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Tag der offenen Moschee
"Eher eine Provokation als eine Öffnung"

Als "respektlos und arrogant" empfindet die Rechtsanwältin und Imamin Seyran Ates die Tatsache, dass der Tag der offenen Moschee am Tag der Deutschen Einheit stattfindet. Im Dlf sagte sie, ihre Moschee bleibe geschlossen. Außerdem kritisierte sie, dass die Ditib-Moschee in Köln für eine Parallelgesellschaft stehe.

Seyran Ates im Gespräch mit Kathrin Hondl | 03.10.2018
    Seyran Ateş
    Seyran Ates ist Imamin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin. (imago/epd/Stefan Arend)
    Kathrin Hondl: Heute ist nicht nur der Tag der Deutschen Einheit, es ist auch Tag der offenen Moschee – jedenfalls in mehr als tausend Moscheen in Deutschland, die sich an dieser Initiative beteiligen. Offiziell eröffnet wird der Tag der offenen Moschee heute in der Ditib-Zentralmoschee in Köln. "Religiosität – individuell, natürlich, normal", so heißt das Motto dieses Jahr. Organisiert wird der Aktionstag nämlich schon seit 1997 vom Koordinationsrat der Muslime, dem Dachverband von vier großen islamischen Verbänden in Deutschland. Gedacht ist er als eine, so heißt es in der Ankündigung, Zitat, "Möglichkeit, die muslimische Pluralität und kulturelle Vielfalt kennenzulernen". Am Telefon ist Seyran Ates. Sie ist Rechtsanwältin und Imamin und hat vergangenes Jahr eine liberale Moschee in Berlin gegründet, die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. Guten Morgen, Frau Ates!
    Seyran Ates: Guten Morgen, Frau Hondl! Ich bin, das muss ich gleich sagen, Imamin für die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee.
    Hondl: Und heute ist also Tag der offenen Moschee, aber ausgerechnet Sie, Frau Ates, machen da nicht mit. Warum, was haben Sie gegen diese Veranstaltung?
    Ates: Ich finde, dass diese Veranstaltung nicht nur falsch ist, sondern auch kontraproduktiv und eine Aussage tätigt, die ich nicht tragen möchte. Ich bin als Berlinerin aufgewachsen, ich lebe seit 1969 in Berlin, deshalb ist der Tag der deutschen Einheit, deshalb ist der Fall der Mauer für mich etwas ganz, ganz Besonderes. Ich hab 1989 wirklich wochen-, monatelang sehr viel geweint und ich habe sehr, sehr viele Freundinnen und Freunde aus dem Osten, das heißt, dieser Tag ist für mich als Tag der deutschen Einheit wichtig, nicht als Tag der offenen Moscheen. Unsere Moschee bleibt an diesem Tag zu, weil wir jeden Tag, vor allem jeden Freitag Tag der offenen Moschee haben.
    "Respektlos und arrogant"
    Hondl: Sagen Sie, war dieser sogenannte Tag der offenen Moschee in der Vergangenheit eigentlich immer am 3. Oktober?
    Ates: Der war immer am 3. Oktober, und das habe ich von Anfang an kritisiert. Ich empfinde den Tag der offenen Moschee am Tag der deutschen Einheit als respektlos und arrogant, vor allem weil damit ein Fokus auf das Thema Islam, auf das Thema Moscheen stattfindet in einer islamischen Parallelwelt und -gesellschaft, die sich fernab der deutschen Einheit bewegt. Und ich finde, dass die Moscheegemeinden, die da mitmachen, und auch die Verbände genau dieses Signal ausstrahlen, was sie jetzt in der Ditib-Moschee in Köln bei dem Staatsbesuch des Herrn Erdogan auch noch mal bewiesen haben: Ihre Form des Islams zu leben, ihr Verständnis vom Islam ist das, was für sie nur zählt, und was drumherum in der Gesellschaft passiert, nämlich dass an diesem Tag einem historischen Ereignis in der Menschheitsgeschichte gedacht wird, dem Fall der Mauer, nach so vielen Jahren Unrechtsstaat und Elend, endlich Freiheit für alle – bei allen negativen Dingen auch, die dazukommen. Wir haben viel zu reden an diesem Tag über die deutsche Einheit, über das Zurückgelassenwerden von vielen Menschen in den neuen Bundesländern, es gibt so viele Themen – dieser Tag ist das Thema für dieses Land und nicht für die Religion des Islams oder dieser Moscheen.
