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Syrien
Ein Jahr nach dem Giftgasangriff

Genau ein Jahr liegt der Giftgasangriff nun zurück, bei dem in einem Vorort von Damaskus mehr als 1.400 Menschen getötet wurden. Präsident Assad musste daraufhin seine Chemiewaffen abgeben - das Morden in Syrien allerdings geht weiter.

Von Martin Zagatta | 21.08.2014
    Menschen in einem zerstörten Gebäude nach einer Explosion in Damaskus
    Zerstörtes Gebäude nach einer Explosion in Damaskus (dpa / picture alliance / Sana Handout)
    Die meisten schliefen noch, als die Raketen am frühen Morgen einschlugen in Goutha, dem Vorort von Damaskus, damals ein Sammelpunkt der Rebellen. Dann strömte das Sarin-Gas aus.
    "Meine Mann hat sich eine Hose angezogen und wollte nachsehen, was passiert ist. Ich habe noch gesagt: Geh nicht raus. Dann bin ich ohnmächtig geworden", erzählt eine junge Frau, die bis heute unter Atembeschwerden leidet. Ihr Mann ist gestorben, wie mehr als 1.400 Menschen nach dem Angriff. Ein Arzt, der damals Dienst tat in einem Hospital in Goutha.
    Assad bestreitet eine Beteiligung
    "Da waren so viele Menschen, die keine Luft mehr bekamen, mit Zuckungen und Schaum vor dem Mund. Wir kamen gar nicht nach. Eine Mutter mit drei bewusstlosen Kindern, der ich dann sagen musste, dass ich sie nicht retten konnte. Wir Ärzte waren hilflos."
    Das Regime von Präsident Assad bestreitet bis heute, hinter dem Anschlag zu stecken. Glaubhaft ist das nicht, befand auch Barack Obama. Niemand bezweifelt, dass chemische Waffen eingesetzt wurden, so der US-Präsident, und wir wissen, dass das Assad-Regime verantwortlich ist.
    Für Obama war damit eigentlich eine rote Linie überschritten. Von den angedrohten Luftangriffen rückten die USA aber wieder ab, als Präsident Assad sich verpflichtete, seine Chemiewaffen abzugeben. Rund 600 Tonnen Chemikalien zur Herstellung des Giftgases Sarin sowie von Senfgas sind jetzt auf einem amerikanischen Spezialschiff im Mittelmeer komplett vernichtet worden, schneller sogar als ursprünglich geplant, verlautete vorgestern stolz aus Washington.
    Viele Syrer auf der Flucht
    Dem Morden in Syrien hat das aber kein Ende gemacht. Mehr als 170.000 Menschen sind Schätzungen zufolge getötet worden, in dem Krieg, der nun schon drei Jahre dauert, zuletzt allein 5000 in einer Woche. Eine erbitterte Auseinandersetzung, bei der die Rebellen unter immer stärkeren Druck geraten. Das Regime soll auch Chlorgas einsetzen, zusätzlich zu den gefürchteten Fassbomben, mit Spreng- und Treibstoff gefüllte Fässer, die jetzt auch wieder über Goutha abgeworfen wurden, dort wo vor einem Jahr die Raketen mit dem Giftgas eingeschlagen hatten.
    Helfer bergen Verletzte aus den Trümmern eines ganzen Straßenzuges und versuchen ein Kind zu beruhigen, das seine Mutter nicht mehr finden kann. Alltag in Syrien, wo Städte wie Aleppo inzwischen völlig zerstört sind. Eine Friedenskonferenz in Genf ist erfolglos geblieben. Zwei UNO-Sondergesandte haben schon das Handtuch geworfen, auch wenn Generalsekretär Ban Ki Moon immer noch von einer friedlichen Lösung spricht.
    Und es gibt noch mehr Opfer, seit die Terrororganisation "Islamischer Staat", vormals ISIS, sich in die Kämpfe eingeschaltet hat – mit Angriffen auf die ihr verhassten gemäßigten Rebellen. Präsident Assad hat sie deshalb auch lange gewähren lassen. Erst jetzt, im Zwist um Gas- und Ölfelder, lässt er seine Soldaten auch gegen die Gotteskrieger kämpfen. Neun Millionen Syrer – so wird geschätzt – sind auf der Flucht. Die vom Westen bisher nur zaghaft unterstützte gemäßigte Opposition fordert jetzt, die USA sollten auch in Syrien mit Luftschlägen eingreifen.
    Forderungen an UNO und USA
    "Ich fordere die UNO und alle Länder auf, vor allem die USA, mit der Situation in Syrien genauso umzugehen wie in den Kurdengebieten" – so Hadi al-Bahra, der Vorsitzende der Syrischen Nationalkoalition – "da darf es nicht zweierlei Maß geben."
    Der vom Westen favorisierten Opposition und ihren Kampfverbänden, der Freien Syrischen Armee, hat US-Präsident Barack Obama jetzt zwar 500 Millionen Dollar an Unterstützung in Aussicht gestellt, zu wenig aber wohl um gegen die Islamisten und gegen die Regimetruppen zu bestehen. Besonders deutlich wird das derzeit in der früheren Wirtschaftsmetropole Aleppo im Norden. In der völlig zerstörten Stadt kontrollieren die Rebellen noch einige Stadtviertel. Sie werden aber von den Scharia-Milizen beschossen und, wie gerade wieder geschehen, von Assads Luftwaffe bombardiert.
    "Wir geben nicht auf, wir bleiben bis zum letzten Blutstropfen. Gott ist groß, schreit ein völlig aufgebrachter Mann, offenbar direkt nach dem Angriff in einem im Internet verbreiteten Video. "Da sind noch Kinder unter den Trümmern und die Welt schaut zu". Ein Jahr nach dem Angriff von Damaskus sterben die Menschen in Syrien nicht mehr an Giftgas – sondern im Bombenhagel."