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Systematisch die Geräusche der Großstadt untersucht

Flugzeuglärm ist besonders störend, doch oft sind es auch viele einzelne Lärmquellen ganz unterschiedlichen Charakters, die den Betroffenen Menschen das Leben erschweren. Die Stadt Mülheim an der Ruhr hat dem Rechnung getragen und erst einmal systematisch die Geräusche der Großstadt untersucht. Heraus gekommen ist ein integriertes Lärm-Minderungskonzept mit Modellcharakter.

Von Mark Bernet |
    Wir haben zum Beispiel die Straßenbreiten erhoben, wir haben das gesamte Straßennetz in Mülheim untersucht und haben dort die Ampeln, die Kreuzungen, Stoppschilder noch mal vermerkt, da wo Autos anfahren und wieder stoppen, und haben darüber den wahrscheinlichen Lärmpegel erhoben und haben dann vergleichende Einzelmessungen gemacht, ob unser Modell denn stimmt.

    Was Gabriele Wegner, stellvertretende Leiterin des Mülheimer Umweltamtes hier beschreibt, ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Denn Mülheim hat zwei Jahre lang den Lärm in der eigenen Stadt systematisch erfasst und dabei auch die Auswirkungen auf die Bevölkerung festgestellt. Da die Kommune in der Vergangenheit keinerlei Lärmmessungen durchgeführt hatte, musste man zu Beginn des Pilotprojektes im Jahr 2000 zunächst herausfinden, welche Art von Lärm in Mülheim existiert.

    In einem nächsten Schritt mussten die Dezibelwerte der einzelnen Lärmarten analysiert werden. Das Problem dabei: eine einzige Lärmmessung kostet mehrere tausend Euro. Deshalb griff die Stadt auf das so genannte Screening zurück. Dabei werden in einem speziellen Computerprogramm zunächst die Dezibelwerte für bestimmte Geräuschquellen erfasst, etwa eines LKWs. Danach kommen zusätzliche Daten wie Straßenbelag, Steigungen oder auch die Höhe der Wohnhäuser hinzu:

    Letzten Endes war es aber so, dass wir jeweils flächendeckend die verschiedenen Lärmarten einzeln erhoben haben, allen voran natürlich der Straßenlärm, dann der Schienenlärm, Fluglärm, der Lärm durch Wasserfahrzeuge, der Lärm durch Sportstätten, der Lärm durch Freizeitgestaltung, Gaststätten et cetera.

    Nach Auswertung der ermittelten Daten stellten die Fachleute beispielsweise fest, dass die beiden Lärmquellen Wasserverkehr und Sportanlagen in Mülheim kaum eine Rolle spielen. Andererseits wurde ihre Vermutung bestätigt, dass der Straßenverkehr die Hauptlärmquelle im Stadtgebiet ist. Außerdem gab es eine Bürgerbefragung um festzustellen, welche Umweltthemen die Menschen besonders interessieren. Das Ergebnis: vor allem der Verkehrslärm wird als belastend empfunden.

    Die Stadt zog daraus die Konsequenzen und entwickelte einen so genannten Lärmminderungsplan. Dabei handelt es sich um ein Verzeichnis, in dem unter anderem alle Überschreitungen der gesetzlichen Lärm-Richtwerte erfasst sind, etwa an stark befahrenen Kreuzungen, in der Nähe von Autobahnen oder Industriegebieten. Darüber hinaus führt der Plan die Maßnahmen auf, mit denen die Stadt die bestehenden Lärmquellen eindämmen will. Für die Mülheimer Bürger bringt das neue Konzept eine deutliche Verbesserung des Lärmschutzes. So wird zum Beispiel bis Ende nächsten Jahres auf zwei Hauptverkehrsstraßen der Straßenbelag inklusive der quietschenden Straßenbahnschienen teilweise erneuert. Dazu Gabriele Wegner:

    Das hört sich erst Mal nach wenig Effekt an, wenn man sagt es wird ein Strassenbelag ausgetauscht, und es hört sich auch wenn man das in Zahlen fasst nach wenig Effekt an, weil es sind nur 3 Dezibel, die eingespart werden. Aber man muss dabei berücksichtigen, dass die Dezibel logarithmisch ansteigen, das heißt eine Minderung um drei Dezibel bedeutet eine Halbierung des Verkehrslärms, und jeweils, bei jeder dieser beiden Maßnahmen, sind etwa zwischen vier und 500 Bürger betroffen, so dass wir einen sehr großen Personenkreis mit diesen Maßnahmen entlasten.

    Insgesamt gibt es in Mülheim rund 25 neuralgische Punkte, wo lärmmindernde Maßnahmen im Straßenverkehr nötig sind. Die Stadt will daher auch in den nächsten Jahren Straßenbeläge und Schienen erneuern und zusätzliche Tempo-30-Zonen einrichten. Außerdem will man künftig mehr Gewicht auf die Lärmvermeidung legen, zum Beispiel durch eine vorausschauende Verkehrsplanung:

    Wir sitzen seit einem halben Jahr sehr regelmäßig mit den Verkehrsplanern zusammen, die stellen uns jede neue Straße und jede neue Umplanung vor. Wir gleichen diese Umplanung mit unseren Daten über Wohngebiete ab und geben dann den Verkehrsplanern Tipps, vielleicht doch an der Stelle keine Durchgangsstraße durchzuleiten, oder zum Beispiel den LKW-Anteil zu mindern um diese Lärmquellen zu vermeiden.

    Inzwischen ist auch das Bundesverkehrsministerium auf Mülheim aufmerksam geworden, denn eine so enge Verknüpfung zwischen Verkehrsentwicklungsplanung und Lärmschutz hat es in einer Kommune noch nicht gegeben. Deshalb dient Mülheim an der Ruhr bei einem neuen Pilotprojekt des Bundesverkehrsministeriums als Modellstadt.