Freitag, 29. März 2024

Archiv

Syrische Studenten in Deutschland
Grundstein für die Zukunft abseits von Krieg und Terror

Syrische Flüchtlinge versuchen, auch über ein Studium den Grundstein für eine neue Existenz in Deutschland zu legen oder für die Aufbauarbeit in ihrem Heimatland. Einige Projekte sollen die jungen Menschen aus Syrien dabei unterstützen.

Von Thomas Wagner | 22.12.2016
    Eine Studentin der Schulpädagogik schreibt am 17.10.2012 während einer Vorlesung in einem vollen Hörsaal in der Universität in Tübingen (Baden-Württemberg) mit.
    Ein spezielles Stipendienprogramm für junge Syrer hat das baden-württembergische Ministerium für Wissenschaft und Kunst auf den Weg gebracht. (picture alliance / dpa - Jan-Philipp Strobel)
    Trümmer, Verwundete und Tote. Menschen, die im Schneetreiben mit ein paar Habseligkeiten durch Ruinen huschen - Bilder aus Aleppo, wie sie derzeit täglich zu sehen sind. Zwei junge Männer im Campus Cafe der Uni Konstanz zeigen sich davon besonders berührt:
    "Natürlich ist das schlimm gerade an Weihnachten, wo die Leute sich freuen, dass die leiden, ganz schrecklich. Der Krieg ist seit fünf Jahren in Syrien - nichts Neues für uns."
    "Wenn die ganze Welt nur anschaut und sagt. Schade, schade, was in Syrien passiert - und niemand bewegt sich - und die Leute aus Aleppo, die fliehen. Warum helfen sie nicht, den Krieg zu Ende zu bringen?"
    Zukunft abseits von Krieg und Terror
    Karam Atrasch aus Aleppo ist vor zwei, Jagar Saifo aus dem Norden Syriens vor drei Jahren nach Deutschland geflüchtet. Sie zeigen sich tief berührt, von dem, was in ihrer Heimat passiert. Dennoch bauen sie auf dem Konstanzer Uni-Campus an ihrer Zukunft, an einem Leben abseits von Krieg und Terror: Karam Atrasch studiert Soziologie und Wirtschaftswissenschaften, Jagor Saido Politik- und Verwaltung. Beide hatten bereits vor ihrer Flucht in Syrien ein Studium begonnen. Nichts davon wurde in Deutschland anerkannt - nicht zuletzt deshalb, weil zwischen 'Studieren in Syrien' und 'Studieren in Deutschland' nicht nur geografisch Welten liegen.
    "Das System in Syrien war ein völlig anderes. Wir haben die Vorlesungen und alles ausgedruckt bekommen. Das haben wir gelernt. Und dann sind wir zu den Klausuren gegangen."
    "In Syrien, das Wissen bei uns ist alt, altmodisch, ist nicht aktuell. Hier, an der Uni Konstanz oder in Deutschland - man merkt, dass die Aktualität des Wissens ganz wichtig ist. Zum Beispiel bei uns in Syrien die Medizinstudenten - sie lernen seit Jahren die gleichen Sachen, als ob sich die Medizin sich nicht entwickelt hätte. Und das ist wirklich ein guter Punkt in Deutschland, dass die Aktualität ganz wichtig ist. Und man auch das Gefühl, man den Raum zu denken, was wir leider in Syrien nicht haben an den Unis."
    Spezielles Stipendienprogramm für junge Syrer
    Selbständig Denken, selbstständig an einem Thema arbeiten: Karam Atrasch und Jagar Saifo haben sich schnell an die Bedingungen des deutschen Hochschulsystems angepasst. Sie gelten als überdurchschnittlich begabt und werden deshalb über ein spezielles Stipendienprogramm für junge Syrer gefördert, das das baden-württembergische Ministeriums für Wissenschaft und Kunst auf den Weg gebracht hat. Bereits jetzt denken sie die beiden über die Zeit nach ihrem Abschluss nach. In Deutschland bleiben - oder irgendwann nach Syrien zurückkehren?
