Eng stehen und sitzen die Menschen um den Platz, auf dem das Urteil vollstreckt wird. Männer vor allem, auch Kinder. Smartphones werden hochgehalten, als der Mann mit der schwarzen Kapuze zum Schlag ansetzt: Mit einem stumpfen Messer schlägt er auf den Arm des Mannes ein, der auf einem Holztisch fixiert wurde. Einmal, zweimal, wieder und wieder. Es dauert lange, bis der Arm durchtrennt ist.
Sie ist schwer zu ertragen, die Szene in dem Internetvideo, die die Bestrafung eines verurteilten Diebes in Saudi-Arabien zeigen soll. Doch solche Strafen sind völlig normal in dem Königreich zwischen Persischem Golf und Rotem Meer, das sich als streng islamischer, nicht-säkularer Staat versteht, dessen Rechtssystem auf der Scharia wahabitischer Auslegung basiert.
Körperstrafen: Stockhiebe, Amputation, Steinigung
Diebstahl wird mit der Amputation der rechten Hand bestraft. Auch andere Körperstrafen wie Stockhiebe werden regelmäßig vollzogen. Ehebruch wird mit Steinigung bestraft. Der prominente Blogger Raif Badawi wurde zu tausend Peitschenhieben und zehn Jahren Haft verurteilt, weil er den Islam beleidigt haben soll. Er hatte in seinem Blog "Saudische Freie Liberale" wiederholt die Regierung in Riad kritisiert. Vor wenigen Tagen wurde der aus Palästina stammende, staatenlose Künstler und Lyriker Ashraf Fayadh zum Tode verurteilt, weil er "vom Glauben abgefallen" sein soll. Bis Anfang November hat Saudi-Arabien in diesem Jahr laut "Amnesty International" schon mehr als 150 Todesurteile vollstreckt; die höchste Zahl seit 1995.
Viele Menschen erinnert dieses Vorgehen an das des selbst ernannten "Islamischen Staats". Auch die Terrormiliz verhängt drakonische Körperstrafen. "Der Spiegel" hatte die Strafen bereits Anfang des Jahres gegenüber gestellt und war zu dem Schluss gekommen: Sie sind nahezu identisch. Die "Neue Zürcher Zeitung" schrieb jüngst, es seien Prozesse wie der gegen Fayadh, die Vergleiche mit den IS-Extremisten provozierten. Deshalb würfen Kritiker dem Westen Scheinheiligkeit vor, weil er den IS zwar bekämpfe, aber zu den Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien schweige. In einem Artikel in der "NZZ am Sonntag" hieß es gar, der IS sei "gewissermaßen der böse Zwilling" Saudi-Arabiens.
"Verklag mich, Saudi-Arabien"
Der Regierung in Riad sind solche Vergleiche alles andere als Recht: Das Justizministerium plant nach einem Bericht der Nachrichtenagentur "Reuters", einen Twitter-Nutzer vor Gericht zu stellen, der Fayadhs Todesurteil mit den Strafen des IS verglichen hatte. Nicht gerechnet hat sie vermutlich mit den Reaktionen von Twitterern weltweit, die sich solidarisch mit dem nicht-identifizierten User erklären - und unter dem Hashtag #SueMeSaudi nun ebenfalls Vergleiche zwischen Saudi Arabien und dem IS anstellen.
Saudi-Arabien, eine "mittelalterliche, ISIS-ähnliche, barbarische Nation", schreibt zum Beispiel eine US-Amerikanerin mit dem Namen @Letha_Hughes.
"Schau in den Spiegel, Saudi-Arabien", heißt es bei @miniestmini, der sein Profilbild mit einer palästinensischen Fahne hinterlegt hat, "Du bist schlimmer als Daesh, die tun wenigstens nicht so, als seien sie etwas, das sie nicht sind." Daesh ist der im Arabischen gebräuchliche Name für die Terrormiliz IS. "Saudi-Arabien hat Kulturstätten zerstört, von deren Entweihung ISIS nur träumen kann", schreibt @HasHafidh, der als Standort Großbritannien und Kuwait angibt. "Saudi ist schlimmer als ISIS".
Peter Brookes, Karikaturist bei der britischen Zeitung "The Times", teilte über den Kurznachrichtendienst eine Karikatur, die er für die Samstagsausgabe der Zeitung gezeichnet hat, sie wird viel geteilt. Auf der einen Seite: ein Henker des IS. Auf der anderen: Ein Henker der Saudis. "Barbarischer Todeskult", steht über der linken, "Freund und Verbündeter", über der anderen Zeichnung.
Es ist der Vorwurf, auf den auch die NZZ Bezug genommen hatte: Der Westen behandele die Saudis anders als die Anhänger des IS, weil er auf die Monarchie angewiesen sei als Wirtschaftspartner und Öl-Exporteur. Wie es um die Menschenrechte stehe, sei da völlig egal.