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Tacheles mit Terroristen

Darf man mit Terroristen - etwa den Taliban oder El Kaida - verhandeln? Ulrich Schneckener ist nicht grundsätzlich dagegen, mahnt aber zur Differenzierung und erinnert an die letztlich erfolgreichen Verhandlungen mit einer gefürchteten Terrorgruppe: der IRA.

    Gerwald Herter: Würde man die öffentlichen Ankündigungen ernst nehmen, so wären die sogenannten Aufständischen in Afghanistan bereits völlig ausgebucht. Mit den Taliban reden – als er noch SPD-Vorsitzender war, hatte Kurt Beck das gefordert. Spott war ihm damals sicher. Auch Karl-Theodor zu Guttenberg hatte Becks Forderung strikt abgelehnt. Inzwischen ist er nicht mehr einfacher Abgeordneter, sondern Verteidigungsminister, und jetzt sieht auch Guttenberg das anders. Damit steht er nicht allein; selbst der amerikanische Präsident Obama denkt hin und wieder ebenfalls öffentlich über Kontakte mit Terroristen nach. Eine deutsche Geheimdienstdelegation soll sich jüngst sogar mit Taliban getroffen haben, allerdings nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz. – Ulrich Schneckener hat bei der Stiftung Wissenschaft und Politik gearbeitet. Inzwischen ist er Professor an der Universität Osnabrück. Mit Terroristen reden, das fordert er seit Langem, unter anderem in seinem Buch "Transnationaler Terrorismus". Mit Ulrich Schneckener bin ich nun verbunden. Guten Morgen!

    Ulrich Schneckener: Guten Morgen!

    Herter: Herr Schneckener, sollte man Terroristen nicht besser bekämpfen, als mit ihnen zu reden?

    Schneckener: Ich glaube nicht, dass man das eine gegen das andere ausspielen sollte, sondern ich glaube, generell stellt sich die Frage, wie sollen westliche Demokratien insbesondere – und jetzt formuliere ich das bewusst etwas neutraler – mit nicht staatlichen Gewaltakteuren umgehen, die sich ja mal so, mal so äußern. Es ist ja relativ schwierig zu sagen, wann handelt es sich um Terrorismus, wann handelt es sich um Aufständische, wann handelt es sich um bloße Kriminelle. Man kann hier Unterscheidungen treffen, in dem politischen Tagesgeschäft wird das aber in der Regel nicht genutzt, sondern hier ist ja sozusagen der Begriff des Terrorismus oftmals auch ein Kampfbegriff, gerade um ein Gesprächsverbot zu unterstützen, eben diesen Satz "mit Terroristen darf man nicht reden". Man muss dann immer erst mal den Akteur umdefinieren, um dann doch zu sagen, na ja, im Prinzip kann man eben doch Gespräche führen. Wir haben natürlich viele Beispiele, wo Friedensprozesse stattgefunden haben, wo man mit Akteuren, die man bis dato als Terroristen bezeichnet hatte, mit denen man eben nicht reden durfte, dann letztlich doch am Verhandlungstisch hatte, weil man sie am Verhandlungstisch brauchte, und wo es dann letztlich auch zu einem Friedensprozess gekommen ist.

    Herter: Könnten Sie einige Beispiele nennen?

    Schneckener: Ein ganz bekanntes, auch europäisches Beispiel ist natürlich der ganze Friedensprozess in Nordirland, wo man ja wirklich auch von einer terroristischen Organisation sprechen muss, wenn wir über die nordirische IRA sprechen, und wo es doch gelungen ist, über mehrere Jahre, verbunden mit Rückschritten, aber immer wieder mit neuen Anläufen es letztlich gelungen ist, die IRA zu einem Verhandlungspartner zu machen und einen Verhandlungsprozess in Gang zu setzen, der dann letztlich ja '98 zu dem Friedensabkommen geführt hat, das dann zwar nicht sofort erfolgreich war im Sinne von "es gab dann keinen Konflikt mehr", aber der Konfliktaustrag, der hat sich doch erheblich gewandelt, sodass dann Schritt für Schritt hier eine Befriedung eingetreten ist.

    Herter: Aber Moral muss man dann zurückstellen? Das sind ja immerhin Leute, die auch Menschen umbringen, umgebracht haben, so wie die IRA eben auch, die ja einen Kampf geführt hat, einen bewaffneten Kampf, wo Unschuldige auch ums Leben gekommen sind. Sollte hier nur der Zweck im Vordergrund stehen und Moral keine Rolle spielen?

    Schneckener: Nein. Moralische Erwägungen müssen hier natürlich eine Rolle spielen, weil ein solcher Friede muss ja letztlich von der gesamten Gesellschaft akzeptiert werden und wenn man diese Frage vollständig ausklammert, dann ist das in der Regel schon ein erster Stein des Anstoßes und dann wird ein solcher Frieden auch nicht akzeptiert werden. Auch der nordirische Fall zeigt das ja, wie umstritten dann letztlich auch solche Prozesse sind, eben genau weil es auch Opfer gibt, weil es das Bestreben nach Vergeltung oder auch nach Bestrafung gibt. In solchen Konflikten ist es allerdings so, dass ja Opfer auf verschiedenen Seiten zu finden sind und dass hier es nicht so ganz klar ist, wer ist jetzt sozusagen die Täterseite und die Opferseite. Trotzdem muss man über Mechanismen dann nachdenken, wie auch Opfern Gerechtigkeit widerfahren kann, und da gibt es durchaus auch im Rahmen von Friedensprozessen ja Möglichkeiten, also das, was unter dem Begriff "transitional justice" diskutiert wird, wo es Möglichkeiten gibt mit Wahrheits- und Gerechtigkeitskommissionen, wo es Möglichkeiten gibt, über auch Kompensationen, Wiedergutmachungsleistungen durchaus den Interessen von Opfern Rechnung zu tragen. Wenn man das nicht tut, dann besteht natürlich die Gefahr, dass praktisch aus Opfern dann wieder Täter werden, die dann auch einen Friedensprozess unterminieren können.

