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Sven Giegold
"Die Finanztransaktionssteuer muss für alle gelten"

Der Grünen-Wirtschaftspolitiker Sven Giegold pocht auf eine europaweite Steuer auf Finanztransfers. Im DLF kritisierte der Europaabgeordnete, dass jeder Nationalstaat für sich Ausnahmeregelungen haben wolle. Dabei müsse die Steuer mit einem niedrigen Satz für alle Bereiche gelten.

Sven Giegold im Gespräch mit Petern Kapern |
    Grünen-Politiker Sven Giegold bei der Präsentation der Europawahlkampagne im April 2014
    Grünen-Politiker Sven Giegold (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Der Grünen-Wirtschaftspolitiker Sven Giegold warf den EU-Staaten in der Debatte Egoismus vor. Auch Deutschland habe sich auf die Seite derjenigen geschlagen, welche die Finanztransaktionssteuer unterminieren wollen. Deutschland wolle etwa Lebensversicherungen und Pensionsfonds ausnehmen. Giegold bezeichnete dies als Populismus. Wenn man Lebensversicherungen schütze, beschwerten sich zurecht die Investmentfonds.
    Der Grünen-Europaabgeordnete betonte, die üblichen Sparer seien bei der Steuer ohnehin außen vor. "Wer nicht regelmäßig neue Aktien oder Derivate kauft oder verkauft, ist kaum betroffen." Giegold zeigte sich optimistisch, dass es doch noch eine Einigung der EU geben wird. Gestern hatten die Gespräche in Brüssel kein Ergebnis gebracht. Ursprünglich sollte die Abgabe zum 1. Januar eingeführt werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Man könnte den Eindruck haben, gestern hätten zwei unterschiedliche Sitzungen europäischer Finanzminister in Brüssel stattgefunden, beide Sitzungen mit derselben Tagesordnung, allerdings mit total unterschiedlichen Sitzungsergebnissen. Über die eine der beiden Sitzungen berichtet das "Handelsblatt" - Überschrift: "Finanz-Transaktionssteuer rückt in weite Ferne". Über die andere Finanzminister-Sitzung berichtet die renommierte "Kleine Zeitung" aus Österreich - Überschrift: "Zehn Staaten einigen sich auf EU-Finanzsteuer". Das Interessante daran ist: Es hat tatsächlich nur eine Sitzung gegeben und ob die in Sachen Finanz-Transaktionssteuer mit einer Beerdigung zweiter Klasse endete, oder ob die Befürworter dieser Steuer bald Vollzug melden können, das scheint, Interpretationssache zu sein. Und seine Interpretation soll uns jetzt Sven Giegold erläutern, der Steuer- und Finanzexperte der Grünen im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Giegold.
    Sven Giegold: Ja! Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Wie sehen Sie das? Wird es noch was mit der Finanz-Transaktionssteuer?
    Giegold: Ich glaube, da wird noch was draus. Wer erwartet hat, dass das ein Sprint zur Finanz-Transaktionssteuer war, der irrt sich. Das ist ein Marathon. Wir haben die letzten Monate ein solch starkes Feuerwerk von Lobby-Aktivitäten der Finanzwirtschaft gesehen. Es wundert mich nicht, wie schwierig die Einigung ist. Aber die Wahrheit liegt zwischen den beiden Headlines.
    Kapern: Aber es ist ja klar, dass nur eine Minderheit der EU-Staaten überhaupt bei dieser Finanz-Transaktionssteuer mitziehen will. Mindestens neun müssen es aber sein. Gestern Morgen waren noch elf Mitglieder in der Koalition der Willigen, jetzt sind es nach dem Ausscheiden Estlands nur noch zehn. Das klingt ein bisschen wie das Kinderlied, das man heute schicklicherweise nicht mehr singt. Sie wissen schon, das mit den zehn kleinen und so weiter.
    "Schäuble war leider nicht der Robin Hood, für den er sich gibt"
    Giegold: Ja, ja. - Also zunächst mal: Auch wenn zehn Länder sich einigen, ist das ein Fortschritt europäischer Integration.
    Kapern: Aber wenn es dann nur noch acht sind, wird es nichts mehr.
