Freitag, 29. März 2024

Archiv

Syrien
Waffenruhe in Aleppo gebrochen

Im Osten Aleppos wird offenbar wieder gekämpft. Die beteiligten Parteien beschuldigen sich gegenseitig, die Waffenruhe gebrochen zu haben. Gleichzeitig verzögert sich der Abzug von Rebellen und Zivilisten aus der Stadt, die Evakuierung hätte eigentlich am Morgen beginnen sollen.

14.12.2016
    Drei Soldaten gehen durch eine zerstörte Straße durch Aleppo.
    Die Waffenruhe in Aleppo wurde offenbar gebrochen. (George OURFALIAN / AFP)
    Aktivisten zufolge stand der Osten Aleppos heute wieder unter Beschuss. Unklar war zunächst, von wem der Beschuss ausging. Das russische Verteidigungsministerium sagte, syrische Rebellen hätten die Waffenruhe gebrochen. Sie hätten versucht, Posten der syrischen Armee im Nordwesten zu durchbrechen. Die syrischen Truppen hätten einen Angriff der Rebellen abgewehrt und die "Befreiungseinsätze verlängert", erklärte die russische Armee.
    Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete unter Berufung auf ihren Korrespondenten, syrische Regierungstruppen und mit ihr verbündete schiitische Milizen hätten die Waffenruhe in Aleppo durchbrochen. Sie hätten begonnen, den belagerten Ostteil der Stadt mit schweren Waffen zu beschießen. Das syrische Staatsfernsehen berichtete von sechs Toten durch einen Rebellenangriff. Syrische Oppositionsgruppen wiederum warfen iranischen Kämpfern vor, gegen die Feuerpause zu verstoßen. Der Iran unterstützt einige der kampfstärksten Milizen in Aleppo, die auf der Seite der syrischen Regierung stehen.
    Türkei will mit Russland und Iran sprechen
    Die Türkei machte der syrischen Regierung Vorwürfe, die Waffenruhe nicht zu respektieren: "Wir sehen jetzt, dass das Regime und manche Gruppen versuchen, sie zu verhindern", sagte Außenminister Mevlüt Cavusoglu nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu. "Aus verschiedenen Richtungen kommt es zu Störfeuern. Bisher konnten die Evakuierungen nicht vollständig stattfinden." Cavusoglu kündigte an, noch am Mittwoch mit den Außenministern Russlands und des Irans zu sprechen.
    Der Iran stellt nach Angaben syrischer Rebellen und eines Vertreters der Vereinten Nationen neue Bedingungen für eine Waffenruhe und einen Abzug der Aufständischen aus Aleppo. Zeitgleich sollten Verletzte aus den Orten Fua und Kefraja gebracht werden, die von Rebellen gehalten werden. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte, er rechne damit, dass die syrischen Regierungstruppen bei der Einnahme der Stadt Aleppo nur noch "zwei bis drei Tage" auf "Widerstand" treffen werden.
    Syrische Regierung unzufrieden mit dem Abkommen
    Die für den Abzug der Rebellen und der Zivilisten gedachten Busse sind Medienberichten zufolge in ihre Depots zurückgefahren. Beobachter werteten dies als Zusammenbruch der noch am Dienstagabend von den Aufständischen und Russland verkündeten Feuerpause. Am Morgen sollte eigentlich der Abzug von 5.000 Rebellen und ihren Familien nach deren offensichtlicher Niederlage aus Ost-Aleppo beginnen. Das wurde unter Vermittlung von Russland als Verbündetem der syrischen Regierung und der Türkei als Unterstützer der Rebellen vereinbart. Die USA wurden nicht mit einbezogen.
    Grüne Busse stehen in einer Schlange an einer Straße.
    Mit Bussen sollen die Menschen aus dem Ostteil Aleppos gebracht werden. (George OURFALIAN / AFP)
    Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte hatte berichtet, die Evakuierung Ost-Aleppos habe sich aufgrund von Differenzen zwischen dem Regime und seinem Verbündeten Russland über die Einigung mit den Rebellen verzögert. Demnach ist Syriens Führung unzufrieden mit dem Abkommen, weil es ihm von Russland aufgezwungen worden sei. Moskau habe die Einigung zudem ohne Abstimmung mit ihr verkündet. Das Regime sei entschlossen gewesen, den Konflikt um Aleppo militärisch zu entscheiden.
    Interfax: 6.000 Zivilisten haben die Stadt verlassen
    Nach Angaben der oppositionsnahen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte und der Allianz um den syrischen Machthaber Baschar al-Assad sollte die Evakuierung um fünf Uhr Ortszeit (vier Uhr MEZ) beginnen. Die russische Nachrichtenagentur Interfax berichtete unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium, 6.000 Zivilisten hätten die von Rebellen gehaltenen Viertel der Stadt in den letzten 24 Stunden verlassen. Darunter seien auch 2.000 Kinder. Zudem hätten 366 Rebellen ihre Waffen niedergelegt und sich zurückgezogen.
    100.000 Menschen auf fünf Quadratkilometern eingeschlossen
    Nach Angaben der Hilfsorganisation Médecins du Monde sind noch etwa 100.000 Menschen auf einem Gebiet von fünf Quadratkilometern im Osten Aleppos eingeschlossen. Die humanitäre Lage war nach Angaben von Hilfsorganisationen besonders in den letzten Wochen katastrophal. Mehr als 40.000 Menschen flohen in den vergangenen Tagen vor den Kämpfen. Die Türkei will für die Flüchtlinge ein Zeltlager für bis zu 80.000 Menschen aufstellen. Das kündigte Vize-Ministerpräsident Mehemt Simsek über Twitter an.
    Zivilisten in Aleppo: Ein Vater hält ein Kleinkind im Arm.
    Zivilisten wollen Aleppo verlassen. (KARAM AL-MASRI / AFP)
    Kein Ende des Bürgerkriegs
    Am Dienstag war für Aleppo eine Waffenruhe vereinbart worden. Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin erklärte, die Gefechte seien beendet. Die Stadt befinde sich wieder vollständig unter Kontrolle des syrischen Militärs. In den letzten Wochen hatte es mithilfe russischer Kampfflugzeuge eine Großoffensive in Aleppo gestartet. Der Abzug der Rebellen ist ein wichtiger Sieg für das syrische Regime. Es kontrolliert damit wieder alle großen Städte des Landes. Beobachter rechnen dennoch nicht mit einem baldigen Ende des Bürgerkriegs. Denn die Rebellen beherrschen immer noch unter anderem die Provinz Idlib im Nordwesten des Landes. Zudem kontrolliert die Terrormiliz IS im Norden und Osten Syriens noch große Gebiete. "Selbst wenn dies das Ende der Belagerung von Aleppo ist, ist es nicht das Ende des Krieges in Syrien," sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, John Kirby. "Er wird weitergehen. Die Opposition wird weiter kämpfen."
    (cvo/mg/sima)