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Szenarien künftiger Kriegsführung

Heinrich von Kleists "Hermannsschlacht" ist die Grundlage eines Theaterabends von Rimini Protokoll. Es geht um Guerilla-Taktik, Freiheitskampf, die Möglichkeiten des Hackertums und moderne Helden im Zeitalter des Internets.

Von Hartmut Krug | 21.10.2011
    Auf der Bühne eine verschachtelte, be- und durchgehbare Konstruktion, die ans Innere von digitalen Geräten erinnert. Der linke Turm ist eine Art technisches Kraftwerk, an dem ein Gitarrist Bilder, Texte und die Übersetzungen der Statements von fremdsprachigen Darstellern für die Leinwände abruft, während am rechten Turm das Aufflackern eines roten Lichtes die Stimme von Peter Glaser ankündigt.

    Der Computer-Chaos-Club-Veteran meldet sich aus Berlin-Spandau. Er wohnt gegenüber dem einstigen Standort des Spandauer Gefängnisses, in dem Naziverbrecher wie Rudolf Heß einsaßen. Aus der hölzernen Ausstattung des anschließend dort errichteten und mittlerweile abgerissenen Media-Markts sei das Bühnenbild gebaut, erzählt Glaser. Es geht eben um Politik und Geschichte. Dabei wirkt Glaser wie ein gemütlich nüchterner Stellvertreter Kleists. Mal berichtet er von den Möglichkeiten des Hackertums, in fremde Rechnersysteme einzudringen, dann aber konzentriert er sich auf das erzählen und kommentieren von Passagen aus Kleists "Hermannsschlacht" über den Kampf der Germanen gegen die Römer im Teutoburger Wald:

    Glaser betreibt für Rimini Protokoll eine Dekonstruktion des alten Textes, bei ihm gibt es kein Heldentum und keine Revolutionsverklärung, bei der das Ziel alles wäre. Auch die anderen fünf leibhaftig auf der Bühne herumgehenden und –stehenden Figuren tun dies mit ihren Lebenserfahrungen. Sie berichten von unterschiedlichen Formen des Eindringens in fremde Räume, von gedanklicher oder realer und gewalttätiger Übernahme - und von Formen der Steuerung und des Aufputschens von Menschen. Auch wenn die Muslimin Remzija Suljic von schrecklichen Kriegserfahrungen in auf Bildschirmen übersetztem Serbisch erzählt, geht es ihr wie allen anderen Personen nicht etwa darum, einmal mehr und gemeinplätzig zu erklären, dass Krieg böse und schlimm sei. Sondern es geht um das Aufzeigen von Strukturen, um einen Diskurs, wie das Übernehmen und Eindringen in reale wie digitale Räume gestern und heute erfolgen kann.

    Wie bei Frau Suljic, die das Heckenschützenfeuer durch serbische Nachbarn in Srebrenica überlebt hat. Oder bei Karl-Christoph von Stünzner-Karbe, Bundeswehroberst a.D., geboren in Mecklenburg-Vorpommern, nach Enteignung während der Aktion "Junkerland in Bauernhand" von dort geflüchtet. Er kehrt nach der Wende nicht nur auf den einstigen Familienbesitz zurück, sondern übernimmt auch die alten NVA-Kader und führt sie in die Bundeswehr:

    Stünzner-Karbe, tätig an vielen sogenannten Kriegs-Brennpunkten, wechselt ständig seine Kopfbedeckungen und malt sich auch mal einen Blauhelm, während sich seine Handlungserfahrungen gleich bleiben. Während die junge Barbara Bishay, pendelnd zwischen Kairo, der Geburtsstadt ihrer Eltern, und ihrem Wohnort Berlin, auf Facebook die Demo-Aufrufe und die Euphorie des Aufstands begleitet, um in eine Skepsis gegenüber der Gewalttätigkeit und Ziellosigkeit des Aufstands zu verfallen.

    Ein Techniker der Cyber-Sphäre ist der Hacker oder hardware reverse engineer Nathan Fain, der in den USA und in Israel lebte. Er erklärt die Möglichkeiten von Verschlüsselung und Anonymität im Internet und berichtet von der Internetwährung Bitcoin, mit dem man sich im Internet einen Killer buchen und bezahlen kann. Eine Freiheit, vor der Fain warnt.

    Der moderne Krieg findet im Internet statt, sagt uns das szenische Tableau, und die Staaten rüsten bereits auf. Für den alten Krieg steht Käpt´n Rummelsnuff. Der Darsteller, bekleidet mit historischen Kopfbedeckungen, mit kurzen Lederhosen und einem Muskelshirt überm imposanten Oberkörper, wirkt wie eine Comic-Figur und wie ein Sinnbild aus und für vergangene Zeiten. Von diesen singt er mit rauer Stimme mit Kleists Texten von taktischer Gewaltanstachelung.

    Es ist ein dramaturgisch intelligenter, wenn auch gelegentlich arg anstrengender Abend. Leider sind die Darsteller ihrer selbst diesmal wirklich vor allem sie selbst, ohne allzu viel szenische Wirksamkeit aus zu strahlen. Der Abend wirkt szenisch doch sehr steif und kommt über einen dramaturgischen Stehkonvent selten heraus, da mögen die Darsteller noch so oft durch die vielen Türen hin und her wandern.