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Tag der Deutschen Einheit
"Geradezu demokratisiert"

Die Menschen in Deutschland begehen Gedenktage wie den heutigen Tag der Deutschen Einheit lieber "in geselliger Form" als mit einem offiziellen Festakt. Das beobachtet der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Hans Walter Hütter. Der Tag werde demokratisiert, sagte er im DLF.

Hans Walter Hütter im Gespräch mit Michael Köhler |
    Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Bonn
    Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Bonn (dpa/picture alliance/Paul Zinken)
    Michael Köhler: Der Feiertag ist kein Werktag, naturgemäß, aber aufgrund unseres gebrochenen Staatsverhältnisses ist das immer nicht ganz so leicht bei den Deutschen mit den Gedenk- und Feiertagen. "Festakt oder Picknick" heißt die neue Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn über Gedenktage. Viele wollen an dem Tag nichts Besonderes machen, halten aber daran wohlwollend fest. Welche Gedenktage werden nun wie gefeiert? Es gibt einen Wandel vom 17. Juni '53 zum 3. Oktober 1990.

    Ich habe Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, gefragt: Täuscht meine Wahrnehmung, dass, sagen wir, der 20. Juli als Tag für das andere Deutschland nach vorn gerückt ist? Oder der 8. Mai 1985 etwa, die Rede von Richard von Weizsäcker als Abschiedsrede, die ging damals weg wie geschnitten Brot. Sind andere Gedenktage mehr in unserem Fokus?
    Hans Walter Hütter: Es hat sich auf jeden Fall ein Wandel vollzogen. Das kann man schon feststellen, wenn man jetzt zunächst mal den 17. Juni und den 3. Oktober vergleicht. Der 17. Juni, der ja seit '54 in Westdeutschland Nationalfeiertag war, war relativ schnell in der Bevölkerung oder aus dem Bewusstsein der Bevölkerung verdrängt. Warum? Er war zwar arbeitsfrei und insofern Feiertag. Es war schon klar: Das war der Tag, 17. Juni, an dem man nicht zur Arbeit musste. Aber Freude, Anlass zum Feiern kam natürlich nicht wirklich auf, weil der Anlass für den 17. Juni ja ein gescheiterter Aufstand war. Es war ja im Grunde genommen am Ende ein Tag des Misserfolges für die Menschen, die sich in der DDR aufgelehnt haben gegen die Diktatur. Und einen solchen Tag denn mit Feiern zu begehen, schwierig.

    Gedenken ja, Gedenken auch an die Opfer dieses Aufstandes durch Reden, durch, wenn Sie so wollen, Festakte, aber die fanden doch mehr in geschlossenen kleineren Zirkeln statt. Der Oberbürgermeister machte in der Stadt - oder im Bundestag gab es Reden, aber die Bevölkerung nahm relativ geringen Anteil. Sie nutzte im Sommer, wenn das Wetter gut war, diesen arbeitsfreien Tag, um rauszufahren an den Rhein oder Picknick, wenn Sie so wollen, zu machen.
    Beim 3. Oktober ist das anders. Der 3. Oktober ist ja nun der Tag, der ja wirklich ein Tag der Freude ist, der Tag der Wiedervereinigung, der deutschen Wiedervereinigung. Hier können wir Deutschen seit Ende des Zweiten Weltkrieges im Grunde genommen erstmals wirklich eine positive Entwicklung feiern, und meine Beobachtung ist, dass auch durch die Form, wie dieser Nationalfeiertag begangen wird, föderalistisch, das heißt jedes Jahr in einer anderen Landeshauptstadt, mit einem festlichen Akt, mit einer Rede, aber auch mit einem Empfang und ausdrücklich auch mit Bürgerfesten. Wenn der Festakt auch relativ eng und streng begrenzt in seinem Ablauf ist, auch die Themen sind recht eng, die dort vorkommen können, dann ist doch die Beteiligung der Bevölkerung sehr breit inzwischen, geradezu demokratisiert dieser Tag.
    "Lieber in geselliger Form"
    Köhler: Das trifft sich mit einer Beobachtung, die Sie gemacht haben, einer Umfrage. Viele stimmen zu, Gedenktage soll es geben. Persönliche Teilnahme muss nicht so unbedingt sein. Eine Ansprache des Bundespräsidenten wünschen sich viele, ins Museum gehen aber nur 1,7 Prozent. Kurzum: Festhalten ja, aber nicht so viel Tand und Gloria. Sehen Sie darin, auch nach dem, was ich von Ihnen gerade gehört habe, eine Art Republikanisierung im Umgang mit Gedenktagen?
    Hütter: Es ist eine Demokratisierung. Ja, die Bevölkerung beschäftigt sich schon mit diesem Datum, mit dem Ereignis, nicht unbedingt in einem Akt, zu dem man dann im dunklen Anzug gehen muss, sondern man beschäftigt sich lieber in geselliger Form mit diesem Thema. Das ist schon eine Entwicklung, die festzustellen ist. Wir müssen allerdings auch eines doch noch sehen: Wenn Sie sagen, nur 1,7 Prozent wollen ins Museum gehen - 1,7 Prozent von 80 Millionen Deutschen wären 1,4, 1,5 Millionen, die an diesem Tag ins Museum gingen, oder in die Museen in Deutschland. Das wäre eine sensationelle Zahl.
    Köhler: Einer der besucherstärksten Tage ist es jedenfalls im Bonner Haus der Geschichte ungefragt. "Festakt oder Picknick", Hans Walter Hütter war das vom Bonner Haus der Geschichte zur neuen Ausstellung dort.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.