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Suchtmittel frei Haus

Wer es darauf anlegt, bekommt frei verkäufliche Suchtmittel in unbegrenzter Menge ins Haus. Das hat ein Versuch der Verbraucherzentrale NRW ergeben, die bei über 50 Internetapotheken versucht hat, große Mengen Schlafmittel zu bestellen - mit erschreckenden Ergebnissen.

Von Hilde Braun |
    30 von 50 Versandapotheken haben kommentarlos die gewünschte Menge Schlafmittel zugesandt. In einer Dosis völlig über dem Limit, dem fünffachen der empfohlenen Höchstmenge: 5 Packungen - insgesamt 100 Schlaftabletten - auf einen Schlag. Und das, obwohl die vermeintliche Kundin per E-Mail angegeben hat, dass sie chronisch unter Schlafstörungen leidet.

    Das gewünschte Medikament ist in solchen Fällen ungeeignet: Es ist nicht zur Dauereinnahme geeignet und macht süchtig. Regina Behrendt, ist Gesundheitsexpertin der Verbraucherzentrale NRW:

    "Die Apotheken sind verpflichtet zu prüfen, ob auch im Falle der Selbstmedikation dieses Medikament für diese Person geeignet ist und wenn das nicht der Fall ist, müssen sie unter Umständen auch die Abgabe verweigern."

    Doch das machten nur fünf der fünfzig Versandapotheken. Acht reduzierten immerhin die Bestellmenge. Auf die Anfrage der Kundin per E-Mail hielt nur jede zehnte Versandapotheke eine Antwort für nötig. Die anderen 90 Prozent ließen die Beratung außen vor: Sechs Apotheken versäumten auch den Hinweis, dass das Medikament nur kurzfristig einzunehmen ist.

    Auf Neben- und Wechselwirkungen wies nur jede vierte Apotheke hin; jede dritte verzichtete auf den Rat zu einem dringenden Arztbesuch. Und nur knapp 30 Prozent erkundigten sich nach der bisherigen Medikation. Völlig inakzeptabel für Regina Behrendt:

    "Ich glaube, dass unter Umständen Versandapotheken sich so interpretieren, dass sie nicht so sehr zur Beratung verpflichtet sind wie Vor-Ort-Apotheken, sondern nur auf den ausdrücklichen Wunsch des Kunden beraten, es aber weniger für ihre Pflicht halten, das auch zu betreiben."

    Christian Buse ist Vorsitzender des Bundesverbandes deutscher Versandapotheken und ist überrascht:

    "Man muss schon ganz ehrlich sagen, dass man da den Glauben an den eigenen Berufsstand verliert, wenn man sieht, das bestimmte Themen, die eigentlich auf der Agenda stehen, die extrem wichtig sind, von dem ein oder anderen überhaupt nicht wahrgenommen werden - anders kann ich es nicht benennen, und wie man dann dem Kunden 5 Packungen Betadorm zur Verfügung stellen kann, das erschließt sich mir nicht."

    Gleichzeitig ist er Apotheker und Inhaber einer großen Internetapotheke, hat dort von der vermeintlichen Bestellung der Verbraucherzentrale nichts gehört, will aber Aufklärung. Allerdings möchte er dazu Roß und Reiter genannt bekommen:

    "Es gibt ja zu diesem Test keinen Verfasser, und es gibt keine benannten Versandapotheken. Gerne bin ich bereit - auch sicherlich alle anderen Versandapotheken - da noch viel enger mit Verbraucherschutzverbänden und natürlich auch an einer Richtlinie zur Einnahme von diesen kritischen Arzneimittel zu arbeiten. Allerdings brauchen wir dazu den Input – wer konkret hat was gemacht."

    Der gleiche Wirkstoff – nur verschiedene Hersteller, selbst das ließ die Versandapotheken nicht stutzig werden, die Menge der bestellten Tabletten wurde auch hierbei nicht begrenzt oder überprüft. Zu lasch findet die Verbraucherzentrale NRW die Kontrollen - übrigens gleichermaßen bei großen und kleinen Versandapotheken. Möglicherweise spielt der Konkurrenzdruck eine Rolle, insgesamt gibt es 3000 Internetapotheken deutschlandweit. Regina Behrendt:

    "Eine Versandapotheke – eine große Versandapotheke funktioniert wie ein mittelständisches Unternehmen, das ist ein großer Lieferbetrieb, da ist die Bestellkette, die Logistik technisiert - automatisiert, man lebt davon, dass man größere Mengen absetzt, und da kann ausführliche Beratung gar nicht zielführend sein."

    Medikamentenmissbrauch ist damit Tür und Tor geöffnet – zumal die Anonymität im Internet eine Bestellung einfacher macht, weil es anonymer ist:

    "Deswegen bietet natürlich das Internet einen gewissen Anreiz, dass man da anonym bestellen kann, von zu Hause aus, ohne das andere Menschen das mitbekommen. Und zusätzlich besteht natürlich die Gefahr, dass man verleitet wird, sehr viel mehr zu bestellen, als man tatsächlich braucht, weil es eine Versandkostengrenze gibt, ab der man dann eben für die Zustellung nichts mehr zahlen braucht."

    Gegen Missbrauch ist allerdings auch die Apotheke vor Ort nicht gefeit: Schließlich kann man die gleiche Arznei auch nacheinander in verschiedenen Apotheken kaufen und damit skeptische Apotheker austricksen.