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Sünde, Schuld und Vergebung im Atheismus
Gewissen statt Gott

Für religiöse Menschen kommen Ge- und Verbote letztlich von Gott. Wer nicht an eine höhere Macht glaubt, handelt Regeln des Zusammenlebens aus und begründet sie. Atheisten kritisieren, dass Religionen Menschen Schuldgefühle einreden und ganze Gruppen als Sünder stigmatisieren.

Von Mechthild Klein | 20.12.2018
    Mann kämpft sich bergauf mit großem Daumen runter-Zeichen PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xGaryxWatersx
    Wenn es um Schuld und Sünde geht, sollte man meinen, dass die Atheisten und Konfessionslosen es leichter haben im Leben. Ohne den ganzen religiösen Ballast, den Gläubige vermeintlich zu tragen haben. (imago stock&people)
    Wenn es um Schuld und Sünde geht – sollte man meinen, dass die Atheisten und Konfessionslosen es leichter haben im Leben. Ohne den ganzen religiösen Ballast.
    Daniela Wakonigg: "Für viele Menschen mag das beängstigend sein. Weil sie keine Instanz haben, die ihnen Regeln vorgibt. Ich als nichtreligiöser Mensch weiß, wir können uns diese Regeln nur selber schaffen. Indem wir zusammenarbeiten, indem wir uns verständigen auf Regeln und die sind natürlich verhandelbar."
    Daniela Wakonigg ist Sprecherin des Internationalen Bunds für Konfessionslose und Atheisten (IBKA). Sie kennt das Objekt, das sie kritisiert. Denn sie hat katholische Theologie studiert. Heute arbeitet sie als Journalistin. Der Bund für Konfessionslose hat sich der konsequenten Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften verschrieben auf der Grundlage der Durchsetzung der allgemeinen Menschenrechte.
    Wakonigg: "Für einen religiösen Menschen kommen die Regeln - Du sollst nicht stehlen, du sollst nicht töten - letztlich von Gott."
    Die Gesellschaft macht Druck
    Und genau da liege das Problem, sagt Wakonigg. Denn eben auch die rigiden Vorschriften und Sündenvorstellungen in den Religionen würden als von Gott gegeben verstanden. Zum Beispiel würde Sexualität außerhalb der Ehe oder Homosexualität an Schuld und Sünde gekoppelt.
    Daniela Wakonigg: "Da kann ich mich als nicht-religiöser Mensch fragen, warum ist es sinnvoll, Homosexualität als etwas schuldhaftes zu betrachten. Schadet es irgendjemanden, schadet es der Gemeinschaft? Nee, tut es nicht. Dann schaue ich mir die Natur an und sehe, dass in ganz vielen Populationen von Tieren auch homosexuelle Paare existieren. Und denke, aha. Das ist sogar was ganz Normales. Also warum sollte ich das in irgendeiner Weise sanktionieren oder als schuldhaft betrachten?"
    Daniela Wakonigg kritisiert, dass religiöse Gebote und Verbote Menschen stigmatisieren. Erst unter dem Druck der Gesellschaft ändern sich Regeln aus Religionsgemeinschaften und Kirchen.
    "Aber wie bekommen sie diese Änderung denn hin? Indem sie ihre religiösen Grundlagen, Werke, auf denen Ihre Religion besiert, vollkommen umdeuten. Dann können sie sie ja auch gleich über Bord werfen. (...)"
    Religiöse Meinung gegen Mehrheitsmeinung
    Ein anderes Beispiel sieht die Atheistin Daniela Wakonigg in der Diskussion über die Sterbehilfe – auch hier würden Kirchen sterbewilligen Menschen und ihren Assistenten ein Schuldgefühl einreden. Sie argumentiert:
    "In Deutschland gibt es eine große Mehrheit dafür, dass Menschen frei entscheiden wollen, wann und wie sie sterben. Der Gesetzgeber, der in diesem Gesetzgebungsverfahren stark religiös beeinflusst wurde, und kirchlich beeinflusst wurde, das ist nachweisbar, hat sich anders entschieden. Und so steht in vielen Punkten noch religiöse Meinung gegen die Mehrheitsmeinung in der Gesellschaft."
    Fast alle Religionen lehnen Selbsttötung ab – also dass jemand aus eigenem Willen sein Leben beendet. Obwohl diese Menschen zwingende Gründe dafür angeben, schwerste und unheilbare Erkrankungen etwa.
    In den Religionen wird aber nicht nur von Sünden und Schuldgefühlen gesprochen – die abrahamitischen Religionsgemeinschaften kennen auch Rituale der Vergebung. Man kann seine Schuld durch gute Werke ausgleichen oder sühnen. Im Katholizismus gibt es immer noch die Beichte als Ritual, wenngleich wenig gefragt. Im Judentum pflegt man eine Kultur der Vergebung und Umkehr. Im Islam versucht man Sünden durch gute Taten auszugleichen. Es ist immer wieder der Versuch die Verantwortung vor Gott oder dem Mitmenschen zu übernehmen für die Sünden und Regelverstöße. Eine Art moralische Wiedergutmachung – auch wenn dies faktisch nicht möglich ist.
