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Syrien-Konferenz
"Im Krieg stirbt auch die Wahrheit immer zuerst"

Die Fotos, die Folterung durch das Assad-Regime dokumentieren sollen, müssten von der UN auf Richtigkeit überprüft werden, sagte die Grünen-Europapolitikerin Barbara Lochbihler im DLF. Die Pflicht der Syrien-Konferenz sei es, sich nicht nur auf eine Seite zu stellen. Außerdem müsse alles für eine politische Lösung getan werden.

Barbara Lochbihler im Gespräch mit Bettina Klein | 22.01.2014
    Bettina Klein: Heute Morgen hat sie also begonnen, die mit Spannung erwartete Syrien-Konferenz in Montreux. Die versammelten Spitzenpolitiker haben sich größtenteils am Vormittag bereits geäußert und die seit langem bekannten tiefen Meinungsunterschiede sind natürlich noch einmal deutlich geworden. Assad kann kein Teil der Übergangsregierung sein, das ist die Position der syrischen Opposition und der US-Regierung, nicht aber der syrischen Regierung selbst.
    Am Telefon ist jetzt die langjährige Leiterin der deutschen Sektion von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Barbara Lochbihler. Inzwischen sitzt sie für die Grünen im Europaparlament. Guten Tag, Frau Lochbihler.
    Barbara Lochbihler: Guten Tag.
    Klein: Schauen wir zunächst auf die Konferenz in Montreux. Was erwarten Sie?
    Lochbihler: Nun, wir haben auch immer wieder in unserem Menschenrechtsausschuss hier im Parlament geschaut, wie geht es der Zivilbevölkerung, und das ist das Vordringlichste, dass man wirklich gewährleistet, dass die Menschen, die zum Beispiel eingeschlossen sind, entweder von der Regierung belagert werden, oder auch von Rebellengruppen, dass es möglich ist, dass man sich darauf einigt, dass sie humanitäre Hilfe bekommen.
    Klein: Das wäre für Sie schon ein wichtiges Ziel, das erreicht werden kann bei der Konferenz jetzt?
    Lochbihler: Ja, weil es sind ja Menschen, die hungern, die mit dem Notwendigsten an medizinischer Versorgung nicht versorgt sind. Das ist ein sehr wichtiges Ziel und da ist es notwendig, dass sowohl die Regierung, wie die Rebellen zulassen, egal wer die Belagerung hier ausübt, dass hier Hilfe geleistet werden kann.
    Klein: Aber das ist im Augenblick noch Wunschmusik, oder gehen Sie davon aus, dass wir ein solches Ergebnis bekommen werden am Ende der Woche?
    Lochbihler: Beide Seiten stellen das ja nicht in Abrede, dass entsetzliches Leid hier passiert, und deshalb hoffe ich das. Es ist auch so, dass wir fordern und als Menschenrechtspolitikerin ich das stark fordere, dass man auch Gehör schenkt den Aktivisten, die entweder im Land sind oder außerhalb, die dokumentieren können, welche schwere Menschenrechtsverletzungen die Regierung zu verantworten hat, eventuell auch die Rebellen, dass man auch denen Gehör schenkt im Laufe der Verhandlungen. Wir haben ja seit August 2011 diese UN-Kommission zu Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen und auch ihre Bewertung der Fakten, die muss unbedingt gehört werden, weil wahrscheinlich beide oder alle Seiten im Krieg die Gräueltaten der jeweils anderen Seite zudichten, und das wichtigste, um eine Lösung zu bekommen, und auch Verantwortlichkeiten zu benennen, ist eine gute faktische Ausgangslage.
    Klein: Und Gräueltaten, die Sie angesprochen haben, sind jüngst offenbar dokumentiert worden mit Fotos, über die ich gerne mit Ihnen sprechen möchte, die offenbar belegen, dass im Auftrag der syrischen Regierung, oder aber in syrischen Gefängnissen systematisch, in großem Umfang und mit wirklich unbegreiflicher Grausamkeit gefoltert wird. Zu allererst wurde ja gefragt: Sind denn diese Fotos überhaupt echt. Das scheint jetzt außer Frage zu stehen. Hatten Sie zu Beginn auch Zweifel daran?
    Lochbihler: In einem Konflikt, in einem Krieg stirbt auch die Wahrheit immer zuerst und deshalb ist es wirklich notwendig, dass von unabhängiger Seite geprüft wird, ob diese Dokumente richtig sind und belastbar sind. Es scheint so zu sein, dann mag ich das gerne glauben. Aber wir müssen wirklich auch noch mal die UN bitten, das zu prüfen.
    Klein: Die Zweifel sind für Sie nicht vollkommen ausgeräumt?
