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Tagung der Akademie für Sprache und Dichtung
Wie Autoren über den Krieg schreiben

Heinrich Detering im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske | 26.10.2014
    Doris Schäfer-Noske: Wie erzählt man vom Krieg? Der vor ein paar Tagen verstorbene Schweizer Fotograf René Burri ist in Kriegsgebieten gewesen, hat aber nie einen Toten fotografiert. Und als er einmal einen Arm aus dem Boden ragen sah, da entschloss er sich, gerade dieses Bild nicht zu machen. Wie Autoren über den Krieg schreiben, das war jetzt Thema der Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Dabei diskutierten Schriftsteller wie Anne Duden oder Lukas Bärfuss und die Kriegsreporterin Carolin Emcke wurde für ihre engagierte Arbeit mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis ausgezeichnet. Auch der frisch gekürte Büchner-Preisträger Jürgen Becker ging in seiner Dankesrede auf das Thema Krieg ein, indem er auf sprachliche Herrschaftsmechanismen und die Propaganda des Dritten Reiches verwies.
    O-Ton Jürgen Becker: "Der Schrecken hält bis heute an, das Schaudern vor den Möglichkeiten der Sprache, die einen dazu bringt, sich einzureihen und mitzumachen, wenn es um die gewaltsame Realisierung von Ideen geht."
    Schäfer-Noske: Frage an den Präsidenten der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Heinrich Detering: Herr Detering, worum ging es denn genau bei der Herbsttagung in Darmstadt?
    Heinrich Detering: Es ging um die Frage, wie gehen wir eigentlich um, wir alle, die wir Zeitung lesen und Fernsehnachrichten anschauen, mit der Flut der verstörenden Bilder, der wir eigentlich jeden Tag ausgesetzt sind: Sollen wir abschalten, sollen wir hinsehen, sollen wir versuchen, dazu beizutragen, dass die Bilder und die Geschichten anders werden, als sie jetzt sind. Es ging also ganz unmittelbar um gegenwärtige, um jeden Tag gegenwärtige Erfahrungen.
    Schäfer-Noske: Welche unterschiedlichen Positionen wurden denn da bei der Diskussion deutlich?
    Detering: Vielleicht wurden weniger unterschiedliche Positionen deutlich als unterschiedliche Erfahrungen, und wenn etwas ein gemeinsamer Nenner in theoretischer Hinsicht war, dann war es der, dass die Literatur eine Schule der Empathie sein kann, wenn sie ihre Aufgabe ernst nimmt, dass sie uns Mitgefühl in einem nicht sentimentalen, sondern genauen Sinne lehren kann.
    Schäfer-Noske: Die Kriegsreporterin Carolin Emcke wurde ja wie gesagt mit dem Merck-Preis ausgezeichnet. Wo verläuft denn da die Grenze, wenn es denn eine gibt, zwischen Reportagen und der Literatur eines Lukas Bärfuss?
    Detering: Wenn wir etwas bemerkt haben, wir alle, die wir dabei waren im Laufe dieser letzten Tage, dann die Tatsache, dass es diese Grenze nicht gibt. Carolin Emcke ist eine literarische Erzählerin, nur dass sie sich ihre Geschichten nicht ausdenkt, sondern sehr präzise hinschaut, was sich tatsächlich in der Welt abspielt, und zwar bei uns zuhause wie in Afrika oder in anderen Konfliktgebieten. Und Lukas Bärfuss schreibt ja einen Roman wie "Hundert Tage" über den Völkermord in Ruanda aus der Erfahrung von eigenen Reisen und Beobachtungen dort, also einer, wenn man will, journalistischen Tätigkeit heraus. Und auch Dichterinnen, Poetinnen wie Anne Duden gehen von Erfahrungen aus, die in ähnlicher Weise selbst gemacht worden sind, die nicht ausgedacht sind. Das sind ganz fließende Grenzen.
    Schäfer-Noske: Stellen Sie denn einen Trend in der Literatur wieder hin zu mehr Kriegsliteratur im engeren Sinne fest, durch die aktuellen Ereignisse der letzten Zeit?
    Detering: Ich glaube, das ist so, und ich glaube, das kann auch gar nicht anders sein. Einen ausgezeichneten Beitrag zu Ihrer Frage hat die Dankrede von Carolin Emcke gegeben, die uns alle wie der Donner berührt hat. Carolin Emcke hat nicht über eine Szene aus eigenen Kriegsanschauungen gesprochen, sondern über das Hinrichtungsvideo, das der sogenannte IS von der Hinrichtung eines amerikanischen Soldaten gedreht und ins Netz gestellt hat. Das heißt, sie hat über etwas gesprochen, was wir alle am Bildschirm im Internet oder im Fernsehen jederzeit anklicken konnten und sehen konnten, und sie hat daran etwas erörtert, was mit dem Krieg in Syrien und zugleich mit unserer heimischen Wohnzimmererfahrung jeden Abend zu tun hat. Und zu zeigen, wie eng beieinander diese beiden Schauplätze längst geworden sind, das war das Ziel von Carolin Emckes Rede, und daran wird sichtbar, dass die Literatur mit Aufgaben, mit Herausforderungen konfrontiert ist, die sich hier zuhause jeden Tag stellen.
    Schäfer-Noske: Ich habe zu Anfang den vor ein paar Tagen verstorbenen Schweizer Fotografen René Burri genannt, der nie einen Toten fotografiert hat. Gibt es in der Literatur oder auch in der Kriegsreportage Tabus?
    Detering: Oh ja! Mit einem der bekanntesten und meistdiskutierten Tabus haben wir unsere Tagung auch gleich begonnen: das, was wir mit unbeholfenen Begriffen Holocaust oder Schoa nennen. Wir haben mit einem der wichtigsten Autoren, dem Wiener Schriftsteller Robert Schindel über seine Schreiberfahrungen und auch über einige seiner Texte gesprochen, und immer wieder ging es um die Frage, an welchem Punkt muss die Literatur aufhören, weiterzusprechen, und wie kann sie diesen Punkt des nicht darstellbaren, des nicht sagbaren so umstellen mit Wörtern, dass wir lesend das Fehlende, das nicht Gesagte ergänzen können, wenn nicht in Sprache, so doch in unserer Vorstellung oder in unserem Nachdenken.
    Schäfer-Noske: Jürgen Becker, der bei der Tagung ja mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, hat eine Kindheit und Jugend erlebt, die vom Krieg und von den Trümmerlandschaften geprägt war. Gleichwohl war ja Krieg bei ihm nicht unbedingt das beherrschende Thema.
    Detering: Und doch ist die Gegenwärtigkeit des Krieges in den Nachkriegslandschaften allgegenwärtig. Und der Titel unserer Tagung, "Vom Krieg erzählen", geht etwas verändert auf ein bekanntes frühes Gedicht von Becker zurück, das die Überschrift trägt "Erzähl mir nichts vom Krieg", eine sarkastisch gemeinte Überschrift, und das Gedicht schildert eine Szene, wo zwei Fußballmannschaften auf einem Dorfplatz gegeneinander bolzen und der Betrachter plötzlich bemerkt, dass sie nicht nur gegeneinander kämpfen, als ob sie Soldaten wären, sondern dass sie ja noch immer die Soldaten sind, die sie vor ein paar Jahren waren.
    Schäfer-Noske: Das war Heinrich Detering, der Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, über die Herbsttagung der Akademie in Darmstadt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.