    Giegold: Zunächst mal ist Estland wohl nicht auf Dauer ausgestiegen. Aber es stimmt ja: Es hat wieder nicht funktioniert, sich auf die zentralen Details zu einigen, und das liegt daran, dass alle Länder für ihre jeweilige Finanzwirtschaft maßgeschneiderte Steuerausnahmen haben möchte. Bis vor Kurzem hat Deutschland da auf der richtigen Seite gestritten, nämlich für eine breite Steuer, und in den letzten Verhandlungswochen hat sich Deutschland leider auf die Seite der Unterminierer dieser Steuer geschlagen. Man will weiterhin eine Ausnahme für die gesamten Lebensversicherungen, für Pensionsfonds. Sogar eine maßgeschneiderte Ausnahme für die deutsche Börse und ihren Derivate-Handel wurde von Herrn Schäuble da verhandelt. Unser Problem ist nicht, dass Europa versagt. Unser Problem ist, dass die Nationalstaaten jeweils für ihre engen Interessen egoistisch sind. Herr Schäuble war leider jetzt zuletzt nicht der Robin Hood, für den er sich gibt.
    Kapern: Aber erklären Sie uns doch mal, was Sie hinter diesem Strategiewechsel der Bundesregierung vermuten.
    Giegold: Ich glaube, dass es von vornherein so war - das steht auch leider schon im Koalitionsvertrag -, dass man die normalen Sparer ausnehmen will. Das Problem ist: Die normalen Sparer sind bei der finanz-Transaktionssteuer sowieso schon außen vor, weil wer nicht regelmäßig sein Portfolio dreht, also regelmäßig neue Aktien kauft oder neue Derivate kauft und verkauft, ist von der Steuer kaum betroffen. Wer dagegen mit hoher Frequenz handelt, der zahlt diese Steuer. Das ist ein Populismus zu sagen, man lässt einfach Lebensversicherungen aus, weil dann beschweren sich zurecht die Investmentfonds und sagen, auch bei uns sind normale Leute investiert. Diese Steuer muss mit einem niedrigen Steuersatz für alle gelten und dann wird sie auch die richtigen treffen.
    Kapern: Aber es ist ja schon mit einem gewissen Widersinn behaftet, wenn man einerseits sagt, dass die Menschen für ihr Alter selbst privat mehr vorsorgen sollen, und andererseits werden sie dann, wenn sie in Pensionsfonds investieren, wenn sie Lebensversicherungen abschließen, dann mit einer Transaktionssteuer bestraft.
    "Wir haben schon wieder vergessen, wie viele Milliarden uns die Finanzkrise gekostet hat"
    Giegold: Sehen Sie, für alle Bereiche des Lebens zahlen wir Umsatzsteuern. Aber diese Umsatzsteuer zahlen vor allem diejenigen, die in hoher Frequenz mit Finanzprodukten handeln. Die ganze Debatte über die Betroffenheit der Sparer ist ein Ablenkungsmanöver. Wenn Sie ein Sparbuch haben, zahlen Sie gar nichts. Wenn Sie langfristig eine Aktie halten, zahlen Sie einmal diese Steuer und können dann sehr lange die Aktie halten. Aber derjenige, der hoch spekuliert, der zahlt viel, und deshalb ist all das hier eine Lobby-Offensive der Finanzwirtschaft gegen die Steuergerechtigkeit. Viele haben ja schon wieder vergessen, wie viele Milliarden uns die Finanzkrise gekostet hat. Das haben wir alle bezahlt und die Finanzwirtschaft möchte sich hier einen schlanken Fuß machen.
    Kapern: Es gibt ja noch ein zweites Projekt, das man, wenn man so will, unter die Überschrift der Steuergerechtigkeit stellen könnte, nämlich das Projekt, dafür zu sorgen, dass multinationale Konzerne nicht mehr ihre Gewinne so lange innerhalb der EU hin- und herschieben, bis keine Steuern mehr erhoben werden, weil sie irgendwo eine besonders günstige Regelung ausgehandelt haben. Dämmert die Lösung dieses Problems auch dem St. Nimmerleinstag entgegen? Wie ist da Ihre Einschätzung?
