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Saudi-Arabien
Menschenrechtsverletzungen als Nährboden für Terror

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) reist mit einer Wirtschaftsdelegation nach Saudi-Arabien. Die Nahost-Expertin von Amnesty International Deutschland, Ruth Jüttner, begrüßt, dass die Rüstungsindustrie nicht in der Delegation vertreten ist. Kritik übte Jüttner im DLF daran, dass der Minister Menschenrechtsverletzungen "hinter verschlossenen Türen" ansprechen wolle.

07.03.2015
    Die Amnesty-International-Expertin für den Nahen Osten, Ruth Jüttner.
    Ruth Jüttner, Amnesty-International-Expertin für den Nahen Osten. (dpa / Wolfgang Kumm)
    Amnesty International erwarte von Gabriel und der Delegation, dass konkrete Gespräche über inhaftierte Reformer wie Raif Badawi geführt werde, sagte Jüttner im DLF. Es gäbe in Saudi-Arabien Duzende von Menschenrechtsverteidigern, die in den letzten zwei Jahren zu extrem langen Haftstrafen verurteilt worden seien. "Es gibt kaum Spielräume für die Zivilgesellschaft."
    CDU und CSU hatten gefordert Waffen an die Region zu liefern, um sie im Kampf gegen den Terror zu unterstützen. Amnesty International sei darüber sehr bestürzt, sagte Jüttner. "Ich denke, dieses Argument, Saudi-Arabien sei ein Stabilitätsanker in der Region, geht fehl." Die Nahost-Expertin hält das für hochproblematisch, "wenn Länder, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, als Partner im Krieg gegen den Terrorismus sozusagen umarmt werden". Denn die schweren Menschenrechtsverletzungen seien praktisch der Nährboden, auf dem dann wieder solche Gruppen Fuß fassen würden.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist unterwegs nach Saudi-Arabien, wird heute dorthin fliegen mit einer großen Wirtschaftsdelegation. Allerdings ohne Vertreter der Rüstungsindustrie, das ist das eine Signal. Das andere Signal: Na ja, wie wird es denn um die Menschenrechte stehen, respektive um die Debatte? Wie offen wird er das ansprechen, oder wird er das nur hinter verschlossenen Türen ansprechen? Und vor allen Dingen, wie ist die Lage dort im Land? Einigermaßen katastrophal, das wissen wir aus den unterschiedlichen Berichten. Über all das wollen wir jetzt reden mit Ruth Jüttner von Amnesty International, die ich ganz herzlich begrüße. Guten Morgen, Frau Jüttner!
    Ruth Jüttner: Guten Morgen!
    Zurheide: Zunächst einmal, gibt es vielleicht so eine Art Arbeitsteilung? Amnesty International trommelt, wir hören Sie heute Morgen, wir haben auch verschiedene Nachrichten schon gehört, wo Sie kräftig auf die Menschenrechtslage hinweisen, und Sigmar Gabriel bleibt dann eher etwas still und macht Geschäfte. Ist das eine Arbeitsteilung, die verabredet ist?
    Jüttner: Nein, wir haben solche Verabredungen nicht. Ich glaube eher, dass die Öffentlichkeitsarbeit und der Druck, der dadurch entsteht, dass die Menschen eben auch ausdrücken, dass sie empört sind über die schweren Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien, dazu beitragen, dass Politiker - ob das Herr Gabriel ist oder andere -, die in Länder wie Saudi-Arabien reisen, dann natürlich unter Druck sind, sich nicht wegzuducken, sondern auch solche Themen anzusprechen und die saudi-arabischen Verantwortlichen darauf zu drängen, die Lage zu verbessern.
    "Öffentlichkeit hat Druck gemacht"
    Zurheide: Immerhin haben wir vorhin von unserem Korrespondenten, der Gabriel begleiten wird, gehört, er habe sich intensiv informiert über die Menschenrechtslage. Auch bei Ihnen, bei Amnesty?
    Jüttner: Ja, ich denke, das hat eben auch damit zu tun, dass durch diesen Fall des inhaftierten Bloggers die Öffentlichkeit eben extrem viel Druck gemacht hat. Wir hatten dann die Möglichkeit, direkt über die Menschenrechtslage auch den Minister zu informieren. Insofern ist das schon etwas, was wir in der Vergangenheit so nicht erlebt haben, Herr Rösler ist ja vor einigen Jahren auch schon in Saudi-Arabien gewesen, da hat es diesen Fokus auf die Menschenrechte nicht gegeben.
