Archiv


Suche nach den Hintermännern der Anschläge von Istanbul

Doris Simon: In der Türkei wird immer noch nach den Hintermännern des Anschlags auf die zwei Synagogen in Istanbul gesucht. 23 Menschen starben am Samstag, mehr als 300 wurden verletzt, als am Morgen während des Schabbat-Gebetes zwei Autobomben von Selbstmordattentätern gezündet wurden. Die Polizei hat inzwischen mehrere Verdächtige, darunter auch zwei Frauen, wieder frei gelassen. Bei arabischen Zeitungen in London gingen derweil zwei Schreiben ein, in denen sich El Kaida zu den Anschlägen bekennt. Diese Bekennerschreiben werden noch geprüft. Am Telefon ist jetzt der Politikwissenschaftler Hüseyin Bagci von der Universität Ankara, guten Morgen.

    Hüseyin Bagci: Guten Morgen.

    Simon: Herr Bagci, gibt es denn Hinweise darauf, woher die Täter kommen?

    Bagci: Ja, wie Sie gesagt haben, nach den Angaben, die wir bisher erreicht haben, ist es so, dass alles auf El Kaida hindeutet, obwohl die türkische Regierung noch nicht eine offizielle Erklärung gemacht hat. Aber es ist sicherlich einer der größten Bombenanschlägen, die man in der modernen Geschichte der Türkei gesehen hat und höchstwahrscheinlich ist die Türkei jetzt auch ein Ziel von diesen internationalen terroristischen Organisationen. Und man geht davon aus, dass man auch in der Zukunft ähnliche Bombardierungen auch in anderen islamischen Staaten erwartet. Aber Istanbul bietet natürlich eine symbolische Bedeutung für solche terroristischen Aktivitäten, weil Istanbul nicht nur eine große Stadt ist, sondern auch ein Treffpunkt von vielen Kulturen, Religionen und Nationen. Und deswegen hat man durch diese Bombenexplosionen nicht nur der türkischen Bevölkerung, sondern auch der ganzen Welt eine Botschaft mitteilen wollen, dass der internationale Terrorismus doch auch die Türkei als Ziel gewählt hat.

    Simon: Herr Bagci, ich verstehe Sie so, dass man in der Türkei annimmt, die Attentäter kämen also von außen. Die Türkei unterhält ja mit Israel besonders gute Beziehungen.

    Bagci: Richtig.

    Simon: Wird das denn von der Bevölkerung auch gestützt oder gibt es da anti-israelische, anti-jüdische Tendenzen?

    Bagci: In der türkischen Geschichte gibt es normalerweise keine anti-semitischen, anti-jüdischen Bewegungen, obwohl man in den letzten 20 Jahren doch in der Türkei eine neue Tendenz zu beobachten hat, dass diese radikalen, islamistischen Gruppierungen sich formieren, die auch Zeitungen und Journale haben und dass es da doch einen Keim von anti-jüdischen Bewegungen gibt. Aber offiziell gesehen ist es natürlich ein ganz neues Phänomen für die Türkei. Was die Türkei besonders in den 90er Jahren gemacht hat, war eine strategische Partnerschaft mit Israel, besonders im militärischen Bereich, und die Türkei unterhält in der Tat sehr enge Beziehungen mit Israel, weil die Türkei in den 80er und 90er Jahren mit dem PKK-Terrorismus zu kämpfen hatte und Israel hatte der Türkei sehr viel Informationen für grenzübergreifende terroristische Aktivitäten gegeben. Deswegen hatte man in der Türkei bis vor kurzem große Sympathie für Israel, weil Israel zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika der Türkei in diesem Bereich sehr viel geholfen hatte.

    Simon: Herr Bagci, das ist die Politik. Wie hat sich denn zum Beispiel in Istanbul, Sie sprachen da von der Mischung der Kulturen, das normale Zusammenleben zwischen türkischen Muslimen und türkischen Juden gegeben?

    Bagci: Normalerweise hat man keine Probleme gehabt und wir haben in der Türkei diese Tradition, dass die Juden von Anfang an immer wieder von dem türkischen Staat, sei es das osmanische Reich und jetzt der moderne türkische Staat, immer wieder ein sehr positives Verhältnis. Die Juden sind auch normalerweise sehr glücklich, dass sie in der Türkei sind und in Istanbul leben. Aber wie gesagt, der Terrorismus, besonders nach dem 11. September, sucht natürlich besondere Plätze, wo man durch diese Attentate mehr Stimmen oder mehr Nachrichten haben kann und das war natürlich in Istanbul der Fall. Es war ein Fall in Istanbul gewesen, dass auf zwei Synagogen mehr oder weniger gleichzeitig ein Bombenanschlag verübt worden ist. Die Botschaft ist der ganzen Welt gegeben, das muss man sagen, und natürlich hat man auch in der Türkei, besonders unter der Bevölkerung, doch ein bisschen Angst jetzt. Aber weil die Türkei schon 20 Jahre mit terroristischen Aktivitäten gelebt hat, nimmt man das vielleicht auch mit Gelassenheit und man weiß, das es von außen gesteuert ist, dass es nicht aus den türkischen Organisationen kommt. Es ist in der Tat, und das ist auch meine Analyse, eine Aktion, die nicht nur von den Türken, sondern auch mit anderen, mit einer Einmischung von außen auf jeden Fall geschehen ist.

    Simon: Wird in der Türkei eigentlich auch der derzeit kursierende Vorwurf von israelischer Seite diskutiert, Europa sei mit seiner Politik, die, so die israelische Seite, eindeutig pro-palästinensisch sei, mitverantwortlich für solche Anschläge?

    Bagci: Ja, das ist schwierig zu sagen, aber wir wissen, dass es in Europa natürlich Sympathie für die Palästinenser gibt, in der Türkei gibt es die auch, ich würde auch das vielleicht betonen, dass die Politik von Ariel Scharon, was die Palästinenser angeht, auch in der Türkei keine Zustimmung findet, dass es nicht akzeptiert wird, dass man da mehr Sympathie für die Palästinenser hat. Aber das ist die politische Seite. Von der technischen Seite gesehen natürlich, hat die Türkei, wie es aussieht, auch jetzt mit Amerika, mit Israel, aber auch mit Europa in diesem Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu kämpfen. Man hatte auch die Erwartungen und ich gehöre auch dazu, dass diese Welle von Anschlägen auch langsam in Richtung Europa kommen würde. Es ist wie eine Welle, die in der islamischen Welt begonnen hat und es wird langsam auch die anderen Teile der Welt umfassen. Deswegen müsste man auf jeden Fall jetzt mehr miteinander kooperieren als früher. Aber ich würde die Meinung natürlich mit teilen, dass die Politik von Scharon natürlich große Antipathien für Israel hervorgebracht hat. Auch der Zeitgeist im Allgemeinen, jetzt nicht nur in der Türkei, aber auch in der ganzen Welt ist so, dass man durch diese Politik glaubt, dass Israel auch die Vereinigten Staaten von Amerika kontrolliert, dass die sehr einflussreich sind. Deswegen hat man so eine negative Meinung von Israel, aber das berechtigt natürlich nicht, dass unschuldige Leute dadurch umgebracht werden.

    Simon: Das war der Politikwissenschaftler Hüseyin Bagci von der Universität in Ankara. Vielen Dank für das Gespräch.

    Bagci: Danke.