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Tagebuch
Christoph Peters' Exkursionen ins Nichts

Anders als in seinem im vergangenen Jahr erschienenen Roman "Wir in Kahlenbeck" scheint sich der 1966 in Kalkar geborene Autor Christoph Peters mit seinem jüngst erschienenen Buch "Einschreiben Aufzeichnen" von einem durch Regeln bestimmten Alltag weit zu entfernen. Denn im Zentrum des Tagebuches steht ein Füllfederhalter und mit ihm die Reise ins Nichts.

Von Michael Opitz | 19.02.2014
    Der Schriftsteller Christoph Peters liest aus einem seiner Bücher vor.
    "Einschreiben Aufzeichnen" ist das neueste Werk des Schriftstellers Christoph Peters. (picture alliance / Erwin Elsner)
    Am 9. Februar beginnt Christoph Peters damit, seinen neuen Füllfederhalter einzuschreiben. Als Ergebnis der Einschreibarbeit ist ein Tagebuch entstanden, in dem Peters jeweils nur angibt, an welchem Tag und in welchem Monat die einzelnen Prosaminiaturen entstanden sind. Dass das Buch zwischen 2006 und 2007 geschrieben wurde, erfährt man eher beiläufig, unter anderem dadurch, dass der Autor die tägliche Schreibarbeit gelegentlich auch dazu nutzt, über seinen gerade fertiggestellten Roman "Ein Zimmer im Haus des Krieges" und über das noch im Entstehen begriffene Buch "Mitsukos Restaurant" zu reflektieren. Dadurch erhält der Leser zum Beispiel Einblick in den Prozess der Figurenfindung des Buches, an dem Peters arbeitet, wenn er über den Namen seiner zentralen Figur nachsinnt und sich fragt, wie sich die Figur verändert, wenn er ihren Namen ändert.
    Den Auftakt von "Einschreiben Aufzeichnen" aber bildet ein undatiert gebliebener Eintrag, in dem der Autor mitteilt, dass er von seiner Frau, der Schriftstellerin Veronika Peters, einen in England gefertigten Füller - ganz aus Silber - geschenkt bekommen hat:
    "Wir spielen, wenn wir Honorar bekommen, immer: Jeder bekommt etwas. Und als meine Frau ihr erstes Honorar bekam [...] habe ich eben diesen wunderbaren silbernen Füller geschenkt bekommen und stand dann vor dem Problem, dass er - wie alle anspruchsvollen Gerätschaften - nicht sofort gefügig ist, sondern eine Einschreibphase braucht."
    Das "Nichts" der "gefüllten Leere"
    Als beste Zeit, um das Gerät einzuschreiben, erweist sich der frühe Morgen. Erst danach beginnt für den Schriftsteller die eigentliche poetische Arbeit. Beim Einschreiben des Füllers geht es um nichts. Beide, Füllfederhalter und Autor, müssen sich ja nur aneinander gewöhnen. Zunächst empfindet der Autor einen gewissen Respekt vor dem wertvollen Füllfederhalter. Da es sich um keinen gewöhnlichen Füller handelt, glaubt Peters, das, was er aufschreibt, müsse ebenso wertvoll sein wie das Schreibgerät selber.
    Folge ist: Anfangs bringt er keine Zeile aufs Papier. Es geht zwar um nichts, aber bei Christoph Peters hat das Nichts durchaus einen philosophischen Hintergrund.
    "Also das Nichts, um das es geht, ist natürlich das asiatische Nichts. Das ist nicht unser Nichts der Leere und Langeweile, sondern das der gefüllten Leere, wie wir das aus dem Zen-Buddhismus kennen. Das ist ja wiederum gekoppelt als Erfahrung an den Moment. Alle Erfahrungen des Zen und alle Erfahrungen der Meditation ist gebunden an die Erfahrung des Moments der Stille, des einmaligen leeren Moments, der dann eben gefüllt leer ist. Und insofern korrespondiert dieses Schreiben mit dem Versuch, in den Moment zu kommen. Also jetzt, in diesem Moment, beginne ich, ich setze meine Feder, so leer wie möglich, auf das weiße Blatt Papier und vertraue darauf, dass der Moment um mich herum so mit etwas und allem gefüllt ist, dass aus dieser Fülle heraus etwas durch mein Bewusstsein in den Stift aufs Papier kommt, was ganz mit diesem Moment verknüpft ist. Nicht mehr und nicht weniger als dieser Moment, der unendlich wertvoll ist und unendlich einmalig - das versuche ich sozusagen, mit dieser Methode zu fassen."