    "Wenn ich irgendwann mal etwas helfen könnte, würde ich das machen, vielleicht für eine Weile dort", so Karam Atrasch, betont aber auch:
    "Wir haben Verantwortung für unser Land, klar. Ich spreche für mich persönlich: Ich würde gerne hier bleiben. Ich komme sehr gut klar mit den Leuten."
    Jagor Saifo will nach Kriegesende eine Rückkehr für länger nach Syrien nicht ausschließen.
    "Wenn ich hier in Deutschland lerne, studiere, wie die Demokratie aussieht. Was macht man dann? Ich würde also diese Demokratie gerne zu meinem Heimatland bringen, wenn es irgendwann Frieden dort gibt. Wenn wir nach Syrien gehen und die Demokratie dorthin bringen - das find ich sehr wichtig."
    Junge Studierende fit machen für den Wiederaufbau in Syrien
    Ein Gedanke, den das Programm "Leadership for Syria" verfolgt. Angeregt vom Auswärtigen Amt, wird es vom Deutschen Akademischen Austauschdienst und von der Universität Konstanz umgesetzt.
    "Die Zielsetzung des Begleitprogramms ist, diese jungen Studierenden fit zu machen für den Wiederaufbau in einem Syrien, das, wie wir alle hoffen, eines Tages mal wieder befriedet ist, und in dem es eine Grundlage wenigstens für Ansätze von Demokratie gibt", erklärt der Konstanzer Politikwissenschaftler Professor Wolfgang Seibel, Projektkoordinator bei "Ledership for Syria". Das Programm richtet sich vor allem an angehende Mediziner, Ingenieure oder Naturwissenschaftler aus Syrien, die an deutschen Universitäten studieren.
    "Gerade dann, wenn man Ingenieur ist, Naturwissenschaftler ist, einen solchen Beruf ausübt, ist es wichtig, zu verstehen, wie ein stabiler Rechtsstaat funktioniert, wie wichtig eine nicht korrupte Verwaltung ist, wie wichtig es ist, umgehen zu können mit Führungspersonen mit unterschiedlichen Interessenslagen, auch in diesem Fall mit traumatisierten Menschen, die jahrelang Bürgerkrieg hinter sich haben."
    Rund 180 syrische Studierende sind bei dem Programm mit dabei. Doch eigentlich bräuchte Syrien, wenn der Krieg erst einmal ein Ende hat, viel mehr gut ausgebildete Menschen für die Aufbauarbeit, die dazu in ihr Land zurückkehren müssten. Das allerdings dürfte schwierig werden. Karam Atrasch aus Aleppo:
    "Es gibt jetzt ziemlich viel Blut. Und das Blut ist zwischen uns Syrern. Wir haben uns gegenseitig umgebracht - Alawiten, Sunniten und Schiiten. Und ich glaube, dass man Frieden hat, braucht man leider Generationen. Nicht wir, aber unsere Kinder können das schaffen. Wenn es soviel But gibt, glaube ich nicht, dass es kurzfristig gelöst werden kann. Aber leider, leider ist die Lage in Syrien jetzt sehr kompliziert, dass es soviel Zeit braucht."
    Gemeinsam Weihnachten feiern
    Obwohl Jagar Saifo und Karam Atrasch Muslime sind, werden sie, wie ihre Kommilitonen an der Uni Konstanz, das Weihnachtsfest feiern, mit deutschen Freunden und Bekannten. Früher, als in Syrien noch Frieden herrschte, war das eine alljährlich wiederkehrende Tradition, erinnert Karan Atrasch:
    "Wir haben auch in Syrien mit den Christen das ausgiebig mit ihnen gefeiert, haben uns frohe Weihnachten gewünscht. Und in unserem Fest, dem Ramadan, haben sie auch mit uns gefeiert. Das ist für uns normal und selbstverständlich."