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Syrienkrieg
"Wir brauchen eine politische Lösung"

Der Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch hat den US-Luftangriff auf einen Militärstützpunkt in Syrien kritisiert. "Es ist völkerrechtswidrig, was dort geschehen ist, und es trägt nicht zu einer Lösung bei", sagte Bartsch im DLF. Er hoffe, dass von dem Treffen der G7-Außenminister neue Initiativen ausgehen, um die Region zu befrieden.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 10.04.2017
    Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, spricht am 18.03.2017 in Gägelow (Mecklenburg-Vorpommern) vor den Delegierten. Bartsch führt seine Partei in Mecklenburg-Vorpommern als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf. Ein Parteitag wählte ihn auf Platz eins der Landesliste. Bartsch erhielt 92,3 Prozent der Stimmen.
    "Stopp aller Waffenexporte in diese Region ist ein ganz wichtiger Punkt", sagte Linken-Politiker Dietmar Bartsch im DLF. (picture alliance / dpa / Jens Büttner)
    Ann-Kathrin Büüsker: Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Nach dem Giftgas-Angriff vom Dienstag in der Provinz Idlib hat Donald Trump denjenigen angegriffen, den er dafür für verantwortlich hält: die syrische Armee. In der Nacht auf Freitag flogen amerikanische Marschflugkörper auf den syrischen Luftwaffenstützpunkt, von dem der Giftgas-Angriff koordiniert worden sein soll. Hierfür gab es international viel Lob, von Israel, von Saudi-Arabien, Wohlwollen zum Beispiel aus Europa. Die Bundesregierung erklärte, der Angriff sei nachvollziehbar. Russland dagegen schäumt. Gemeinsam mit dem Iran erklärte Moskau gestern, damit sei eine rote Linie überschritten. Sollte so etwas noch einmal vorkommen, werde man reagieren. Viel Diskussionsstoff also auch auf Seiten der Bundesregierung.
    War dieser Einsatz der Amerikaner zu rechtfertigen und was bedeutet die neue Gemengelage nun für die Politik der Bundesrepublik? Darüber möchte ich mit Dietmar Bartsch sprechen, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Bundestag. Guten Morgen, Herr Bartsch.
    Dietmar Bartsch: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Bartsch, "Trump rächt Syriens vergaste Kinder". So titelte die "Bild"-Zeitung am Samstag. Ist Donald Trump jetzt der neue Rächer der freien Welt?
    Bartsch: Zunächst muss man feststellen, dass der Einsatz chemischer Waffen furchtbar ist. Das sind bestialische Mordwerkzeuge. Da handelt es sich um Kriegsverbrechen. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden, ohne Wenn und Aber. Und da bin ich froh, dass es da Signale gibt, dass jetzt erst mal aufgeklärt werden kann.
    Der Luftangriff der Amerikaner hilft dort erst mal gar nicht. Es bleibt dabei: Es ist völkerrechtswidrig, was dort geschehen ist, und es trägt nicht etwa zu einer Lösung bei, sondern es birgt ein hohes Eskalationspotenzial. Deshalb: Man muss diese beiden Dinge sehr wohl trennen. Das kann alles auch nicht folgenlos bleiben, um das klar zu sagen. Aber wer wurde denn hier gerächt? Das ist ein Symbol. Wenn ich höre, dass am nächsten Tag da wieder Maschinen von diesem Flughafen geflogen sind, dann war die Wirkung offensichtlich begrenzt.
    "Es werden dort Stellvertreterkriege geführt"
    Büüsker: Aber wenn dieser Angriff die Regierung in Zukunft davon abhalten sollte, weiter Giftgas einzusetzen, dann hätte das doch etwas Gutes?