    Peters schreibt auf, was er sieht und was passiert
    Auch wenn es um nichts geht - jeden Augenblick passiert etwas. Und einzelne Momente, die in der Summe das Geschehen eines Tages ausmachen, hält Peters in seinen Tagebucheintragungen fest. Sie handeln unter anderem davon, was er von seinem Schreibtisch aus sieht. Er beobachtet die Straße und die Bewohner des gegenüberliegenden Hauses. Aber es passiert auch genug in der eigenen Wohnung, denn das Ehepaar Peters hat eine Tochter und zum Haushalt gehört neben zwei Katzen auch ein Hund. Peters notiert, was er sieht und was geschieht. Prosaisches Einerlei und philosophischen Kabinettstücke, wie etwa "Als Gegenwart taugt die Vergangenheit wenig", wechseln einander ab. In der Summe vermitteln die Notizen einen Einblick in das Alltagsleben des Schriftstellerehepaares.
    Darüberhinaus aber öffnet sich durch das Tagebuch immer wieder auch jenes geheime Türchen, hinter dem im Verborgenen liegt, was als die Schreibwerkstatt des Schriftstellers bezeichnet wird.
    "Im Laufe der Arbeit war tatsächlich die große Überraschung zu merken, dass sich dieser Text, der scheinbar spontan und von Gegenwart zu Gegenwart geschrieben wird, doch als ein Großes und Ganzes, und beinahe von selbst strukturiert. Natürlich bin ich mir darüber im Klaren, dass es mein Unbewusstes ist, was diese Strukturierung vornimmt und dieses In-Komposition-denkende-Hirn, was eigentlich immer schreibend Wirklichkeit ordnet und strukturiert. Aber das konkret dabei zu beobachten, wie es aus all diesen Fragmenten - ohne dass ich zurück geguckt habe. Denn das war Teil des Konzepts: Ich blicke beim Schreiben nicht zurück, ich korrigiere nicht frühere Texte, sondern nur aus der Erinnerung, wie ich den Text im Gedächtnis habe, ergibt sich so etwas wie eine Ordnung, eine Komposition für das Ganze."
    Man könnte auf die Idee kommen, der Füllfederhalter sollte durch das Einschreiben auf die Begegnung mit Figuren vorbereitet werden, die in den zukünftigen Prosatexten von Christoph Peters auftauchen. Doch nicht für Prosa ist der Füllfederhalter gedacht, sondern Peters schreibt mit ihm Gedichte für einen gerade im Entstehen begriffenen Lyrikband. Überhaupt erweist sich das vermeintlich einer Laune geschuldete Buch als ein Schlüsseltext. Peters hatte es nach einem Entzug zu schreiben begonnen, wobei er sich disziplinierte, indem er sich auf das Schreiben konzentrierte. Die eine geschriebene Seite, die er sich zu Beginn eines jeden Tages abforderte, wurde im Verlaufe der Zeit zu einer neuen, dem Schreiben geschuldeten Sucht. Der Füller war für Peters ein Halt.
    Immer sonntags ein Bild von Matthias Beckmann
    Nur sonntags gönnte er sich und dem Schreibgerät eine Pause. An diesem Tag verzichtet er auf einen Text - dafür gibt es sonntags, sozusagen zur Erbauung, ein Bild von Matthias Beckmann.
    "Das Ganze ist für mich auch so ein profanes Stundenbuch. Von montags bis samstags ein ganzes Jahr und am Sonntag war eben nichts. Aber irgendwie fand ich dieses Nichts am Sonntag unbefriedigend. Ich wollte sonntags aber nicht noch einen Text machen und dann fiel uns zusammen ein: Hast Du nicht Lust, für den Sonntag jeweils eine Zeichnung zu machen? [...] Matthias hatte Lust und er ist dann dreimal eine Woche hier gewesen und hat gezeichnet, was er hier so sieht. Er macht quasi Linearauszüge aus der Wirklichkeit. Er schaut und er zeichnet. Er radiert nie, sondern er holt die relevanten Linien aus der Wirklichkeit heraus und setzt sie aufs Blatt. Das fand ich dann als Vorgehen einfach sehr passend zu dem, was die Texte als Methode haben: Das man hinguckt und versucht, das, was man sieht, zu erfassen und dem einen Ausdruck, eine Poesie oder eben auch eine Komposition abzugewinnen."
    Ein Jahr lang hat der Füllfederhalter Christoph Peters bei seinen Exkursionen ins Nichts begleitet. Jeder einzelner Eintrag hält fest, von welchem Punkt aus er sich auf den Weg gemacht hat und wohin ihn die Schreibewegung führte. Im Gebrauch des Geschenks zeigt sich sein Wert. Dass es wertvoll ist, erfreut den Beschenkten, der es täglich in die Hand nimmt. Veronica Peters hat ihrem Mann etwas Besonderes geschenkt. Das Geschenk hat Christoph Peters dazu veranlasst, ein Buch zu schreiben, und an der Freude über das Geschenk lässt er seine Leser teilhaben.
    Literaturangaben:
    Christoph Peters: "Einschreiben Aufzeichnen", mit Zeichnungen von Matthias Beckmann, Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2013. 424 Seiten, 29,90 Euro.