    Zurheide: Immerhin, könnte man jetzt sagen, zumindest aus Ihrer Sicht, Vertreter der Rüstungsindustrie sind nicht dabei. Ist das für Sie auch ein Signal?
    Jüttner: Amnesty hat immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass die Bundesregierung keine Waffen in Länder liefern sollte, wo eben so schwere Menschenrechtsverletzungen begangen werden wie zum Beispiel auch in Saudi-Arabien. Das wäre das wirklich absolut falsche Signal. Und insofern ist es natürlich zu begrüßen, dass der Minister jetzt nicht mit Vertretern der Rüstungsindustrie nach Saudi-Arabien reist. Aber was wir natürlich trotzdem erwarten, ist, dass es eben auch ganz konkrete Gespräche über inhaftierte Reformer, zum Beispiel den Blogger Raif Badawi gibt. Der Anwalt von Badawi ist auch zu 15 Jahren Haft verurteilt worden und sitzt im Gefängnis, es gibt Dutzende von Menschenrechtsverteidigern, die in den letzten zwei Jahren zu extrem langen Haftstrafen verurteilt wurden, alle Menschenrechtsorganisationen in Saudi-Arabien wurden geschlossen, es gibt kaum Spielräume für die Zivilgesellschaft, sich frei zu äußern.
    Zurheide: Ich will eben dazwischengehen, nicht, weil ich das unterbrechen will, wir kommen gleich noch ausführlich auf die Lage in Saudi-Arabien. Ich will von Ihnen noch mal wissen: Beim Stichwort Rüstungsexporte gibt es ja heute Morgen noch Forderungen von Unionsseite, eben doch Waffen zu liefern. Wie bewerten Sie das?
    Jüttner: Wir sind sehr bestürzt über solche Forderungen. Ich denke, dieses Argument, Saudi-Arabien sei ein Stabilitätsanker in der Region, geht fehl. Im Jahr 2011 hat Saudi-Arabien auf Bitten der bahrainischen Regierung Panzer in das Nachbarland geschickt und damit den bahrainischen Sicherheitskräften den Rücken freigehalten, die mit exzessiver Gewalt Demonstrationen im eigenen Land niedergeschlagen haben. Es gab Dutzende von Toten. Ich denke nicht, dass Panzer oder solche Geräte nach Saudi-Arabien geliefert werden sollten, das Beispiel Bahrein zeigt eigentlich, dass solche Waffen eben auch zur Unterdrückung von Demonstrationen eingesetzt werden.
    Zurheide: Das Argument der Unionsleute lautet ja, wir brauchen Saudi-Arabien auch im Kampf gegen IS, damit dieses Land nicht auch noch übernommen wird. Das überzeugt Sie nicht?
    Jüttner: Es ist hochgradig problematisch, wenn Länder, in denen die Menschenrechte mit Füßen getreten werden, als Partner im Krieg gegen den Terrorismus sozusagen umarmt werden, weil gerade die schweren Menschenrechtsverletzungen in solchen Ländern - ob das jetzt Saudi-Arabien ist, aber in Syrien und Irak gilt das gleichermaßen -, sind praktisch der Nährboden, auf dem dann solche Gruppen wie der Islamische Staat Fuß fassen und neue Anhänger finden. Und insofern spielen solche Länder ehe eine unheilige Rolle.
    Deutsche Waffen an irakische Kurden geliefert
    Zurheide: Und dass Waffen - das ist jetzt ein Exkurs - an die PKK geliefert werden beziehungsweise dass die unterstützt werden, trifft das Ihre Zustimmung oder Ablehnung?
    Jüttner: Soweit wir wissen, wurden die deutschen Waffen ja an die kurdische Regionalregierung im Irak geliefert. Das ist also dann nicht direkt an die PKK, sondern die irakischen Kurden. Auch hier sind wir der Meinung, dass ganz genau abgewogen werden muss, und vor allen Dingen muss sichergestellt werden, dass diese Waffen eben dann nicht in andere Hände geraten und von dem einen Empfänger zum nächsten wandern. Und auch was die kurdischen Truppen anbelangt, gibt es Berichte, dass sie bei ihren Operationen gegen den Islamischen Staat arabische Iraker vertreiben und verhindern, dass diese Leute wieder in ihre Dörfer zurückkommen, nachdem die kurdischen Truppen diese Dörfer erobert haben. Und ich denke, wenn solche Waffen geliefert werden, muss sichergestellt werden, dass diejenigen, die mit diesen Waffen operieren, sich ganz strikt an das Völkerrecht halten und eben keine Verletzung des Kriegsvölkerrechts damit dann auch begehen.
