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Syrien
Interview zu Syrien mit Nahost-Experte Michael Lüders

Michael Lüders im Gespräch mit Daniel Heinrich | 12.02.2016
    Daniel Heinrich: Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Nahost-Experten Michael Lüders. Herr Lüders, Feuerpause innerhalb einer Woche, hören wir aus München. Heute war davon erst mal herzlich wenig zu sehen. Die Bombardements auf Aleppo gingen weiter. Wie realistisch ist dieses Ziel überhaupt?
    Michael Lüders: Es ist zunächst einmal nicht realistisch. Es ist eine Absichtserklärung. Aber auf psychologischer Ebene ist das schon von Bedeutung, dass sich Russland und die USA verständigt haben auf eine gemeinsame Sprachregelung. Aber es wäre in der Tat zu viel des Guten, zu erwarten, dass dieses nun der Beginn wäre einer tragfähigen Waffenruhe. Dafür gibt es zu viele Gegensätze. Es findet ja in Syrien nicht nur ein Bürgerkrieg statt mit weit über tausend Gruppen, Grüppchen und Banden, die sich gegenseitig bekämpfen, aus politischen, aber auch aus kriminellen Motiven. Sondern es ist gleichzeitig auch ein Stellvertreterkrieg, der hier gefochten wird. Und dieser Stellvertreterkrieg, der erklärt, warum es so schwierig ist, die Kampfhandlungen zu beenden.
    Heinrich: Wessen Stellvertreterkrieg ist das?
    Lüders: Auf der einen Seite gibt es die westlichen Staaten, die USA, die Europäische Union, die Türkei und die Golf-Staaten. Sie wollen nach Möglichkeit das Regime von Baschar al-Assad noch immer gestürzt sehen. Und auf der anderen Seite gibt es Russland, Iran und China, die genau dieses zu verhindern trachten, weil sie nicht wollen, dass ihr enger Verbündeter gestürzt wird und der Einfluss des Westens sich in der Region weiter ausdehnt. Dieser Stellvertreterkrieg ist ein sehr blutiger. Die Syrer bezahlen dafür den Preis in Form einer massiven Flüchtlingsbewegung. Und interessant ist, dass die Allianzen ständig sich verändern, viele Akteure eine sehr zwielichtige Rolle spielen, allen voran die Türkei und Saudi-Arabien. Aber auch die westlichen Staaten sind sehr unglücklich darüber, dass sie ihrem Ziel, nun das Regime von Baschar al-Assad stürzen zu wollen, nicht näher gekommen sind in den letzten Jahren. Und seit Russland aktiv in diesen Krieg eingegriffen hat, indem es militärisches Personal und vor allem Kampfjets nach Syrien entsendet hat, seit September vorigen Jahres ist eigentlich jedem klar geworden, dass es einen Sturz des Regimes von Baschar al-Assad nicht mehr geben wird.
    Heinrich: Sie haben die Türkei angesprochen, Sie haben Saudi-Arabien angesprochen. Inwieweit schieben Sie denen eine Schuld zu?
    Lüders: Zunächst einmal finanzieren die Türkei und Saudi-Arabien in enger Abstimmung mit den USA gewalttätige islamistische Gruppierungen, allen voran die Nusra-Front und die sogenannten Freien der Region Syriens, die im Wesentlichen auch ein El-Kaida-Ableger sind. Es sind gewalttätige Gruppierungen, die aber aus den USA, der Türkei und Saudi-Arabien unterstützt werden, um ein "moderates Gegengewicht" zum Islamischen Staat zu bilden. Sie sollen sozusagen den Kampfeinsatz führen gegen den Islamischen Staat auf dem Boden, aber auch gegenüber dem Regime von Baschar al-Assad. Und das kann eigentlich nicht wirklich finanzieren, abgesehen davon, dass es schon sehr erstaunlich ist, dass die USA allen Ernstes eine Bewegung kofinanzieren, die ein Ableger darstellt von El-Kaida, also jener Organisation, die verantwortlich ist für die Terroranschläge von 9/11.
    Heinrich: Also ist aus Ihrer Sicht der Westen gerade schuld?
    Lüders: Na ja. Es gibt hier sehr viele Köche, die gründlich den Brei verdorben haben. Aber große Fehler westlicher Politik - und hier muss man Washington als Verursacher benennen - war, dass man im Grunde genommen schon seit 2009 versucht hat, das Regime von Baschar al-Assad zu destabilisieren. Es gibt im Internet nachzulesen Verlautbarungen von Wikileaks. Man hat die Ausführungen des damaligen US-Botschafters in Damaskus ins Netz gestellt. Und dort ist ganz klar darzulegen, dass sich die Amerikaner damals schon überlegt haben, wie sie das Regime von Baschar al-Assad destabilisieren können, mit dem Ziel, einen Regimewechsel herbeizuführen. Und insbesondere wurde hier empfohlen, dass man die religiösen Gegensätze zwischen Sunniten und Schiiten insbesondere anfacht. Und schon Anfang 2012 gab es Geheimdienstberichte der CIA, die mittlerweile auch im Netz nachzulesen sind, aus denen ganz klar hervorgeht, dass die Nutznießer dieser Kampagne radikale Islamisten sein werden, allen voran der Islamische Staat.
