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Syrer in Polen
In Warschau neu geboren

Im polnischen Wahlkampf spielt die Flüchtlingspolitik kaum eine Rolle, weil durch die restriktive Haltung der nationalkonservativen Regierungspartei PiS nur sehr wenige Migranten nach Polen gekommen sind. Wenn Asylsuchende in Polen überhaupt anerkannt werden, dann sind es meist Syrer.

Von Peter Sawicki | 07.10.2019
Der Syrer Feras Daboul vor dem Warschauer Theater, in dem er arbeitet.
Der syrische Flüchtling Feras Daboul hat in Polen ein neues Zuhause gefunden (Peterj Sawicki/ Deutschlandradio)
Für diesen Tag sind die Proben beendet. Feras Daboul kann deshalb durch seinen Arbeitsplatz führen. Feras Daboul ist Arabisch-Übersetzer an einem Warschauer Theater. Er zeigt die Umkleideräume und die Bühne. Der 33-Jährige genießt seinen nicht alltäglichen Job, erzählt er im theatereigenen Café. Er ist Syrer und lebt seit 2012 in Polen. Er ist als Flüchtling ins Land gekommen. Oder, wie er es formuliert:
2012 sei er in Warschau geboren worden. Dass Polen zu seinem neuen Zuhause wurde, kam unverhofft. In Damaskus hatte er eine Polin kennengelernt, sie verliebten sich ineinander. Das war vor dem Bürgerkrieg. Aus einem Besuch bei ihrer Familie wurde ein Daueraufenthalt: "Wir hatten nicht geplant, hier zu bleiben. Dann wurde ich aber zum Kriegsdienst einberufen. Also sind wir geblieben. Für mich war es dann kein schlechter Start hier. Meine Gastfamilie hat mich wie ihr eigenes Kind behandelt. Es war für mich leichter, als für jemanden, der auf sich allein gestellt ist." Dem Bürgerkrieg entflieht die ganze Familie. Dabouls Eltern sind in Deutschland, sein Bruder lebt so wie er in Polen.
Polens Flüchtlingspolitik ist ambivalent
Warschaus Flüchtlingspolitik ist durchaus ambivalent. Verteilungsquoten, über die die EU diskutiert, lehnt die Regierungspartei PiS strikt ab. Gleichzeitig gibt es Hilfsprogramme auf kommunaler Ebene. Trotzdem ist die Anerkennungsquote gering. Und es gibt nicht viele, die überhaupt einen Antrag stellen. Laut UNHCR wurden vergangenes Jahr nur 16 Syrer in Polen als Flüchtlinge anerkannt.
Feras Daboul heiratete seine damalige Partnerin, auch um reguläre Aufenthaltspapiere zu bekommen. Er lernte die Sprache und studierte. Neben seiner Arbeit am Theater unterrichtet er heute unter anderem Arabisch an Gymnasien. Im Kontakt mit Einheimischen habe er interessante Beobachtungen gemacht:
"Die Leute denken nie, dass ich Syrer bin – oder generell Araber. Manche denken, ich bin Italiener, andere halten mich für einen Griechen. Wieder andere sagen, ich sehe aus, wie der Fußballspieler Mohamed Salah von Liverpool. Wenn ich sage, dass ich aus Syrien komme, dann wundern sich viele. Weil sie kein klares Bild davon haben, wie ein Syrer aussehen sollte."
Feras Daboul glaubt, viele Polen hätten wegen der gesellschaftlichen Abschottung zur Zeit des Kommunismus wenig Umgang mit Migration gelernt. Viele seien aber eigentlich dafür. Nur seit der Machtübernahme der PiS vor vier Jahren hat sich Feras Daboul zufolge etwas geändert:
"Einige verspüren ein Unbehagen"
"Es gibt nicht mehr so eine Empathie. Einige verspüren ein Unbehagen, wenn ich ihnen sage, dass ich Syrer bin. Ich tanze aber quasi um dieses Gefühl herum – ich sage ihnen erst mal nicht, woher ich komme. Sondern spreche ein wenig Polnisch mit ihnen, um zu zeigen, dass wir uns nicht groß unterscheiden."
So will er Nähe aufbauen, erzählt Feras Daboul. Unsicher fühle er sich in Polen nicht – er sei nie tätlich angegriffen worden. Einige Male sei er angepöbelt worden. Aber das seien Chaoten gewesen, schiebt er hinterher. Allgemein versuche er Vorurteilen offen zu begegnen: "Manche Menschen sagen ja: ‚Ich will keine Flüchtlinge, weil ich Angst vor Terrorismus habe.‘ Ich habe damit kein Problem – jeder hat ein Recht auf Angst. Ich versuche sie dann im Dialog zu dekonstruieren."
Obwohl er mittlerweile geschieden ist, fühlt sich Feras Daboul in seiner neuen Heimat gut integriert. Er hält Polen nicht für ein per se intolerantes Land. Weil ihn aber etwa homophobe Tendenzen beunruhigen, hat er vor den Parlamentswahlen am 13. Oktober gemischte Gefühle: "Ein bisschen Sorgen mache ich mir schon. Ich vertraue aber den Schülern, die jetzt heranwachsen. Ein Teil von ihnen ist zwar nationalistisch eingestellt. Die Mehrheit ist nach meinem Eindruck aber aufgeschlossen und will Teil unserer globalen Welt sein."