    Zurheide: Wobei Sie wissen, dass das kaum möglich ist?
    Jüttner: Ich denke, das kann man so nicht stehenlassen. Also, wenn Staaten Rüstungsgüter liefern, dann sind sie in der Verantwortung, sicherzustellen, dass diese Rüstungsgüter eben nicht dazu beitragen, Konflikte anzuheizen, dazu dienen, dass Zivilisten vertrieben werden, dass schwere Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen damit begangen werden. Und dazu gehört eben auch, dass man sich sehr deutlich mit denjenigen, die die Waffen bekommen, auseinandersetzt und sagt, ihr müsst die internationalen Regeln der Kriegsführung einhalten, sonst können wir euch diese Waffen nicht in die Hände geben!
    Zurheide: Kommen wir zurück zu Saudi-Arabien. Sie haben den Blogger angesprochen, auch was mit ihm geschieht, seinem Anwalt. Dann gibt es sicherlich noch die Hinweise auf die erschreckend hohe Zahl der vollstreckten Todesurteile in diesem Jahr. Sind das die wichtigsten Aspekte, wenn ich nach der Menschenrechtslage in Saudi-Arabien frage?
    Jüttner: Das sind sicherlich die Aspekte, die am deutlichsten sind. Was eben nicht so sichtbar ist, ist, dass auch in Saudi-Arabien in den Gefängnissen Folter an der Tagesordnung ist. Es gibt eben sehr, sehr viele Todesurteile, in diesem Jahr alleine sind 40 Menschen hingerichtet worden, das ist viermal so viel wie im Vorjahr. Und was hinzukommt, ist, dass eben solche Urteile nach extrem unfairen Gerichtsverfahren verhängt werden. Darüber hinaus ist es so, dass Frauen weiterhin systematisch diskriminiert werden, Saudi-Arabien ist das einzige Land, wo Frauen nicht Auto fahren dürfen, und die Aktivistinnen, die sich dafür einsetzen, dass dieses Verbot aufgehoben wird, werden regelmäßig inhaftiert. Zuletzt Ende letzten Jahres zwei Frauen, und diese Frauen wurden dann vor dem Antiterrorgericht angeklagt. Auch das zeigt, dass sozusagen unter dem Stichwort des Kampfes gegen den Terrorismus friedliche Aktivisten, Reformer inhaftiert werden und dann eben sehr, sehr lange Haftstrafen drohen.
    Jüttner: Öffentlich Menschenrechtsverletzungen ansprechen
    Zurheide: Jetzt kommen wir zu der vielleicht wichtigsten und entscheidenden Frage: Diese Menschenrechtsverletzungen offen anzusprechen, ist das eine, Sie tun das als Amnesty, was denn auch sonst. Was soll Gabriel tun? Er hat wohl, wir haben es vorhin schon kurz angesprochen, darauf hingewiesen, dass er glaubt, es sei wichtiger und hilfreicher, das hinter verschlossenen Türen zu tun. Hat er recht oder unrecht?
    Jüttner: Das ist ein Argument, was wir sehr häufig hören, nicht nur im Zusammenhang mit Saudi-Arabien, sondern auch mit anderen Ländern wie China zum Beispiel. Ich denke, das kann man so nicht stehenlassen. Es ist ja überhaupt nicht nachvollziehbar, wenn gesagt wird, wir sprechen das alles hinter verschlossenen Türen an, was dann überhaupt angesprochen wird und welche Forderungen dann auch konkret formuliert werden oder welche Erwartungen an die saudische Regierung. Ich denke, es muss ein Mix aus verschiedenen Möglichkeiten sein. Und alleine die Tatsache, dass unmittelbar, nachdem der Blogger Anfang Januar öffentlich Stockhiebe erhalten hat, haben sich sehr viele Politiker in Deutschland, in Europa, in der ganzen Welt sehr kritisch dazu geäußert. Und ich glaube, dass diese Nachrichten, solche Botschaften in Saudi-Arabien durchaus auch wahrgenommen werden. Und deswegen, denke ich, ist es nicht verzichtbar, das eben auch öffentlich anzusprechen.
    Zurheide: Das war die Einschätzung und Haltung von Ruth Jüttner von Amnesty International zur Reise von Sigmar Gabriel. Frau Jüttner, ich bedanke mich für das Gespräch, auf Wiederhören!
    Jüttner: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur/Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.