    Lochbihler: Ich als Abgeordnete kann jetzt inhaltlich nichts dazu sagen. Es erhärtet sich der Verdacht, muss ich jetzt sagen, dass es so ist. Ich würde aber trotzdem noch die UN bitten, das zu prüfen. Die UN – entschuldigen Sie, wenn ich das noch sagen darf – ist jetzt wichtig, weil das natürlich auch besonders grausame Bilder sind, wo man von einem großen Umfang von Morden und Folterungen spricht, aber auch schwere Kriegsverbrechen in dem Konflikt sind ja schon vor Monaten, vor einem Jahr dokumentiert worden und leider war der Sicherheitsrat nicht bereit, obwohl es da auch faktisch schon gut bewiesen war, dass man solche Kriegsverbrechen an den Internationalen Strafgerichtshof überstellt, um da nachzuhalten. Und da wiederhole ich an dieser Stelle, dass man so einen Prüfauftrag durch die jetzt vorgelegten Dokumente zusammen mit den früheren wirklich auch an den Internationalen Strafgerichtshof, der für Kriegsverbrechen zuständig ist, überweist.
    Klein: Aber Sie rechnen damit, dass Russland und China da weiter an der Seite der syrischen Regierung stehen werden und auch dies wiederum nun verhindern werden?
    Lochbihler: Ich vermute das, aber es wird umso schwieriger, je mehr unabhängige Expertise es gibt, dass das hier nicht einfach von Katar vorgeschoben ist, sondern dass es wirklich gut dokumentiert wird.
    Klein: Bei den Fotos, die wir jetzt teilweise gesehen haben – es waren ja Teile der Fotos auch geschwärzt -, da haben Beobachter oder diejenigen, die auch auf UN-Seite sich das genauer angesehen haben, wirklich Vergleiche mit Konzentrationslagern in der Nazi-Zeit hier in Deutschland gezogen. Kann die Staatengemeinschaft das hinnehmen, wenn sich das wirklich bewahrheitet?
    Lochbihler: Das kann sie natürlich nicht hinnehmen und sie muss reagieren. Es gibt ja bei der UNO auch einen Sonderberichterstatter zur Verhinderung von Genozid. Es gibt Bewertungen innerhalb des UN-Menschenrechtsrats, und deshalb muss man das jetzt nicht übereilt machen, aber sehr zügig, um das gut zu dokumentieren.
    Klein: Man konnte den Eindruck gewinnen, dass mancherorts die Debatte schnell weg von diesen schrecklichen Bildern und Nachrichten, die zugegebenermaßen wirklich schwer erträglich sind, weggelenkt wurde auf Nebengleise, und dann wurde zum Beispiel gefragt, ist das jetzt bewusst lanciert worden, um die Syrien-Konferenz zu beeinflussen, oder aufseiten der Rebellen wird ja schließlich auch gefoltert. Sind solche Einschränkungen oder Relativierungen dessen, was da passiert, gerechtfertigt aus Ihrer Sicht?
    Lochbihler: Ich glaube, heute kann man nicht abreden, dass auch aufseiten der Rebellen schwere Menschenrechtsverletzungen vorkommen, und das Wahrnehmen dessen – und das ist ja auch gut dokumentiert -, das ist Pflicht von so einer Konferenz, dass man das nicht nur einer Seite zuschiebt, oder dann versucht, es jeweils zu relativieren. Und da sind alle, egal ob, das jetzt Russland ist, China oder die Europäische Union, aufgefordert, das ernst zu nehmen.
    Klein: Ernst zu nehmen, aber wenn der UNO-Sicherheitsrat sagt, wir werden das nicht weiter verfolgen, weil sich zwei Vetomächte dagegen aussprechen, dann ist die Weltgemeinschaft gezwungen, dem weiter zuzusehen?
    Lochbihler: Es gibt ja auch Situationen, wo dann zum Beispiel einzelne Mitgliedsstaaten im Sicherheitsrat nicht dafür sind, aber auch nicht dagegen sind, sondern sich enthalten, und dann kann man auch etwas überweisen.
    Klein: Aber ein militärisches Eingreifen, über das wir vor einigen Monaten vielfach gesprochen haben und vor dem in Europa ja ganz eindringlich gewarnt wurde, das halten Sie nach wie vor für undenkbar und für ausgeschlossen?
    Lochbihler: Wenn ich mir dann anhöre, dass gesagt wird, durch eine mögliche militärische Intervention verschärfen sich vielleicht noch die Konflikte und die Situation für die Zivilbevölkerung, dann wäre das, glaube ich, doch sehr leichtfertig zu sagen, nur darin liegt die Lösung. Deshalb muss man jetzt alles darauf setzen, dass es zu einer politischen Lösung kommen kann.
    Klein: Die Europapolitikerin Barbara Lochbihler, langjährige Leiterin der deutschen Sektion von Amnesty International, heute mittag bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Lochbihler.
    Lochbihler: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.