    Hondl: Nun könnte dieser Tag der offenen Moschee ausgerechnet am Nationalfeiertag aber ja auch, na ja, als so eine Art Manifest oder Bekenntnis zu diesem immer wieder heiß umstrittenen Satz gesehen werden: Der Islam gehört zu Deutschland.
    Ates: Das sehe ich nicht so, das können wir an jedem anderen Tag machen, aber nicht am Tag der deutschen Einheit, vor allem wenn Sie die Presseerklärung lesen, von der Sie gerade berichtet haben, des KRM. Also die Vereinigung, die das da jetzt anbieten und das Thema und der Fokus, den sie jetzt da gerade richten, ist ja Religiosität – individuell, natürlich und normal. Und das passt meiner Ansicht nach eher zu der Ideologie, auch die verbreitet wird und wie Kinder gerade in solchen Moscheen erzogen werden – mehr Frömmigkeit, und das ist wichtiger als schulischer Erfolg.
    "Die Ditib-Moschee in Köln steht ausschließlich für eine Parallelgesellschaft"
    Hondl: Also man kann es absolut als Provokation auffassen, ausgerechnet den deutschen Nationalfeiertag zum Tag der offenen Moschee zu erklären. Andererseits muss man sich ja nicht provozieren lassen, Frau Ates. Und wenn ich jetzt noch mal ganz extra naiv frage: Was ist denn jetzt per se schlecht daran, wenn, wie es dieser Koordinationsrat der Muslime formuliert, Ziel des Tages ist, Zitat jetzt, "100.000 Besucher, die Möglichkeit bekommen sollen, den Islam kennenzulernen und mit Muslimen ins Gespräch zu kommen", was ist daran schlecht?
    Ates: Daran ist ganz viel schlecht. An diesem Tag sollen Hunderttausende von Menschen sich beschäftigen mit dem Thema Islam, der Islam gehört zu Deutschland. Ich sehe nicht, dass das zur Integration beiträgt, sondern umgekehrt. Diese Leute signalisieren uns, wir interessieren uns viel mehr für unsere Religion und wollen unsere Religion hier in Deutschland platzieren. Das ist uns viel wichtiger als das, was seit dem Mauerfall dieses Land bewegt im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung. Von daher ist es immer eher eine Provokation als eine Öffnung zur Gesellschaft. Nein, beim Besuch des Herrn Erdogan hat die Ditib-Moschee, ausgerechnet eben genau die Moschee, die das jetzt hier eröffnet, bewiesen, dass die Bürgermeisterin von Köln, der Architekt, der Günter Wallraff, mit dem ich gestritten habe noch vor Ewigkeiten um diese Moschee, dass die nicht zu der sogenannten Eröffnung erscheinen, sondern diese Inszenierung für den Erdogan eben nicht mitmachen, weil die Ditib-Moschee in Köln ausschließlich für eine Parallelgesellschaft steht. Aber nun, man kann weiterhin naiv daran glauben, dass diese Menschen versuchen, eine gewisse Form von Integrationspolitik zu betreiben – ja, das machen sie vielleicht auch tatsächlich, aber nur nach ihrem Verständnis, wie Integration zu erfolgen hat.
