Wiese: Können Sie mir erklären, warum eine UNO-Menschenrechtskommission eine Resolution ablehnt, die die Menschenrechtslage im Sudan kritisiert?
Baum: Das ist schwer vorstellbar, aber es geschieht immer wieder. Die Menschenrechtskommission hat eine strukturelle Zusammensetzung von Staaten, die den Menschenrechten nicht so verpflichtet sind wie beispielsweise die Europäer. Und es geschieht auch in diesem Jahr, das Brennpunkte der Besorgnis, Tschetschenien beispielsweise, nicht zum Gegenstand von Beschlüssen werden oder auch die Situation in Kuba, die sich in Sachen Menschenrechten in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert hat. Das ist eine Schwäche der UNO, dass es eben eine ganze Reihe von Staaten gibt und im Grund in der Menschenrechtskommission, die 53 Mitglieder hat, eine Mehrheit, die nur schwer zu gewinnen ist, ihre eigentliche Aufgabe wahrzunehmen, nämlich Advokat derjenigen zu sein, die unter Menschenrechtsverletzungen leiden.
Wiese: Aber welche politischen Interessen stecken denn Ihrer Meinung nach hinter der Ablehnung der Resolution?
Baum: Das ist ein uralter Konflikt, der dahintersteht, eine Solidarität der Afrikaner mit einem afrikanischen Land gegen die früheren Kolonialherren, die Europäer; das mag eine Rolle spielen. Man möchte sich nicht so gerne in die Karten schauen lassen, es soll die Einmischung eingegrenzt werden. Menschenrechtspolitik ist immer Einmischung. Auch meine Berichte sind Einmischungen gewesen, meine Reisen in den Sudan sind unangenehm gewesen für das Regime, weil ich mit Regimegegnern gesprochen habe und mit denen, die verfolgt werden. Das ist der politische Grund. Diese Regime, die es gibt, die sich durch Menschenrechtsverletzungen überhaupt über Wasser halten, haben es nicht so gerne, wenn die Wahrheit auf den Tisch kommt und die Berichte, die ich abgebe und meine Kollegen sind eben die wirklichen Fakten.
Wiese: Herr Baum, sagen Sie uns doch etwas mehr über die Menschenrechtslage im Sudan. Sie haben ja den Bericht, wie Sie sagten, verfasst.
Baum: Es war mein fünfter Bericht innerhalb von zwei Jahren. Die Menschenrechtslage, es gibt ja zwei Sudane, den Nordsudan, arabisch-muslimisch geprägt, dort ist die Regierung und es gibt einen Südsudan, afrikanisch geprägt, dort regieren die so genannten Rebellen. Beide erfüllen nicht die Normen der Menschenrechte. Im Norden gibt es eine Unterdrückung der Zivilgesellschaft, eine herausragende, omnipräsente Rolle der Sicherheitspolizei, wir würden sagen Stasi. Es gibt immer wieder Unterdrückung der Presse- und Versammlungsfreiheit. Im Süden gibt es so gut wie keine zivilen Strukturen. Das Land ist durch den Bürgerkrieg militärisch geprägt und fordert jetzt Autonomie, das heiß, es muss dringend eine Zivilgesellschaft aufgebaut werden. Menschenrechtspolitik ist eben nicht nur Kritik sondern wir alle müssen helfen, das Land in seinen Strukturen in die Lage zu versetzen, wirklich eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Über hundert Ethnien, ein riesengroßes Land, das größte Afrikas, das funktioniert nur, wenn sich die einzelnen Gruppen respektieren, Minderheiten toleriert werden. Sonst ist der Friedensprozess, der jetzt im Gang ist, auf Sand gebaut.
Wiese: Aber worum geht es denn bei diesem Bürgerkrieg überhaupt? Sind das in erster Linie wirtschaftliche oder religiöse Interessen?
Baum: Es ist eine Mischung. Aus meiner Sicht geht es darum, dass der Süden sich gegen die wirklich sehr sehr lang dauernde Dominanz des Nordens wehrt. Er möchte teilhaben an der politischen Macht und den Ressourcen des Landes, zu denen neuerdings auch Öl gehört. Es ist also eine Art Unabhängigkeitsbewegung noch im Rahmen des gleichen Staatsverbandes und dieser Krieg ist angeheizt worden durch die Ölfunde, die Hauptkonflikte finden dort statt. Bis vor kurzem noch unter unsäglichen Opfern der Zivilbevölkerung.
Wiese: Nun ist die UNO, Herr Baum, derzeit ohnehin in der Defensive. Die US-Regierung hat sich mit ihrem Irakkrieg über die Weltorganisation hinweggesetzt. Droht die UNO wirklich zunehmend irrelevant zu werden?
Baum: Im Sudan nicht. Erstens spielen die Amerikaner mit Unterstützung der Europäer und einiger Nachbarstaaten des Sudan eine durchaus konstruktive Rolle, sie zwingen die Kriegsparteien jetzt zu diesem Friedensprozess, der mit einigen ersten Ergebnissen begonnen hat und die UNO sieht diesen ganzen Prozess mit Wohlwollen. Es ist hier kein Gegensatz zwischen Amerikanern und UNO festzustellen. Die UNO wird und will auch, wenn der Frieden etabliert ist, eine herausragende politische Rolle im Sudan bei der Durchsetzung und Ausfüllung der Friedensvereinbarung spielen, das ist sehr positiv zu sehen und ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass im Sudan eben Frieden durch Demokratie entstehen kann. Es ist absolut falsch, anzunehmen, dass die Menschen dort zur Demokratie nicht fähig und willens seien.
Wiese: Das war der UN-Sonderberichterstatter für den Sudan, Gerhart-Rudolf Baum.
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