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Sudan-Kennerin mahnt westliche Unterstützung für den Südsudan an

Nach der nahezu einhelligen Zustimmung zur Abspaltung des südlichen Sudans vom Norden steht der Bevölkerung der wirtschaftliche und politische Aufbau bevor. Die Bedingungen dafür sind gut, sagt Marina Peters - wenn der Westen sich als verlässlicher Partner zeigt.

31.01.2011
    Jasper Barenberg: Deutlicher kann eine Wahl wohl kaum ausfallen. Fast 99 Prozent der Menschen im Süd-Sudan haben sich für einen unabhängigen Staat ausgesprochen, haben für einen unabhängigen Staat gestimmt. Offiziell verkündet ist der Ausgang der Volksabstimmung noch nicht, auf dem Tisch aber liegt das vorläufige Ergebnis. Von fast vier Millionen Wahlberechtigten wollten nur 45.000 an der staatlichen Einheit mit dem Norden festhalten. Dort hat Präsident Omar al Bashir schon versichert, die Abstimmung respektieren zu wollen. Zugleich gerät er wegen der absehbaren Teilung des Landes selbst unter Druck. – Über Chancen und über Risiken der Volksabstimmung der weiteren Entwicklung wollen wir in den nächsten Minuten mit Marina Peter sprechen. Sie arbeitet seit vielen Jahren im Sudan, leitet dort das Netzwerk "Sudan Focal Point Europe". Einen schönen guten Morgen, Frau Peter.

    Marina Peter: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Zunächst mal, Frau Peter, wer ist in Ihrer Organisation zusammengeschlossen?

    Peter: Es ist eigentlich ein Netzwerk unter dem Dach vom Weltkirchenrat und versammelt Kirchenräte weltweit, zum Beispiel auch die afrikanische Konferenz, und kirchennahe Nichtregierungsorganisationen - in Deutschland ist das zum Beispiel Misereor, Brot für die Welt, der Evangelische Entwicklungsdienst -, und im Mittelpunkt stehen die sudanesischen Kirchen.

    Barenberg: Und was machen Sie im Sudan, wie sieht Ihre Arbeit dort aus?

    Peter: Wir haben uns hauptsächlich konzentriert auf Friedens- und Versöhnungsarbeit. Sie wissen ja sicherlich, dass es noch viele Konflikte gibt. Es gab die Kriege, es gibt noch Krieg in Darfur, und wir versuchen, vor allen Dingen auf der Basis zu versöhnen und dann aber auch das, was die Basis will, weiter zu vermitteln in die höheren Ebenen. Und die ganze Frage von Selbstbestimmungsrecht, die ja jetzt letztlich zu dem Referendum geführt hat – und den Ausgang haben Sie ja gerade noch mal erwähnt -, das war auch im Mittelpunkt unserer Arbeit.

    Barenberg: Wenn wir uns jetzt die Zahlen des Referendums anschauen, das vorläufige Ergebnis, steht für Sie also fest, dass es bald schon zwei Staaten geben wird im heutigen Sudan?

    Peter: Ganz sicher. Am 9. Juli wird der neue Staat offiziell aus der Taufe gehoben, davon bin ich ganz fest überzeugt.

    Barenberg: Und auch davon, dass im Norden Bashir dieses Ergebnis anerkennen wird?

    Peter: Da hat sich so ein bisschen was geändert in der letzten Zeit. Ende letzten Jahres, wenn Sie mir da die Frage gestellt hätten, hätte ich nicht mit ja geantwortet, da sah es noch sehr so aus und so waren auch die ganzen Verlautbarungen von Seiten der Regierung im Norden, man werde nichts anderes als die Einheit anerkennen. Ich denke, inzwischen haben sie sich mit den Realitäten abgefunden, und ich gehe davon aus, dass sie das tatsächlich anerkennen.

    Barenberg: Lassen Sie uns über die Situation im Süden des Landes sprechen. Dort haben sich die Menschen ja lange als Bürger zweiter Klasse empfunden, als Schwarzafrikaner, diskriminiert, verfolgt von der arabischstämmigen Bevölkerung des Nordens, von den Politikern dort. Gibt es jetzt Aussicht auf eine bessere Zukunft für die Menschen?

    Peter: Es gibt auf jeden Fall Aussicht auf eine bessere Zukunft, aber lassen Sie mich vielleicht noch mal etwas sagen. Sie erwähnten eben, die Süd-Sudanesen hätten sich verfolgt gefühlt von der arabischstämmigen Bevölkerung des Nordens. Dem ist nicht so. Erstmal ist es sowieso so, dass es nur eine geringe Prozentzahl Arabischstämmige im Norden gibt, und zum anderen haben sich die Süd-Sudanesen nie von der Bevölkerung verfolgt gefühlt. Sie haben sich diskriminiert gefühlt durch die diversen Regierungen, und das natürlich dadurch, weil zum Beispiel die Sharia, das islamische Recht, eingeführt worden ist und weil schon vor kolonialer Zeit die einzige Erfahrung, die sie mit dem Norden hatten, war, dass sie das Sklavenreservoir für den Norden gewesen sind. Ich erwähne das deshalb, weil man sehen muss, dass es natürlich auf Dauer auch eine gute Nachbarschaft geben muss, dass es Versöhnung geben muss, und die Versöhnung zwischen der Bevölkerung im Süden und im Norden, die ist kein Problem. Das Problem ist, wie stellt sich die Regierungsform im Norden dar.