    "Tag der offenen Moschee mindestens jeden Freitag"
    Hondl: Sie machen also nicht mit bei diesem Tag der offenen Moschee mit ihrer liberalen Berliner Moscheegemeinde, aber jetzt doch mal die Frage: Wie stellen Sie sich, um beim Bild zu bleiben, eine Öffnung der Moscheen vor, also eine Annäherung oder auch nur besseres Kennenlernen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschland?
    Ates: Ich bin ja der Ansicht, dass die Moscheen jeden Tag und mindestens an jedem Freitag einen Tag der offenen Tür haben sollten, nämlich dass die Moscheen offene Moscheen sind, wie die offene Kirche auch. Wir haben zwar an diesem Tag zu, weil wir am Tag der deutschen Einheit den Tag der deutschen Einheit feiern, ansonsten haben wir jeden Freitag nach dem Freitagsgebet, nach dem Ritual eine offene Gesprächsrunde, jeden Freitag. So funktioniert das, dass wir durchgängig das ganze Jahr über unsere Moschee so gestalten und unsere Arbeit, dass die Menschen über den Islam informieren, über unsere Arbeit informieren. Das geht nicht, wenn man das nur einmal im Jahr macht in dieser Form und dann auch noch an solch einem nationalen Feiertag.
    "Diese Menschen haben das Thema Religionsfreiheit nicht verstanden"
    Hondl: Nun ist es aber ja leider auch so, Frau Ates, dass Sie und Ihre liberale, jeden Tag offene Moscheegemeinde in Berlin, dass Sie extrem angefeindet werden, gerade von Ditib und generell konservativen islamischen Organisationen und Vertretern. Wie sehen Sie denn die Chancen, dass sich so ein liberales Islamverständnis wie das ihre überhaupt jemals mehrheitsfähig durchsetzen kann in Deutschland?
    Ates: Der Islam insgesamt ist sehr plural, des gibt nicht den Islam. Und das ist das Problem, was die großen Verbände am meisten haben. Die großen Verbände, Ditib vorne weg, und auch der Zentralrat der Muslime, die KRM, diese Menschen haben das Thema Religionsfreiheit nicht verstanden. Sie schreiben in ihren Mitteilungen, dass es eine Pluralität im Islam gibt, aber sie selber verstehen die Pluralität nicht. Sie selber akzeptieren die Pluralität innerhalb der muslimischen Gemeinschaft nicht, in dem sie Menschen zu guten und schlechten Muslimen erklären, in dem wir als liberale, säkulare Muslime als Nichtmuslime bezeichnet werden. Eine liberale Moschee wie unsere Moschee hat jetzt schon großen Erfolg. Das sieht man daran, dass Länder wie die Türkei und Ägypten oder auch Iran als große Autoritäten uns bekämpfen. Das heißt, diese kleine Moschee macht ihnen Angst. Warum? Weil sie ganz genau wissen, dass sie nur durch Gewalt – von Marokko bis Indonesien – alle liberalen Kräfte, alle Kräfte der Reformation im Islam stillhalten und unterdrücken nur mithilfe von Gewalt. Und wir trauen uns einfach. Warum trauen wir uns in Berlin? Weil wir Schutz haben durch diesen Staat, und dafür bin ich sehr dankbar. Weil ich Schutz habe durch das LKA, das mich begleitet, jeden Tag. Nur so können wir das leben, und ich glaube daran, dass diese Form, wie wir den Islam hier in Deutschland leben, in mehreren Jahren eine viel, viel größere Verbreitung gefunden haben wird, allein deshalb, weil immer mehr Menschen mutiger werden. Und zum Abschluss will ich erinnern: Es ist die gleiche Bewegung oder die gleiche Entwicklung, wie Martin Luther es seinerzeit auch gemacht hat, er hat auch ganz allein und ganz klein angefangen.
    Hondl: Sagt Seyran Ates, die Gründerin der liberalen Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin am Tag der deutschen Einheit, der für sie kein Tag der offenen Moschee ist. Vielen Dank, Frau Ates!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.