    Herter: Ihre These ist damit klar. Wie sollte der Dialog zum Beispiel mit El Kaida aussehen? Die Amerikaner schießen im Jemen ja derzeit eher als zu reden.

    Schneckener: Na ja, ob man jetzt einen Dialog mit Al Kaida führen kann, das steht jetzt noch mal auf einem anderen Blatt. Da müsste man sich auch genau angucken, um welche Gruppierungen es sich wo handelt und in welchem Umfeld diese Gruppierungen aktiv sind, inwieweit sie beispielsweise Unterstützung durch die lokale Bevölkerung erfahren, also eine wirklich auch authentische Unterstützung und nicht nur sozusagen eine erpresste Unterstützung. Das wären dann beispielsweise auch Akteure, die man durchaus dann sehr ernst nehmen muss, weil sie offensichtlich etwas abbilden, wo es konkrete lokale Bedürfnisse, Forderungen gibt politischer Natur, denen man in irgendeiner Weise auch Rechnung tragen muss und Rechnung tragen kann. Insofern muss man da, denke ich, sehr genau hinschauen, mit welchen extremistischen Organisationen und Milieus man es zu tun hat. Ich würde jetzt auch nicht pauschal sagen, man muss immer und jedes Mal den Verhandlungsansatz nutzen, und ob er nun mit der Al-Kaida-Führung wirklich gelingen würde, da wäre ich auch sehr skeptisch. Aber es gibt sicherlich unterhalb dessen in den einzelnen Regionen, sei es nun im Jemen, sei es in Afghanistan, sei es in Pakistan, Gruppierungen, die allzu pauschal dem Al-Kaida-Netzwerk zugerechnet werden und wir damit eher dazu beitragen, praktisch diese Vernetzung oder die Annäherung solcher Milieus aneinander zu fördern, als gerade die Differenzen, die ja in diesen Milieus und zwischen diesen Milieus bestehen, eher zu nutzen, um beispielsweise gezielt mit bestimmten Kräften Verhandlungen führen zu können.

    Herter: Fehlt der deutschen Politik diese Debatte über den Dialog mit bewaffneten Gruppen, oder findet diese Debatte insgeheim statt, stärker als wir es wahrnehmen?

    Schneckener: Die Debatte fehlt zumindest in der Öffentlichkeit. Ich glaube, dass wir uns in der ganzen Diskussion jetzt mit Blick auf Afghanistan, mit Blick auf die Taliban sehr stark auf das Modell von Bekämpfung konzentrieren und dabei andere Möglichkeiten außer Acht lassen, die gleichwohl sehr schwierig zu bewerkstelligen sind. Das will ich gar nicht in Abrede stellen. Daneben gibt es allerdings auch die Frage, ob es nicht auch Sinn macht, bei einzelnen Akteuren, die ja sich auch selbst auf Werte beziehen, dass man auch dieses nicht einfach nur als Rhetorik abtut oder als Fassade, sondern dass man das durchaus mal ernst nimmt und sagt, was sind das eigentlich für Werte, mit welchen Vorstellungen, mit welchen Weltbildern treten diese Leute eigentlich an und ergibt sich nicht dort auch ein Einfallstor, um hier mit einem Ansatz, der eher auf Überzeugung setzt, zu operieren. Es gibt Nichtregierungsorganisationen, die versuchen, nicht staatlichen Gewaltakteuren, also etwa Rebellenbewegungen, wenn sie diese sozusagen nicht dazu bewegen können, Frieden zu schließen, ihnen doch zumindest beizubringen, wie man den Konflikt so austragen kann, dass die Zivilbevölkerung nicht massiv in Mitleidenschaft gezogen wird.

    Herter: Und ist das erfolgreich?

    Schneckener: Das ist partiell erfolgreich. Es gibt beispielsweise eine Organisation, Geneva Call, die sich dafür einsetzt, dass Landminen nicht genutzt werden, dass Akteure sich eben an das Landminenverbot halten. Das Problem des Landmienenverbots ist aber, dass es ein Abkommen zwischen Staaten ist. Das heißt, es bindet eigentlich staatliche Armeen, aber eben nicht Rebellenorganisationen. Diese NGO hat sich darauf spezialisiert, mit Rebellen darüber zu sprechen, ob es nicht sinnvoll wäre, dass sie öffentlich und auch nachweisbar und verifizierbar auf den Einsatz von Landmienen beispielsweise verzichten. Das ist nur ein ganz kleiner Ansatz und in der Tat: Diese NGO hat mit über 30 Gruppen in der Welt Verträge abgeschlossen, um diesem Landmienenproblem etwas Herr zu werden. Das Gleiche gibt es im Bereich der Kindersoldaten, wo man versucht, Rebellen davon zu überzeugen, keine Kindersoldaten einzusetzen.

    Herter: Professor Ulrich Schneckener war das über ein Tabu, das keines mehr ist: den Dialog mit Terroristen. Dieses Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.