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Syrien ist an Friedensgesprächen mit Israel interessiert

Wiese: Herr Perthes, nicht nur hinter dem Anschlag auf Rafik Hariri sollen die Syrer stecken. Die israelische Regierung macht Damaskus auch für das Selbstmordattentat eines jungen Palästinensers verantwortlich, der am Freitag Abend fünf Menschen in Tel Aviv mit in den Tod riss. Wieso Damaskus?

    Perthes: Israel macht Damaskus dafür verantwortlich, weil der islamische Dschihad, der sich bekannt hat oder diese Auslandsorganisationen, die sich zumindest bekannt haben zu diesem Attentat, mit einem Teil seiner Führer im Damaskus im Exil sitzt. Die Syrer sagen dazu, dass es richtig ist, dass Führer des islamischen Dschihad sich in Damaskus aufhalten, dass man aber die Büros geschossen habe. Diesmal fand ich ganz interessant eine Erklärung aus Syrien, die sagt, man habe damit auch inhaltlich politisch nichts zu tun, denn man unterstütze ja den Friedenskurs des palästinensischen Präsidenten Abbas. Das ist ein relativ neuer Ton aus Damaskus.

    Wiese: Und was ist von den Anschuldigungen, besonders der Amerikaner, zu halten, die Syrer steckten auch hinter dem Attentat auf Rafik Hariri?

    Perthes: Die Logik spricht dafür, dass Syrien indirekt oder direkt Verantwortung trägt für den Mord an Hariri, entweder weil tatsächlich Freunde Syriens oder prosyrische Kräfte im Libanon, die ein Interesse an der Fortsetzung der syrischen Hegemonie haben, oder tatsächlich Teile des syrischen Geheimdienstes direkt verantwortlich waren für diesen Mord. Wenn es tatsächlich andere Kräfte waren, war der syrische Geheimdienst, der tatsächlich alles kontrolliert, in Beirut nicht in der Lage gewesen, eine frühzeitige Warnung auszugeben und das Attentat zu verhindern. Das heißt, entweder handelt es sich hier um Inkompetenz des syrischen Geheimdienstes oder um Mittäterschaft. Das ist die Logik.

    Wiese: Gehen wir zurück nach Israel zu dem dortigen Anschlag. Wie wird Israel nun reagieren? Ist eine militärische Vergeltung gegen Syrien denkbar?

    Perthes: Ich würde mal sagen, noch nicht. Ich glaube, dieser Anschlag vom Freitag ist ein ganz harter Test für die Regierung Abbas auf der einen Seite und auch für die israelische Regierung und für die Fähigkeit beider zusammen, trotz solcher Störungen, wenn man das so sagen kann, den wieder angefangenen Friedensprozess fortzusetzen. Beide Seiten haben ein Interesse daran, dass der Friedensprozess mit den angekündigten Schritten, also dem unilateralen Abzug aus dem Gazastreifen, fortgesetzt wird, dass der Abzug koordiniert wird, nach Möglichkeit sogar verhandelt wird zwischen beiden Seiten, dass den abziehenden israelischen Soldaten und Siedlern nicht hinterhergeschossen wird. Das sind sehr harte Interessen, die auch die Israelis haben, weshalb sie sicherlich nicht wollen, dass es auf palästinensischer Seite dann wieder ein Zusammenbruch dieses sehr fragilen Abkommens mit dem palästinensischen Präsidenten gibt, einen Waffenstillstand, eine Waffenruhe mit Israel einzuhalten.

    Wiese: Welche Rolle spielt denn Syrien überhaupt in der Region Naher Osten? Sie sagten, es bietet der Terrororganisation Islamischer Dschihad Unterschlupf in Damaskus. Ist es auch selbst aktiv an der Terrorfront?

    Perthes: Seit vielen Jahren nicht mehr. Syrien hat viele Jahre einen Platz gehabt auf der Liste des amerikanischen Außenministeriums, die Terror unterstützende Staaten auflistet, aber da ging es um Anschläge, für die Syrien direkt oder indirekt bis in die achtziger Jahre verantwortlich war. Seit Beginn der neunziger Jahre und seit dem Beginn eines nahöstlichen Friedensprozesses, an dem ja auch Syrien immer beteiligt war in mittlerweile unterbrochenen Friedensverhandlungen direkt mit Israel, hat Syrien einen anderen Kurs gefahren. Allerdings sind eine Reihe von palästinensischen extremistischen Organisationen in Damaskus ansässig. Man hat auf amerikanischem Druck hin deren Büros in den letzten Jahren geschlossen, aber man sagt, und da haben die Syrer auch einen gewissen Punkt, wohin soll man die Leute ausweisen oder schicken? Es handelt es sich hier in der Regel um palästinensische Flüchtlinge, die sich in extremistischen Organisationen organisiert haben. Nach Israel, wo sie herkommen, wo sie irgendwann geflohen oder ausgewiesen worden sind, kann man sie gar nicht zurückschicken.

    Wiese: Nun hat die syrische Regierung gerade jetzt Signale der Verständigung in Richtung Jerusalem ausgesandt. Die israelische Regierung ist auf diese Signale allerdings nicht eingegangen, hat sie zurückgewiesen. Warum?

    Perthes: Syrien hat tatsächlich ein Interesse daran, dass die in den neunziger Jahren geführten und im Jahr 2000 abgebrochenen Friedensgespräche mit Israel wieder aufgenommen werden und dass man zu einem Friedensabschluss zwischen Syrien und Israel kommt. Aus israelischer Sicht hat dies keine Priorität, weil man zur Zeit mit den Palästinensern agieren will, mit den Palästinensern Fortschritte erreichen will. Dazu kommt, dass es zumindest bei Teilen der israelischen Regierung auch ernste Zweifel daran gibt, ob Syrien fähig und willens ist, einen bilateralen Friedensprozess bis zum Ende fortzusetzen. Es gibt dort Vermutungen, dass das syrische Regime zu schwach sei, dass Baschar al-Assad möglicherweise die Macht verlieren könnte, wenn er Frieden mit Israel mache. Es gibt dieses Argument auf israelischer Seite. Ich halte es allerdings nicht für inhaltlich richtig. Im Gegenteil: Es ist wohl so, dass, wenn es dem syrischen Präsidenten gelingen würde, ein Friedensabkommen mit Israel zu schließen, ihn das innenpolitisch eher stärken würde.

    Wiese: Aber ein Friedensabkommen mit Israel setzte ja voraus die Räumung der syrischen Golanhöhen durch die israelischen Truppen. Das ist doch unter der derzeitigen israelischen Regierung gar nicht denkbar, oder?

    Perthes: Es ist jedenfalls kaum vorstellbar, dass die derzeitige israelische Regierung einer vollständigen Räumung des Golan zustimmt, wenn sie gleichzeitig noch gegen innenpolitische Opposition anzukämpfen hat, die auch etwa die Räumung des Gazastreifens und eines Teils der Siedlungen in der Westbank verhindern will. Das ist gewissermaßen politisch zu viel für die derzeitige Regierung. Ob Scharon nicht doch letztlich weiß, dass am Ende eines nahöstlichen Friedensprozesses Israel auch den Golan wird aufgeben müssen, das mag man dahingestellt sein lassen. Möglicherweise ist er hier letztlich tief innen im Herzen realistischer als das, was seine öffentlichen Äußerungen vermuten lassen.

    Wiese: Schönen Dank für das Gespräch.