Der Tur Abdin ist ein Kalksteingebirge im Südosten der Türkei. Tur Abdin - der Name ist Aramäisch und bedeutet übersetzt "Berg der Knechte Gottes". Die hügelige Gegend ist seit mehr als zwei Jahrtausenden Heimat der Aramäer und gilt als eine der Wiegen des Christentums. Vor mehr als 1.600 Jahren errichtet von aramäischen Christen, stehen hier Mor Gabriel, eines der ältesten Klöster der Welt, und andere christliche Bauten. Die meisten gehören zur der apostolischen syrisch-orthodoxen Kirche von Antiochien - vor allem Mor Gabriel wird als Pilgerstätte für Christen aus aller Welt immer beliebter. Doch zugleich geht die Zahl der hier lebenden Christen erheblich zurück: Etwa 3.000 sollen es noch sein.
Schuld daran sind wohl nicht nur Verfolgung und Diskriminierungen, sondern auch jahrelange Streitigkeiten um Eigentumsrechte. Denn dass die Grundstücke, auf denen die aramäischen Christen ihren Glauben leben, auch rechtlich der syrisch-orthodoxen Kirche gehören - das sieht das türkische Grundbuchamt anders. Vor zehn Jahren wurden landesweit Grundbucheinträge eingeführt und Grundstücke, die zuvor im Privatbesitz von Christen waren, an juristische Personen überschrieben.
"Die Kirchen existieren da ja schon seit Jahrhunderten. Damals gab es aber noch keine Grundbücher und die Eintragungen darin sind erst nach 2008 entstanden, nachdem die Türkei im Jahr 2001 Beitrittskandidat zur EU geworden ist", erklärt Ibrahim Cicek.
Er wurde Ende der 60er-Jahre im Süden des Gebirges Tur Abdin geboren und mit elf Jahren gemeinsam mit seiner Familie aus der Türkei vertrieben. Heute lebt Ibrahim Cicek in Deutschland und setzt sich ein für die Christen in der Türkei - etwa bei Gerichtsverfahren um Grundstücke.
"Die Verfahren sind sehr kompliziert - und zwar absichtlich, um die Menschen abzuschrecken. Die Taktik des Staates war damals: Sie schrieben alles falsch, machten Probleme. Das ganze Verfahren funktioniert nicht richtig und die Eintragungen waren dann alle nicht korrekt."
Beschlagnahmung von Grundstücken
Betroffen sind nicht nur Grundstücke mit Kirchen und Klöstern, sondern auch Friedhöfe, Gärten, Weinhänge und Ackerland der Aramäer. Das Parlament verabschiedete damals zudem Gesetze, von denen eines es zum Beispiel möglich machte, nicht-bewirtschaftetes Land zu Wald umzuwidmen und es der Forstverwaltung zu unterstellen. Die Christen lebten dadurch zum Teil auf Grundstücken, die ihnen offiziell nicht gehörten. Kirchen-Renovierungen oder andere Arbeiten waren damit ausgeschlossen. Um sich zurückzuholen, was sie seit Jahrhunderten als ihr Eigentum bewirtschaftet hatten, zogen dutzende Aramäer daraufhin vor Gericht.
"Die Prozesse kosten ja erst mal viel Geld, viele Nerven und viel Zeit. Und die müssen ja die Aramäer beziehungsweise die syrisch-orthodoxen Christen investieren. Es ist natürlich sehr traurig, dass so etwas passiert. Und wenn ein Gerichtsurteil dann negativ entschieden wird, dann haben sie ihr Eigentum verloren", erklärt Ibrahim Cicek.
Noch komplizierter wurde es im Jahr 2014. Damals wurden mehrere Städte rechtlich zu Großstädten erklärt. Viele Dörfer im Tur Abdin wurden in die größte Stadt der Gegend - Mardin - eingemeindet. Die Dörfer verloren ihre Eigenständigkeit und ein Transferkomitee ordnete die Grundstücke neu zu. In den folgenden zwei Jahren wurden mehr als 110 Liegenschaften von den Dörfern weg an staatliche Institutionen verteilt. Als dann das Transferkomitee beschloss, die Liegenschaften an die staatliche Religionsbehörde Diyanet zu geben, bezog im Februar 2018 sogar das Europäische Parlament Stellung:
"[Das Europäische Parlament] verurteilt die Beschlagnahmung von 50 aramäischen Kirchen, Klöstern und Friedhöfen in Mardin [und] fordert die [Europäische] Kommission auf, sich gemeinsam mit den türkischen Staatsorganen umgehend dieser Themen anzunehmen."
Während Vertreter des türkischen Staates die faktischen Enteignungen zuvor noch als "düstere Propaganda" dementiert hatten, gab die Regierung im März dem Druck aus dem Ausland nach. Schon zuvor hatte es aus Ankara geheißen, dass den Behörden bei den Grundbucheintragungen wohl ein "Fehler" unterlaufen sein müsse.
"Also ohne die Hilfe der EU, von Deutschland und den Kirchen würden wir nicht weiterkommen. Durch deren Unterstützung haben wir diese Erfolge erzielen können", sagt Ibrahim Cicek.
Rückgaben mit Beigeschmack
Seitdem werden den Aramäern und der syrisch-orthodoxen Kirche Grundstücke zurückgegeben. Zuletzt gingen Mitte Mai mehr als 50 Grundstücke an die Stiftung, die auch das Kloster Mor Gabriel verwaltet. Für die Christen ein Grund zur Freude - mit bitterem Beigeschmack:
"Es kommt von der türkischen Regierung so rüber, als ob die jemandem etwas geschenkt hätten. Aber das ist ja seit über tausend Jahren Eigentum der syrisch-orthodoxen Kirche - sie hat es nur zurückbekommen. Das Wichtigste ist aber, dass die Aramäer in diesen Gebäuden ihre Religion, Sprache und Kultur weiter ausüben können."
Der Streit zeigt, wie abhängig die syrisch-orthodoxe Kirche in der Türkei von der Regierung ist. Noch immer laufen Verhandlungen über mindestens 50 weitere Grundstücke. Ibrahim Cicek ist optimistisch, dass die Aramäer alle Grundstücke zurückbekommen - auch wenn das sicher noch ein paar Jahre dauern werde.