    Bartsch: Natürlich muss man alles tun, dass diese, ich wiederhole, bestialischen Mordwerkzeuge nicht eingesetzt werden können. Es ist der Wahnsinn, was dort passiert. Aber es bleibt dabei. Das Allererste ist, es muss aufgeklärt werden: Wer trägt die Verantwortung? Es gibt viele Indizien, viele sprechen davon, es war Assad, andere sagen das Gegenteil. Da bin ich völlig zurückhaltend, kann das nicht einschätzen. Aber wenn Russland und die Vereinigten Staaten jetzt die Bereitschaft haben und sagen, wir wollen es aufklären, dann muss das auch geschehen und dann muss Herr Assad auch zur Verantwortung gezogen werden, wenn er der Verantwortliche ist, ohne Wenn und Aber.
    Aber noch einmal: Die Voraussetzung ist diese Aufklärung. Man kann nicht erst mal Raketen losschicken, symbolisch, weil es ist nur ein Symbol - es ist ja damit nicht eine Chemiewaffe vernichtet -, und dann sagen, wir werden mal sehen, was weiter passiert. Mich interessiert, welche Strategie gibt es. Gibt es überhaupt eine? Es kann auch sein, dass Russland und die Vereinigten Staaten das besprochen haben und jetzt verbal anders gegenüberstellen. Das weiß ich alles nicht. Ich will auch keine Verschwörungstheorien. Nur eines ist doch ganz klar: Wir brauchen eine politische Lösung. Die brauchen wir seit langem und da muss grundsätzlich anders herangegangen werden und nicht immer einzelne Punkte gesehen werden. Das ist zum Beispiel die Frage, wie geht man mit den Kurdinnen und Kurden in dieser Region um.
    Das ist die Frage, wie werden moderate Sunniten gestärkt, und und und. Das ist der Punkt. Und man darf nicht die geopolitischen Interessen der Vereinigten Staaten, Russlands, die Interessen Irans, Saudi-Arabiens und der Türkei alle so weiterlaufen lassen. Es werden dort Stellvertreterkriege geführt. Das alles zu Lasten einer leidenden Zivilbevölkerung, auf dem Rücken der Zivilbevölkerung.
    "Stopp aller Waffenexporte in diese Region ist ein ganz wichtiger Punkt"
    Büüsker: Und diese Zivilbevölkerung leidet, während beispielsweise in Genf diplomatisch verhandelt wird. Bislang scheinen diese diplomatischen Verhandlungen zu keinem Ergebnis geführt zu haben. Dann ist es doch gut, wenn jetzt mal was passiert.
    Bartsch: Wissen Sie, wenn das der Maßstab ist, dann kann man ja eben mal bomben. Das kann nicht der Maßstab sein. Hier wird eskaliert. Ich wiederhole, dass ein hohes Eskalationspotenzial da ist Richtung Russland, Richtung Iran. Zu sagen, na gut, jetzt ist hier mal gebombt worden, auch mit Toten, das hilft. Nein, das hilft nicht! Im Übrigen will ich darauf verweisen: Täglich wird in dieser Region gebombt. Täglich sterben an vielen Stellen Kinder. Nichts ist miteinander aufzuwiegen.
    Deshalb: Wir müssen mal die Frage stellen, mit welchen Waffen passiert das eigentlich. Was hat denn Herr Assad eigentlich für Waffen? Der produziert sie selbst nicht. Deshalb: Stopp aller Waffenexporte in diese Region ist ein ganz wichtiger Punkt. Und der Druck? Es ist nun mal so: Die Vereinigten Staaten und Russland, der Sicherheitsrat sind die Verantwortlichen. Nur die können eine Lösung kriegen. Das klingt alles jetzt nicht überzeugend, weil es gibt keine kurzfristigen Lösungen. Wenn die jemand hätte, hätte er sie lange gesagt. Ich glaube aber, dass eine politische Lösung die einzige Möglichkeit ist. Militärische Eskalation birgt Probleme, die dann weit über Syrien hinausgehen könnten.
    Büüsker: Herr Bartsch, Sie haben gerade die Waffenexporte angesprochen, die Frage gestellt, wer Assad denn bewaffnet. Halten Sie es nicht für wahrscheinlich, dass Syrien viele Waffen aus Russland bekommt?