    Konfuzius wirkt weiter
    Aber was machen eine Humanistin oder ein Humanist mit ihren Schuldgefühlen? "Der Humanist hat ein Gewissen – der Unterschied ist, dass es eben keine jenseitige oder übergeordnete oder ewige Instanz gibt. Die angeblich darüber richtet. Die mir diese Verantwortung abnehmen kann", sagt Christian Lührs vom "Humanistischen Verband Deutschlands". Sein Verein ist als Weltanschauungsgemeinschaft anerkannt und erteilt in Bayern, Berlin und Brandenburg das Schulfach "Humanistische Lebenskunde" - als Alternative zum Religionsunterricht. Humanistische Traditionen betonen stark die Eigenverantwortlichkeit in der Ethik.
    Er sagt: "Da es eben in diesem Konzept keine höhere Macht, Paradies oder Hölle oder diese Instanzen gibt. Da spielt einerseits das Individuum als selbstverantwortlich und zum anderen natürlich die Gemeinschaft."
    Lührs verweist auf die alten Ethik-Konzepte der Chinesen. Auf Konfuzius. Und auf die griechischen Philosophen – auch dort suchte man ja nach einem Schlüssel für das richtige Zusammenleben in der Gemeinschaft.
    "Wenn man sich die Ethik von Aristoteles anguckt, die ja vorchristlich ist. Dann findet man auch dort keinen Schuld- oder Sündenbegriff wie es das Christentum kennt. Diese Ethiken bauen viel stärker bei der Frage auf, wie muss man sich denn verhalten, um seiner Verantwortung gegenüber anderen und sich selbst gerecht zu werden. Dann ist so ein bisschen die Frage, mit welcher Zielsetzung man das eigentlich betreibt. Bei Aristoteles heißt es dann Glückseligkeit. Bei Epikur… dann war es das Vermeiden von Leiden usw.", sagt Lührs.
    "Vergebung ist ein problematisches Konzept"
    Glücklich sein, das will man auch heute. Selbst wenn Freidenker und Atheisten mit den religiösen Kategorien von Sünde und Sündenvergebung wenig anfangen können, so kennen sie doch persönliches Versagen und Schuld gegenüber Mitmenschen oder der Menschheit insgesamt. Und mit Schuld müsste man lernen zu leben, sagt Daniela Wakonigg vom Internationalen Bund für Konfessionslose und Atheisten.
    Daniela Wakonigg sagt: "So etwas wie Vergebung der Schuld finde ich ein problematisches Konzept, weil auch nicht viele Menschen dazu in der Lage sind. Ich glaube, das hat weniger mit Religion oder Nichtreligion zu tun, sondern mit Persönlichkeit."
    Der Schweizer Schriftsteller Alain de Botton hat vor einigen Jahren das Buch "Religion für Atheisten" veröffentlicht. Darin schlägt er einen allgemeinen Versöhnungstag vor, eine Art weltlichen Yom-Kippur-Tag. Könnte ein solches Ritual des Schuldbekenntnisses und der Bitte um Vergebung nicht auch für Atheisten oder Konfessionslose hilfreich sein? Um anders aufeinander zuzugehen, als eine Übung oder als Türöffner zur Reflexion und Selbstannahme?
    "Wie auch immer das auf säkularer Seite aussehen sollte. Es gibt Nicht-Religiöse, die das nachfragen würden, aber ich glaube, es gibt nicht viele.(…) Weil Nicht-Religiöse das Phänomen Schuld einfach betrachten (wollen). Man muss es aushalten, es ist da. Ich bin schuldig geworden, auch wenn ich es vielleicht gar nicht wollte", sagt Daniela Wakonigg.
    Christian Lührs vom Humanistischen Verband hingegen fände ein Ritual der gegenseitigen Vergebung gar nicht schlecht. Weil es zwischen Menschen stattfinden würde. Denn es brauche einfach mehr Begegnung. Gerade weil die Räume der Begegnung der alten Religionsgemeinschaften langsam verschwinden würden. Die Statistik sagt auch ein Verschwinden der Kirchen mit ihren Gottesdiensten voraus.
    Daniela Wakonigg sagt voraus: "Das kirchliche System wird so nicht aufrecht erhalten bleiben. Die Menschen werden sich vielleicht einen Wohlfühlglauben weiter zurecht zimmern, wie sie das schon machen. Aber die Kirchen so wie sie jetzt sind, mit ihren extremen Vorgaben, mit ihren Formalismen, was die Vergebung von Schuld betrifft. Das wird so nicht bestehen bleiben."
    Christian Lührs erklärt: "Wir stehen faktisch vor der Frage, dass die Kommunikation über und innerhalb der Kirchen einfach weniger wird und die Frage ist: Wo findet die denn ansonsten statt? Ich glaube, dass es wichtig ist, dass sich Menschen austauschen und auch sich darüber austauschen, was ihnen wichtig und wertvoll ist."
    Schuld wird es weiterhin geben. Und Verzeihen auch. Aber die Bedeutung wird sich verändern. In den Religionsgemeinschaften verblasst mit dem Glauben an ein besonders ausstaffiertes Jenseits oder Paradies auch die Erwartung des Sündenausgleichs oder eines göttlichen Richters. Das Pugatorium, das Fegefeuer ist abgeschafft. Auch die Hölle, das frühere Druckmittel, wird wohl weitgehend leer sein. Damit ändert sich auch das Sündenverständnis. Schließlich droht keine Folter im Namen der göttlichen Gerechtigkeit mehr. Im Buddhismus gibt es Diskussionen, ob die asiatische Lehre auch ohne die Karma-Idee funktionieren kann. Der Mensch nimmt sein Schicksal in die Hand.