    Heinrich: Aber Russland habe ich jetzt in der Aufzählung von Ihnen noch gar nicht gehört. Sind die die Guten?
    Lüders: Nein. Es gibt in diesem Konflikt nicht die Guten und nicht die Bösen. Aber die Russen sind, sorry to say, die einzigen, die realistisch eingeschätzt haben, wie sich die Machtverhältnisse in Syrien darstellen. Es gab in der westlichen Wahrnehmung immer die Überzeugung, dass das Regime von Baschar al-Assad ein Terrorregime sei, das, wenn die Bevölkerung nur die Chance dazu erhält, sehr schnell gestürzt sein würde, so wie auch Mubarak in Ägypten gestürzt wurde oder Gaddafi in Libyen. Diese Wahrnehmung war immer eine Illusion. Baschar al-Assad hat noch immer sehr viel Unterstützung in der syrischen Bevölkerung, nicht weil die Menschen ihn lieben, um Gottes Willen, er hat genügend Verbrechen begangen, aber für die religiösen Minderheiten, die Christen, die Drusen insbesondere, stellt sich natürlich die Frage, warum sollen wir die Pest dessen, was wir kennen, nämlich die Diktatur von Baschar al-Assad, gegen die Cholera eines möglichen Einmarsches des Islamischen Staates in Damaskus eintauschen. Das wollen sie nicht. Und auch die sunnitische Händlerschicht, die Mittelschicht unterstützt den Aufstand nicht. Es war immer nur ein Teil der Bevölkerung, die den Aufstand getragen hat gegen Baschar al-Assad. Die Russen haben das verstanden und sie setzen gnadenlos und brutal auf diese Karte, Baschar al-Assad und dieses Regime. Aber sie haben auch verstanden, dass die verschiedenen ethnischen und religiösen Gegensätze nicht dazu beitragen werden, dieses Regime stürzen zu lassen.
    Heinrich: Aber Baschar al-Assad ist jetzt auch nicht die Speerspitze der Demokratie?
    Lüders: Nein, das sowieso nicht. Ich glaube, man muss ganz klar unterscheiden zwischen einer moralischen Verurteilung einerseits und einer nüchternen geopolitischen Bestandsaufnahme andererseits. Ich muss gestehen, ich habe mit der moralischen Beurteilung der Politik im Nahen und Mittleren Osten immer so ein bisschen Probleme. Natürlich ist Baschar al-Assad, natürlich ist sein Regime verbrecherisch. Daran kann doch gar kein Zweifel bestehen. Aber sehen wir uns Saudi-Arabien an, sehen wir uns das Militärregime Sisi an in Ägypten, mehr als 40.000 Ägypter sind in Gefängnissen verschwunden. Jeder, der das Regime dort kritisiert, spielt mit seinem Leben. Das alles weiß man. Es wird aber sehr viel weniger an den Pranger gestellt als im Fall Baschar al-Assad, der ein großer Verderber ist seines Volkes. Aber leider, muss man sagen, gibt es diese demokratische Opposition, die so viele sich herbeisehnen, in Syrien nur in Ansätzen. Die Opposition in Syrien wird vor allem zusammengestellt von radikalen Islamisten auf der Größenordnung El-Kaida und Islamischer Staat. Und das ist eigentlich nicht wirklich eine Alternative zu diesem säkularen Diktator.
    Heinrich: Moral steht wahrscheinlich in München auch nicht unbedingt so groß auf der Agenda. Herr Lüders, kurz zum Schluss: Inwieweit kann die Münchner Sicherheitskonferenz zu einer schnellen Lösung der Krise in Syrien beitragen?
    Lüders: Eine schnelle Lösung wird es nicht geben, auch wenn es jetzt eine Friedensvereinbarung geben sollte. Der Krieg wird noch über Jahre weitergehen, weil zu viele divergierende Interessen hier aufeinander wirken. Aber es ist wichtig, dass Russland und die USA miteinander reden, dass der Iran, dass Saudi-Arabien gezwungen werden, miteinander zu reden. Nur so kann es perspektivisch funktionieren.
    Heinrich: Der Nahost-Experte Michael Lüders. Haben Sie ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
    Lüders: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.