Mittwoch, 01. Mai 2024

Archiv


Suche, Sehnsucht, Scheitern

Noch immer bleibt Europa für viele Menschen trotz Einführung einer gemeinsamen Währung und fallender Grenzen schlichtweg abstrakt. Auch und besonders im ländlichen Thüringen, möchte uns der Dramatiker Volker Lüdecke im letzten Teil seiner Europa-Trilogie unter dem Titel "Bauernstaat" erzählen.

Von Hartmut Krug | 16.02.2008
    Es soll vorwärts gehen, vom einst zum jetzt, vom Arbeiter- und Bauernstaat zur europäischen Wirtschaftsgemeinde, in Volker Lüdeckes von ostdeutschen Begebenheiten einige Jahre nach der Wende erzählendem Stück "Bauernstaat", dem 1999 entstandenen dritten Teil seiner "Europa-Trilogie".

    Die Menschen sind die alten, die Zeit ist neu: "Die DDR ist nicht mehr, Deutschland soll nicht mehr und Europa ist noch nicht", sagt der Geschäftemacher Bernhard Nitsch und macht wieder seinen Schnitt. Seine zynische Devise lautet: "Gerechtigkeit ist Stalinismus". Wie einst im Sozialismus steht Nitsch auch in der neuen Zeit auf der richtigen Seite und kennt die richtigen Leute. Ernst Böckwitz dagegen war und ist noch immer Großküchenkoch. Dass seine mittlerweile 85jährige Mutter Lisa ihren maroden ehemaligen Thüringer Bauernhof zurückerstattet bekommen hat, begeistert ihn wenig. Der 55jährige, die eigene Rente im Kopf, will nicht Bauer werden, seine Frau träumt von einer Weltreise und seine Töchter drohen, den Hof anzuzünden, wenn sie aufs Land ziehen müssten. Wunderbar die erste Szene, als Bild und Metapher, komisch, grotesk, sinnlich. Da jubelt die alte Frau, energisch schwankend auf dem morschen Dach des Hofes, auf dem "Gras über die Geschichte wächst": "Dem Groschengrab der DDR entstiegen, werden wir `gen Himmel fliegen". Mit dem alten Hof soll das neue Leben kommen, und Lisas Sohn Ernst soll Bauer werden wie seine Vorfahren. Lange wehrt sich Ernst, doch schließlich versucht er es, - und scheitert.

    Volker Lüdecke hat eine Typenkomödie geschrieben, die er eine "Komödie des Jammerns" nennt. Wobei hier nur wenig gejammert, aber umso mehr gesucht, gesehnt, geirrt und gescheitert wird. Die Umbrüche in der Gesellschaft führen zu radikalen Veränderungen im privaten Beziehungs-Leben, sagt uns der Autor und zeigt uns allerlei Verhaltensklischees. Das Bauernmilieu in diesem Denkstück bleibt dabei mehr Behauptung, als dass es sinnliche Basis bildet. Wer hier gesellschaftliche Realität sucht, wer hier über die Ossie-Wessie-Wende-Klischees hinaus Geschichte nicht versimpelt, sondern versinnlicht haben möchte, der ist im falschen Stück. Obwohl oder weil Volker Lüdeckes Stück geprägt ist von einem Heiner-Müller-Sprach-Sound. Jeder Satz eine Pointe, jeder Absatz eine tiefere Bedeutung. Das klingt trotz aller Lakonie oft ziemlich geschwätzig. Lüdeckes Figuren werden nicht entwickelt, sondern beredet, die gesellschaftliche Entwicklung wird nicht versinnlicht, sondern erklärt. Immerhin sind die unter Fototapeten mit aktuellen Landschaftsbildern gestellten wechselnden Räume von Bühnenbildner Wolfgang Reuter auf der oft bewegten Drehbühne von zugleich realistischer wie kunstvoller Klarheit. Regisseur Uwe Dag Berlin dagegen bläst Lüdeckes Volkstück zum großen Bilderbogen und kräftig-derben Kabarettspektakel auf. Die Böckwitzschen Töchter werden zu wilden, durchgeknallten Partykrachern, die mal chorisch und immer aggressiv den dicklich verklemmten Sohn von Nitsch peinigen, der Computer- und Waffenfreak ist. Wenn Ernst Böckwitz die Familie Nitsch zum Grillen in den Garten einlädt, um mit Bernhard ins (Geldgeber-)Geschäft zu kommen, dann wird das beim Regisseur eine überdrehte, grelle Szene zwischen Satire und überdeutlicher Bedeutung. Und die Kaufinteressenten für den Hof geraten dem Regisseur zu albernen Karikaturen fieser Wessis. Erst versucht es ein klampfender , schrecklich schlecht Schweizerdeutsch redender, auf dem Fahrrad daherkommender Rechtsradikaler, und später ein Naturfreak auf Selbstverwirklichungstrip, der mit zwei albernen, kurzberockten Frauen befreiten Sex sucht und vorführt.

    Die vielen szenischen Überdeutlichkeiten der laut überdrehten Inszenierung machen sie insgesamt langatmig und langweilig. Die kabarettistische Schrillheit der Inszenierung erstickt den lakonisch kompakten Bedeutungston des Autors und lässt den Spannungsbogen bald abbrechen. Wenn Ernst Böckwitz schließlich mit allem gescheitert ist, auch mit der Schweinemast mit europäischen Geldern, und wenn die alte Lisa gestorben ist, wenn schließlich Ernst Böckwitz von seiner Frau verlassen wurde, dann strandet er mit der (auf der Drehbühne hereinrollenden) Taxe auf dem Weg zum Flughafen. Was ihm bleibt, ist noch nicht einmal die geplante Sexreise nach Asien, sondern nur die aufgeblasene Sexpuppe im Koffer. Was wie ein Sinnbild für die Aufführung wirkt.