    Barenberg: Und welche Prognose wagen Sie dort? Es gibt ja Beobachter, die der Ansicht sind, dass sich das Regime festigen wird, gerade wenn es die Teilung akzeptiert.

    Peter: Davon geht das Regime selber auch aus. Die Regierungspartei ist allerdings auch in sich gespalten. Man ist in gewisser Weise in einer Zwickmühle. Eigentlich braucht man gerade für die Entwicklung des Südens stabile Verhältnisse im Norden. Gleichzeitig ist aber im Norden die Bevölkerung aus den gleichen Gründen eigentlich, aus denen auch die Süd-Sudanesen nicht zufrieden waren, auch nicht einverstanden mit dieser Regierung. Es hat gestern auch Proteste gegeben, zunächst von Studenten, Demonstrationen mit Verhaftungen. Man muss jetzt sehen. Die Opposition setzt im Moment noch auf Dialog mit der Regierung, aber wir haben in Süd-Kordofan, im Blunal, in Darfur vor allen Dingen – das darf man nicht vergessen, dass der Krieg da auch noch nicht beendet ist – viele Menschen, die wie die Süd-Sudanesen vorher gesagt haben, wir fühlen uns ausgeschlossen in dieser Gesellschaft, wir haben nicht die gleichen Rechte, wir sind nicht beteiligt, es gibt keine Entwicklung in unseren Landesteilen, und die fordern mehr Autonomie und auch mehr Reformen, demokratische Reformen.

    Barenberg: Der Süden wiederum ist ja politisch dominiert von der Partei, die aus der Befreiungsbewegung hervorgegangen ist. Wie gut sehen Sie die Chancen für eine demokratische Entwicklung dort, und zwar eine demokratische, die eine Regierung einschließt, aber auch eine politische Opposition?

    Peter: Da wird es jetzt sehr darauf ankommen, was die nächsten Schritte sind. Der Präsident hat schon ein Verfassungskomitee eingerichtet – es muss ja eine neue Verfassung ausgearbeitet werden -, und da gibt es schon Stimmen, die sagen, das kann ja nicht sein, dass das nur Leute von der Regierungspartei sind bis auf eine Ausnahme. Das ist ein bisschen so ein erster Testfall. Wenn es jetzt gelingt, dass man auch andere Parteien wie auch im letzten November auf so einer Allparteienkonferenz beschlossen einbezieht, dann fasst die Bevölkerung mit Sicherheit großes Vertrauen, dass es gut gehen kann. Aber das Ganze ist natürlich ein langwieriger Prozess. Wir dürfen nie vergessen, dass das neue Land, jetzt Süd-Sudan, aus 50 Jahren Bürgerkrieg kommt, und das ist ein langer Prozess. Aber die Chancen sind auf jeden Fall da, weil es viele, viele Leute gibt, die sagen, so etwas, was wir vorher hatten, das wollen wir nie wieder.

    Barenberg: Der Süden ist auch eine Region, Frau Peter, die unterentwickelt ist, die jedenfalls Schwierigkeiten hat mit Infrastruktur und ähnlichen Einrichtungen. Welche Möglichkeiten hat jetzt die internationale Gemeinschaft, im geteilten Sudan aktiv zu werden? Welche Möglichkeiten sollte sie nutzen?

    Peter: Auf jeden Fall darf die Aufmerksamkeit nicht nachlassen. Wir haben das ja häufig, dass es so eine temporäre Aufmerksamkeit gibt wie jetzt eben noch mal um das Referendum, und dann wenden sich viele wieder ab. Das war nach dem Friedensschluss 2005 auch so. Da gab es viele Versprechungen und von den vielen Versprechungen sind sehr viele auch nicht eingelöst worden. Der Westen und auch andere Länder müssen sich als verlässliche, dauerhafte Partner zeigen und sie müssen natürlich mitinvestieren in Infrastruktur, sie müssen mithelfen, dass vor allen Dingen die Landwirtschaft aufgebaut werden kann. Es gibt nämlich ganz riesengroße wunderbare landwirtschaftliche Flächen im Süden. Und es müssen vor allen Dingen Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden. Das heißt, man braucht Investitionen. Aber das Wichtigste ist wirklich verlässlich und dauerhaft.

    Barenberg: Deutschland ist ja neues Mitglied im UN-Sicherheitsrat und wird das für zwei Jahre bleiben. Kann die Bundesregierung einen ganz eigenen Beitrag leisten, soll sie das?

    Peter: Das mit dem eigenen Beitrag ist immer so eine Sache, weil was wir festgestellt haben ist, dass häufig Konkurrenzen bestehen und dass kein gemeinsames Vorgehen ist. Wir plädieren immer dafür, natürlich soll sich Deutschland auch engagieren in bestimmten Themenfeldern, wo Deutschland auch eine ausgesprochen gute Expertise hat, aber alles muss wirklich in gemeinsam abgestimmtem Vorgehen passieren, sonst arbeitet man eher gegeneinander als miteinander.

    Barenberg: Chancen und Risiken im bald wahrscheinlich geteilten Sudan. Wir sprachen darüber mit Marina Peter, sie leitet dort das Netzwerk "Sudan Focal Point Europe". Frau Peter, danke Ihnen für das Gespräch.

    Peter: Ich danke auch!

    Hintergrund: Der Sudan vor dem Referendum

    Politikwissenschaftler Volker Perthes zum bevorstehenden Referendum im Südsudan