    Bartsch: Ja selbstverständlich! Syrien bekommt viele Waffen aus Russland. Aber auch der IS und andere Gruppen bekommen Waffen aus unterschiedlichen Regionen. Ich will mal daran erinnern: Auch Deutschland hat nach Syrien Waffen exportiert. Das ist zwar einige Zeit her, aber das ist genauso auch gewesen. Deswegen müssen wir heute mal darüber nachdenken, wohin wir jetzt Waffen exportieren.
    Glauben Sie, dass die Waffenexporte nach Saudi-Arabien für friedliche Dinge eingesetzt werden? Glauben Sie, dass die Waffenexporte in die gesamte Region irgendetwas Positives bewirken? Nein, bewirken sie nicht. Wir müssen nicht dann nur über Syrien, sondern generell über Außenpolitik reden und die Frage stellen, wie kann man diese Region mittelfristig befrieden. Mit Sicherheit nicht mit Krieg und Bomben, mit Sicherheit nicht mit Waffenexporten, sondern da müssen politische Lösungen erzielt werden.
    "Europa ist im Moment schwach, kein Akteur"
    Büüsker: Wenn wir festhalten, dass Russland zahlreiche Waffen mutmaßlich nach Syrien liefert und gleichzeitig auch der Akteur ist, der im Weltsicherheitsrat alle Resolutionen, die sich in irgendeiner Art und Weise gegen Assad richten könnten, blockiert, wie kommen wir dann aus dieser aktuellen Patt-Situation heraus, wieder tatsächlich auf ein Tableau, wo diplomatisch etwas möglich ist? Im Moment haben wir ja eine total verzwickte Situation.
    Bartsch: Das ist zweifelsfrei richtig. Es ist erst mal positiv zu bewerten, dass die Vereinigten Staaten Russland in Kenntnis gesetzt haben. Es ist positiv zu bewerten, dass sich die Außenminister treffen werden. Ich wünsche mir, dass auch von dem G7-Treffen der Außenminister Initiativen ausgehen. Man kann nicht weiter zusehen. Dieser Angriff auf eine Luftwaffenbasis löst da überhaupt kein Problem.
    Der Krieg wird fortgesetzt. Man darf nicht vergessen, dass auch der IS über diese Angriffe gejubelt hat. Das ist hoffentlich im Konsens der Gegner aller, die dort Akteure sind. Deshalb ja, es ist zweifelsfrei das, was Russland dort macht, zu kritisieren, ohne Wenn und Aber. Assad hat schwere Verbrechen begangen, ohne Wenn und Aber. Und trotzdem: Es gibt nur die Möglichkeit, mit denen auch zu reden. Es gibt keine Alternative.
    Büüsker: Der SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz hat am Wochenende gefordert, dass Europa hier eine tragende Rolle einnehmen könnte, gerade was die Vermittlung angeht. Halten Sie diesen Vorschlag für plausibel?
    Bartsch: Das Problem ist, dass Europa extrem schwach ist. Europa hat sich in eine Situation hereinmanövriert, dass Europa kein Akteur ist, jedenfalls kein relevanter Akteur. Das ist sehr, sehr schade. Auch da gilt es, eine Grundfrage zu beantworten: Wo wollen wir mit Europa hin. Und da haben wir Grunddinge zu beantworten. Das geht mit der Finanzkrise und ähnlichen Dingen los. Europa ist im Moment schwach, kein Akteur. Wenn Martin Schulz das verändern will, nur zu. Nur ich habe leider das Gefühl, er war ja viele Jahre in Europa mitverantwortlich und sehe dort im Moment wenig Perspektive. Das kann, wenn überhaupt nur in einem langfristigen Prozess geschehen.
    Büüsker: So die Einschätzung von Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linken im Deutschen Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Herr Bartsch.
    Bartsch: Ich bedanke mich bei Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.