. Was verlangen Sie?

    Vassiliadis: Ja, man kann nicht zwei Dinge gleichzeitig tun, darüber muss sich auch die Politik im Klaren sein. Man kann nicht allgemein gegen Subventionen sein – Subventionen bedeutet ja bei neuen Technologien, das gibt es in allen Ländern, dass man das, was man politisch will, beispielsweise die erneuerbaren Energien, fördert, das ist ja auch in den vergangenen Jahren in Deutschland passiert –, ...

    Zurheide: Übrigens bei der Atomkraft auch, massiv.

    Vassiliadis: Natürlich, bei der Atomkraft, das hat es sozusagen in fast allen Bereichen gegeben, weil natürlich allein der Markt diese Versorgungssicherheit und diese Produktionskapazitäten, die man in Reserve braucht – darüber haben wir gesprochen –, nicht automatisch zur Verfügung stellt. Also in der Regel wird fast in allen Ländern der Welt die Energieerzeugung subventioniert in irgendeiner Art und Weise. Dieser Subventionsbedarf bei den Erneuerbaren ist natürlich gigantisch, insbesondere in dieser Phase der Investition und des Aufbaus. Das ist das eine, und da muss man natürlich aufpassen, dass man es auch nicht überspannt und auf Dauer ohne Marktgängigkeit macht, aber auf der anderen Seite brauchen wir diesen Impuls. Die zweite Frage ist: Wer bezahlt ihn?

    Zurheide: Richtig.

    Vassiliadis: Und da haben wir in den letzten 20 Jahren uns sozusagen dran gewöhnt, dass die Finanzierung dieser Punkte sowohl bei der Wärme als auch bei der Elektrizität über den Verbrauch finanziert wird, also Ökosteuer, Sie haben es erwähnt, und CO2-Regime et cetera. Ich glaube, dass für dieses Megaprojekt Energiewende man darüber nachdenken muss, ob man das so machen kann, weil: Sie haben, sowohl, was die Industrie anbelangt, für die das Rohstoff ist und die Innovationen für diese Energiewende ja produzieren soll – und das kann man schlecht tun, wenn man vorne sozusagen übermäßig besteuert wird –, als auch für die Privathaushalte, wo viele Menschen überhaupt keinen Bewegungsspielraum haben, diese Zusatzlasten zu tragen, ... Da muss man darüber nachdenken, ob man bei diesem Megaprojekt aus dieser Logik aussteigt und beispielsweise einen Teil dessen über die Leistungsfähigkeit der Einzelnen finanziert, das heißt, über eine Abgabe, die eher am Einkommen orientiert ist als am Energieverbrauch.

    Zurheide: Was wünschen Sie da konkret oder was verlangen Sie konkret?

    Vassiliadis: Ich hatte in der Vergangenheit schon einmal als Stichwort eingebracht einen Klimacent, der soll nicht die völlige Ökosteuersystematik ersetzen, aber er wäre sozusagen ein Investitionsbeitrag. Man könnte das ja auch so konstruieren, dass man dann, wenn das Ganze Ertrag zurückbringt, das auch wieder zurückzahlt, dass man aber einen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit festgemachten Abgabenteil – wir haben das bei der Solidaritätssteuer ja auch gehabt, da war es nur nicht so konkret miteinander verbunden –, dass man jetzt eine solche Abgabe erhebt. Die Menschen sind sich einig, dass sie die Energiewende wollen, und dann, bin ich der Meinung, muss man diesen investiven Teil dann über eine solche Abgabe finanzieren.

    Zurheide: Das heißt aber, dass Sie untere Einkommensschichten weniger belasten als obere?

    Vassiliadis: Ja, absolut, und das hat damit zu tun, dass es heute schon so ist, dass verschiedene Förderprojekte einkommensschwache Gruppen zum Teil sehr lukrative Investitionsprojekte besser verdienender, beispielsweise beim EEG finanziert, und das ist natürlich bei dem jetzigen Niveau an Energiewende nicht mehr so zu machen, auch nicht mehr gerecht.

    Zurheide: Die Energiewende, sie wird noch viel Geld kosten und sie muss anders finanziert werden, das sagt zumindest Michael Vassiliadis, Chef der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie, hier im Deutschlandfunk. Ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch. Auf Wiederhören!