    Giegold: Ich streite jetzt seit 15 Jahren gegen Steueroasen. In den letzten Jahren haben wir einige große Fortschritte erreicht. Das Bankgeheimnis bei Privatpersonen ist international außer Kraft, die Steuerflucht wird eingedämmt, im Bereich der Konzerne gab es einige Fortschritte, aber den großen Durchbruch haben wir noch nicht. Aber wer jetzt das Lied singt, dass Europa hier scheitert, der singt das falsche Lied, denn Europa scheitert regelmäßig dort, wo es kein Europa gibt. Europa wurde geschaffen als gemeinsamer Markt ohne gemeinsamen Sozialstaat, ohne gemeinsame Steuerregeln, und wir brauchen Europa, wenn wir gegen den nationalen Egoismus in Steuerfragen Erfolge haben wollen.
    "Gegen nationalen Egoismus bei Steuerfragen hilft nur mehr Europa"
    Kapern: Wie wirkt das, Herr Giegold, auf Durchschnittseuropäer, wenn nach dem Versprechen, man wolle die Finanzkonzerne zur Finanzierung der Schäden durch die Finanzkrise heranziehen, oder nach dem Versprechen, man wolle dafür sorgen, dass auch multinationale Konzerne künftig wieder Steuern zahlen, dann feststellen müssen, es tut sich doch nichts? Wie wirkt das?
    Giegold: Die Globalisierung und auch der schärfere Wettbewerb durch den europäischen Binnenmarkt führt zu höherer Ungleichheit. Und der Steuerstaat muss eigentlich diese Ungleichheit ausgleichen. Gerade in dieser Situation fehlt uns ein steuerliches Europa. Das heißt, wir haben keine gemeinsamen Mindest-Steuersätze, keine effektiven Regeln gegen Steuerdumping, und das muss sich ändern. Denn ich befürchte folgendes, dass der Wahlerfolg der Rechtsextremen genau auf diesem Gefühl auch basiert, dass es Verlierer im Wettbewerb gibt und vor allem diejenigen, die Angst vor Abstieg haben. Und daher: Wenn wir Europa wollen, dann brauchen wir auch ein soziales Europa und ein Europa, das diejenigen, die davon gewonnen haben, auch steuerlich am Gemeinwohl beteiligt. Aber das schaffen wir nicht mit nationalem Egoismus, sondern gegen nationalen Egoismus bei Steuerfragen hilft gerade mehr Europa und nicht weniger.
    Kapern: Das sind jetzt einmal mehr fromme Worte, Herr Giegold.
    Giegold: Nein.
    Kapern: Aber wer bringt denn die Finanzminister, die da am Tisch sitzen, dazu, dort Einsicht zu üben und Sven Giegold zu folgen?
    Giegold: Zunächst mal, wie ich eben schon gesagt habe: Wir haben ja in den letzten Jahren eine Reihe von Erfolgen gehabt, die wir die letzten 30 Jahre nicht hatten. Dass wir überhaupt so weit gekommen sind bei der Finanztransaktionssteuer, ist schon ein Erfolg der Demokratie gegen die Finanzwirtschaft und deren Sonderinteressen. Und darüber hinaus gab es jetzt große Erfolge gegen Steuerflucht in den letzten Jahren. Aber es gibt nur einen Akteur, der das erreichen kann, und das ist letztlich eine europäische Öffentlichkeit, die sich nicht mehr gefallen lässt, dass es zweierlei Recht gibt, nämlich das Recht multinationaler Konzerne und Globalisierungsgewinnern, die sich der Solidarität entziehen, und derjenigen, die abgehängt sind. Das geht aber nur, wenn wir öffentlich gleichzeitig in Europa ähnliche Forderungen stellen. Das Interessante ist: Gerade mit den großen Steuerskandalen ist das passiert, und das gibt uns jetzt die Chance, hier so viel Druck auszuüben, dass die Nationalstaaten zur Steuerkooperation kommen, und dafür arbeite ich jeden Tag.
    Kapern: Sven Giegold, der Steuer- und Finanzexperte der Grünen im Europaparlament. Herr Giegold, danke, dass Sie heute Früh Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag nach Brüssel.
    Giegold: Sehr gerne.
    Kapern: Tschüss und auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.