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Svenja Gräfen: "Freiraum"
Wohntraum der Generation Y

Die 1990 geborene Schriftstellerin Svenja Gräfen hat nicht nur mit ihrem vor zwei Jahren erschienenen Debütroman "Das Rauschen in unseren Köpfen", sondern auch als Autorin feministischer Beiträge in Zeitschriften und Zeitungen von sich reden gemacht. Jetzt erscheint ihr zweiter Roman "Freiraum".

Von Christoph Schröder | 17.07.2019
Die Schriftstellerin Svenja Gräfen und ihr Roman "Freiraum"
Die Schriftstellerin Svenja Gräfen und ihr Roman "Freiraum" (Buchcover Ullstein Verlag / Autorenportrait (c) Constantin Timm)
Es ist der Wohntraum der Generation Y, der sogenannten Millennials: Ein Haus auf dem Land, nicht allzu weit von der Stadt entfernt, mit Garten und einer bunten Mischung von Bewohnern: Ein Landschaftsarchitekt, ein schwuler Schauspieler, eine Tischlerin, ein Hetero-Paar mit Kleinkind, ein lesbisches Paar. Keine Zweckgemeinschaft, sondern eine Kommune, in der sich alle gegenseitig achten und unterstützen. Eine Wohngemeinschaft, in der sämtliche Lebensmodelle nicht nur gleichberechtigt und demokratisch organisiert sind, sondern im besten Fall auch noch miteinander korrespondieren. Und das auch noch zu einem fairen Mietpreis.
Die Bewohner sind, in jeder Hinsicht, auf der Suche nach jenem im rasenden Kapitalismus rar gewordenen Gut, das Svenja Gräfens Roman den Titel gegeben hat: "Freiraum". Vela und Maren haben das Glück, einen Platz in dieser vermeintlichen Idylle ergattert zu haben. Die beiden sind Anfang 30 und bereits seit mehreren Jahren ein Paar. Als Jo, Marens Schwester, ihnen anbietet, ein frei gewordenes Zimmer in der Haus-Wohngemeinschaft zu beziehen, greifen sie dankbar zu.
Erfolglose Suche nach einem Volontariat
Für Vela und Maren ist der Umzug ein Ausweg. Sie haben den Plan gefasst, mit Hilfe eines anonymen Samenspenders ein Kind zu bekommen. Darüber hinaus erscheint der Ortswechsel gerade für die innerlich angespannte Vela als eine Möglichkeit, dem permanenten Konkurrenzdruck, dem sie sich zunehmend nicht gewachsen sieht, zu entkommen:
"Das ist, was Vela selbst denkt: dass sie nicht mithalten kann. Dass da vermutlich immer irgendwer sein wird, der besser ist. Oder die. Besser als Vela, besser als zweiter Bildungsweg und Privathochschule."
"Freiraum" ist nicht in der ersten Person, aber überwiegend aus Velas Perspektive erzählt. Vela hat ein Studium abgeschlossen, ist erfolglos auf der Suche nach einem Volontariat bei einer Zeitung und schlägt sich als Moderatorin von Community-Beiträgen bei einem Online-Portal durch, während ihre Freundin Maren in ihrem Beruf als Tänzerin erste Erfolge hat.
Svenja Gräfen stellt in "Freiraum" unterschiedliche Lebensmodelle auf den Prüfstand. Sie lässt Hoffnungen und Erwartungen einer Generation aufeinanderprallen, deren Anspruch es ist, sich nicht wie die Generation zuvor in völliger Selbstaufgabe dem Druck der Verhältnisse zu beugen, sondern eine Balance zu finden zwischen Arbeit und Leben, zwischen Müssen und Wollen.
Nats Herz ist ganz frei
Es versteht sich von selbst, dass die geradezu strenge privatistische Idylle, die Gräfen entwirft, als Spiegel einer politischen Haltung fungieren soll: Die Frage "Wie wollen wir zukünftig leben" hat schließlich eine politische Dimension. "Freiraum" ist also durchaus ein ambitioniertes Romanprojekt, das allerdings an den zahlreichen sprachlichen Manierismen und auch Unzulänglichkeiten scheitert, von denen Gräfens Roman bedauerlicherweise nur so wimmelt. Da ist beispielsweise die fatale Entscheidung, ihre Figuren auf die jeweils gleiche Art und Weise einzuführen und vorzustellen:
"So eine ist Nat: Nats Herz ist ganz frei, und das betont sie, merkt sie an bei jeder Gelegenheit. Nat ist unabhängig, das muss sie sein, um ihr Ding zu machen, um sich entfalten zu können."
