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Suizid von Dschaber al-Bakr
"Irgendetwas stimmt da nicht in Sachsen"

Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) sagte im DLF, die Haftanstalt in Leipzig hätte auf die Indizien für einen Suizid des Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr reagieren müssen. Al-Bakr habe sich seit Sonntag im Hungerstreik befunden und sei ein potenzieller Selbstmordattentäter gewesen.

Gerhart Rudolf Baum im Gespräch mit Christine Heuer | 13.10.2016
    Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP).
    Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP). (imago stock&people/Star-Media)
    Nach allen Pannen, die bereits in diesem Fall passiert seien, sei der Suizid ein schwerer Rückschlag. Irgendetwas stimme da nicht in Sachsen, so Baum. Man habe nur die halbe Konsequenz daraus gezogen, indem man die Zelle alle 15 beziehungsweise alle 30 Minuten kontrolliert habe. In dieser Zeit könne viel geschehen, so Baum.
    Er sprach von einem "Justizskandal". Der sächsische Justizminister müsse nun selber sehen, ob er zurücktrete.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Am Telefon begrüße ich Gerhart Rudolf Baum. Der FDP-Politiker ist ehemaliger Bundesinnenminister und arbeitet nach wie vor als Rechtsanwalt. Guten Tag, Herr Baum.
    Gerhart Rudolf Baum: Guten Tag.
    Heuer: Was war das heute Nacht in Leipzig, eine Tragödie oder ein Justizskandal?
    Baum: Erst mal ist es ein großer Rückschlag, denn möglicherweise hätte der Täter noch einiges offenbaren können. Ich würde sagen, es ist doch ein Justizskandal, denn ich habe die Pressekonferenz verfolgt und es wurde sehr viel darüber berichtet, dass man im Gefängnis über die Selbstmordgefahr sich Klarheit verschaffen wollte, und das haben wir ja auch eben gehört. Aber wie inkonsequent war die Reaktion? Entweder gibt es eine Selbstmordgefahr, dann muss man alle Konsequenzen ziehen, oder es gibt sie nicht. Aber man hat eine halbe Konsequenz gezogen: Man hat im 30minütigen Abstand die Zelle kontrolliert. Was kann in 30 Minuten passieren? Auch in 15 Minuten kann eine Menge passieren. Also man hat meines Erachtens nicht konsequent auf die Selbstmordgefahr reagiert, was ja schon der Ermittlungsrichter in Dresden gemacht hat. Der hat ja darauf hingewiesen. Und jemand, der sich seit Sonntag im Hungerstreik befindet, der spielt ja mit seinem Leben. Und es war ein Selbstmordattentäter. Also es gab so viele Indizien dafür, dass eine Selbstmordgefahr hätte bestehen können, dass die Haftanstalt hätte reagieren müssen. Das ist meine Einschätzung. Es bleiben natürlich offene Fragen, aber man ist ja wirklich jetzt erstaunt, was alles in Sachsen passiert.
    Heuer: Das ist noch ein anderer Punkt, Herr Baum. Lassen Sie uns noch kurz an dem bleiben, was Sie als Versäumnisse in der JVA Leipzig schildern. Wer trägt denn dafür die Verantwortung? Da ist mal die Rede von der Psychologin, die angeblich gesagt haben soll, akute Suizidgefahr bestehe nicht. Der Anstaltsleiter steht im Fokus, aber auch der Justizminister. Auf wen muss man denn diese Vorwürfe, die sich aus Versäumnissen ergeben, fokussieren?
    "Der Justizminister trägt die politische Verantwortung"
    Baum: Zunächst mal: Wenn man solche Zweifel hat, dann muss man sagen, bevor die nicht total ausgeräumt sind, gehen wir auf Nummer sicher. Das hat man nicht gemacht. Der Justizminister war nicht dabei wie in all solchen Fällen. Ich erinnere mich an frühere Fälle, da gab es Selbstbefreiungen aus dem Gefängnissen, es gab Justizskandale. Er trägt die politische Verantwortung, das hat er ja auch gesagt.
    Heuer: Aber er tritt trotzdem nicht zurück. Wie geht das?
    Baum: Ich will jetzt hier keine Rücktrittsforderung erheben. Das muss er selber sehen, das muss die Landesregierung sehen. Aber es ist ein schwerer Rückschlag, nach all den Pannen, die in diesem Falle schon passiert waren.
    Heuer: Also ist das Schlamperei, und ich höre bei Ihnen ja auch heraus, Sie haben den Eindruck, in Sachsen passieren besonders viele Pannen? Sind die Behörden da einfach nicht gut genug aufgestellt?
    "Die Wohnung des mutmaßlichen Täters wurde unprofessionell observiert"
    Baum: Auch das will ich nicht verallgemeinern. Aber in diesem Falle: Die Wohnung des mutmaßlichen Täters wurde unprofessionell observiert. Das fiel auf. Dann hat man ihn laufen lassen. Man wollte ihn aus der Wohnung rauslocken, hatte aber keine Vorkehrung getroffen, ihn dann auch zu fassen. Stellen Sie sich mal vor, er wäre nicht von den anderen Syrern festgenommen worden, er würde sich noch auf freiem Fuß bewegen und seine Tatpläne weiterverfolgen. Das sind doch alles Szenarien, die Schrecken auslösen, und die sächsische Polizei - ich erinnere jetzt an einen anderen Vorfall, die Einheitsfeier in Dresden -, da wurde zugelassen, dass allein die Pöbler Frau Merkel und Herrn Gauck und die anderen Prominenten begrüßt haben, aber nicht die Dresdener, darunter meine Verwandten beispielsweise, die auf den Platz wollten und ihrerseits die Prominenten begrüßen wollten. Die Polizei hat das nicht zugelassen. Irgendwas stimmt da nicht in Sachsen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.