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Tag für Tag an die Belagerung erinnern

Als serbische Scharfschützen 1991 Sarajewo vier Jahre lang unter Dauerfeuer nahmen, wurde er zur Lebensader der Stadt: Der "Tunnel der Rettung" führte aus dem belagerten Zentrum zum UN-kontrollierten Flughafen. Wer den Tunnel nicht gesehen hat, kennt Sarajewo nicht, meint sein Erbauer.

Von Karla Engelhard |
    Knapp eineinhalb Meter hoch, eng und feucht ist der "Tunnel der Rettung" von Sarajewo, direkt am Flughafen. Einige Meter kann man ihn noch durchlaufen. Dabei lässt sich ahnen, wie beschwerlich es vor 20 Jahren gewesen sein muss, als der Tunnel die Lebensader der belagerten Stadt war. Edis Kolar baute mit am Tunnel – Als 17-jähriger Soldat beim bosnischen Militär. Heute ist Edis Museumsführer:

    "3000 Menschen – ungefähr - nutzten jeden Tag den Tunnel. Die bosnische Armee brachte so Soldaten, Lebensmittel, Treibstoff und Medikamente in die Stadt. Aus der Stadt kamen Verwundete und Informationen."

    Vier Jahre wurde Sarajewo von serbischen Militär belagert. 11.000 Menschen wurden getötet – serbische Scharfschützen schossen von den umliegenden Bergen auf alles, was sich bewegte. Im Fernsehen des Museums laufen die Bilder aus diesem Krieg, der erste der so umfassend gefilmt wurde.

    "Die Menschen konnten sich nicht schützen, sie starben. Den Vereinten Nationen war das nicht wichtig. Wir mussten den Tunnel bauen, um unser Familien zu schützen."

    Nur der Flughafen ließ eine Lücke im serbischen Ring um die Stadt. Er wurde von den Vereinten Nationen kontrolliert. Doch nach einem Abkommen zwischen den serbischen Streitkräften und der UN, durften nur die Vereinten Nationen den Flughafen nutzen – serbische Heckenschützen wachten darüber. Das Leben in Sarajewo ging trotz Belagerung weiter. Nina studierte zu dieser Zeit in an der Uni – in den Feuerpausen. Gebannt schaut sie auf den Monitor im Museum und erinnert sich:

    "Zigaretten, in Sarajewo wurden noch Zigaretten produziert. Es war das Hauptzahlungsmittel während der Belagerung. Meine Mutter war Professorin, sie bekam kein Geld – aber 30 Päckchen Zigaretten im Monat. Dafür konnten wir Öl für den Generator oder Zucker auf dem Markt eintauschen, wenn es etwas zu tauschen gab."

    Als Edis nach dem Krieg nach Hause kam, war sein Elternhaus zerschossen. Unter diesem Haus war der Einstieg zum Tunnel. Gemeinsam mit anderen Kriegsheimkehrern baute seine Familie einen Teil des Tunnels und das Haus zum Privatmuseum um. Edis bekam Arbeit – er führt Touristen durch die Tunnelgeschichte. Vor allem ausländische Touristen kommen, auch Staatsgäste oder Hollywoodstars – wie Angelina Jolie. Die Einheimischen machen meist einen Bogen um das Museum:

    "Der Krieg verändert die Menschen, viele wollen danach nur eins – schnell vergessen. Wir hatten keine Wahl - unser Haus war unbewohnbar geworden, so machten wir dieses Museum daraus."

    Vor Kurzem hat es die Regionalverwaltung übernommen. Edis wurde angestellt.

    "Es ist mein Job – aber es ist schwer für mich, mich Tag für Tag an die Belagerung zu erinnern - auch an die schlechten Erfahrungen."

    Doch, dass es notwendig ist, sich zu erinnern, daran hat Edis Kolar keine Zweifel:

    "Es ist unser Geschichte und es ist nicht nur die Geschichte Bosniens – Sarajewo hatte die längste Belagerung in der Geschichte der Welt."