Abgesehen davon, dass es sich hier um eine Reihung von Floskeln handelt, degradiert Gräfen ihr Personal zu konturlosen Typen, zu Platzhaltern von Charaktereigenschaften. Der Tonfall des Romans ist ein flottes, umgangssprachliches Stakkato. Permanent sagen die Figuren "Hey", wenn sie sich anreden, um sich dann zu versichern, ob auch wirklich "alles gut" sei. Da werden auf einer einzigen Doppelseite "Tassen aus dem Schrank geangelt", ein Kind "quietscht vergnügt" und ein Rührei "steht bereit zum Verzehr." Wie überhaupt jede gemeinsame Essenzubereitung zu einer umständlich beschriebenen, höchst komplexen Operation aufgeblasen wird.
Weder Genauigkeit noch Bedeutung
Diese Mischung aus Banalität und ungelenken Formulierungen ist störend. Was "Freiraum" tatsächlich zu einer so schwergängigen Lektüre werden lässt, ist Svenja Gräfens Angewohnheit, auf beinahe jeder Seite Beschreibungen alltäglicher Vorgänge in einem nachgeschobenen Nebensatz noch einmal umformuliert zu wiederholen. Das klingt dann so:
"Maren und Jo in der Küche, zwei Schwestern, die gemeinsam köcheln, Essen zubereiten."
Oder so:
"Plötzlich ist da Theo, der klopft. Der mit geknicktem Zeigefinger gegen eine Holztür schlägt."
Dieses Stilmittel erzeugt weder Genauigkeit noch Bedeutung, sondern ist schlicht redundant und auf der langen Strecke enervierend. Das ist umso ärgerlicher, weil der Romanstoff Potential hätte. Svenja Gräfen hat das Totalitäre, das hinter einer solchen "Alles gut"-Lebenskonstruktion steckt, erfasst und in ein Psychoduell eingeschrieben, das im Zentrum von "Freiraum" steht: Da ist auf der einen Seite Vela, die sich permanent ihrer selbst, ihrer eigenen Berechtigung, ihrer Wünsche und Pläne versichern muss. Und da ist auf der anderen Seite Theo, der heimliche Kopf der Wohngemeinschaft; ein Landschaftsarchitekt, der sich zum Ziel gesetzt hat, das Welternährungsproblem mit Hilfe von Eicheln zu lösen.
Eine beinahe dämonische Figur
Theo hat das Haus, in dem die Wohngemeinschaft lebt, dereinst geerbt. Nach seinen Vorstellungen ist das Projekt untergründig organisiert. Er ist es auch, der immer wieder Bewegung, Unruhe, Dynamik in die Handlung und im Übrigen auch in Velas und Marens Beziehung hineinbringt. Eine beinahe dämonische Figur, der Vela mit tiefem Misstrauen begegnet und sich gleichzeitig fragt, ob sie sich nicht wiederum selbst in einen paranoiden Zustand hineinmanövriert hat:
"Theos Lächeln. Theo, die Unschuld in Person. Vela sitzt und fragt sich, was Theo eigentlich will. Was ist sein Ziel? Was treibt ihn an? Will er tatsächlich einfach nur gut sein? Ein netter Mensch, der anderen hilft. Der viel zu geben hat."
Vieles ist in "Freiraum" angedacht. Letztendlich ist es das Selbstbild einer ganzen Generation, das Svenja Gräfen in einem Wechselspiel aus Affirmation und Distanz in all seiner Ambivalenz darzustellen versucht. Möglicherweise hat sie sich an diesem Anspruch vor allem sprachlich überhoben.
Svenja Gräfen: "Freiraum"
Ullstein fünf Verlag, Berlin, 294 Seiten, 20 Euro