Dienstag, 19. März 2024

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Tagung des Klimakabinetts
"Schnell CO2-Preis über eine Steuer einführen"

Wenn Deutschland seine Klimaziele bis 2030 einhalten wolle, müsse die Bundesregierung schnell eine CO2-Steuer einführen, sagte Thorsten Lenck von der Denkfabrik Agora Energiewende. Vor allem in den Bereichen Wärme und Verkehr müssten dringend und zeitnah Emissionen eingespart werden.

Thorsten Lenck im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 18.07.2019
Rauchwolken über dem Braunkohlekraftwerk Niederaußem, betrieben durch RWE Power in Bergheim. (Mit Denkfabrikstempel)
In den Bereichen Wärme und Verkehr müssten dringen und schnell Emissionen eingespart werden, so Lenck (imago / Imagebroker)
Es sei möglich, die Klimaziele bis 2030 einzuhalten, "aber wir sollten schnell damit anfangen", sagte Thorsten Lenck im Dlf. In den Bereichen Wärme und Verkehr müsste begonnen werden, da es dort hohe Emissionsentwicklung zu verzeichnen gebe.
Schon vor 30 Jahren habe es ähnliche Diskussionen über Emissionen und die Klimabelastung gegeben, aber Deutschland habe nicht gehandelt, deswegen würden die für 2020 gesteckten Klimaziele auch "krachend verfehlt werden". Grund dafür sei die politische Angst davor, den Wähler zu belasten.
"Haben nicht mehr die Zeit, lange zu warten"
Wichtig sei jetzt, einen CO2-Preis zu definieren. Ein gutes Instrument hierfür sei es, den Zertifikate-Handel auszuweiten. Der Vorteil daran sei, dass die Politik den Preis nicht entscheiden müsse, sondern der Markt.
Eine CO2-Steuer, wie von SPD und Grünen gefordert, sei von der wissenschaftlichen Theorie her das bessere Modell. Es brauche jetzt vor allem ein schnelles Instrument, so Lenck. "Ganz schnell sollte ein CO2-Preis über die Steuer-Lösung eingeführt werden, wenn man wirklich kurzfristig was bewirken will. Aus meiner Sicht ist es dringend notwendig, dass wir schnell in einen CO2-Preis kommen, weil wir nicht mehr die Zeit haben, lange zu warten."

Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Dass Deutschland die selbstgesteckten Ziele in der Klimapolitik reißen wird, das ist lange bekannt, zumindest die, die sich die Bundesregierung für das Jahr 2020 gesetzt hatte. Damit es nicht auch mit den Zielvorgaben bis 2030 passiert, auf die sich Deutschland im Klimavertrag von Paris völkerrechtlich verpflichtet hat, deswegen will die schwarz-rote Koalition jetzt Tempo machen. Heute tagt das sogenannte Klimakabinett, in dem alle relevanten Ministerien vertreten sind, und da ist die große Frage, welchen Preis soll der Ausstoß von Kohlendioxid in Zukunft haben, und welches Modell ist das geeignete, eine Steuer, eine Ausweitung des Zertifikatehandels, den es bereits gibt auf europäischer Ebene. Diverse Gutachten liegen zum Thema bereits vor, jetzt aber kommt langsam die Zeit für politische Entscheidungen.
Wir können das Thema ein bisschen vertiefen jetzt an dieser Stelle, und zwar gemeinsam mit Thorsten Lenck, er ist Projektleiter der Agora Energiewende, das ist eine Denkfabrik in Form einer gemeinnützigen GmbH, die sich zum Ziel gesetzt hat, mehrheitsfähige Konzepte zur Energiewende zu entwickeln, und hinter der Organisation stehen die Stiftung Mercator und die European Climate Foundation, Guten Morgen, Herr Lenck!
Thorsten Lenck: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Lenck, zunächst mal grundsätzlich gefragt: Denken Sie, dass Deutschland seine Klimaziele bis 2030 überhaupt einhalten kann, oder wird man auch dann da sagen müssen, sorry, wir waren nicht ehrgeizig genug?
Lenck: Wir können sie einhalten, aber wir sollten jetzt schnell damit anfangen, vor allem bei Wärme und Verkehr, in die Emissionsminderung zu kommen. Dann ist das Ziel 2030 auch wirklich erreichbar.
"Wir haben keine CO2-Bepreisung für Wärme und Verkehr"
Heckmann: Was ist denn der Hauptgrund dafür, dass die Klimaziele, die man sich bis 2020 ja selbst gesetzt hatte, weshalb die gerissen werden?
Lenck: Daran ist die Emissionsentwicklung gerade in den Sektoren Wärme und Verkehr letztlich schuld. Wir haben in den unterschiedlichen Sektoren ja bisher verschiedene CO2-Mechanismen, und zwar im Wesentlichen den europäischen Emissionshandel, der vor allem für Emissionen in der Energiewirtschaft und in der Industrie gilt, aber wir haben keine CO2-Bepreisung für Wärme und Verkehr, und das sehen wir dann auch deutlich, dass sich das niederschlägt in der Emissionsentwicklung über die letzten Jahre, dass wir einen leichten Rückgang im Gebäudesektor haben bei Gebäudewärme, aber Anstiege der Emission im Verkehrsbereich, und das läuft natürlich der Zielerreichung zuwider, und das führt dazu, dass wir 2020 das gesetzte Klimaziel krachend verfehlen werden.
Heckmann: Und woran liegt das aus Ihrer Sicht, dass wir erst jetzt darüber diskutieren? Andere Länder sind ja schon weiter.
Lenck: Andere Länder haben deutlich früher angefangen. Wir haben auch lange, lange diskutiert. Neulich bin ich drauf aufmerksam gemacht worden, dass wir vor 30 Jahren schon mal so eine sehr, sehr ähnliche Diskussion um Umweltschutzthemen geführt haben, und wenn man sich das durchliest, hatten wir da letztlich die gleichen Argumente, die wir heute auch noch mal austauschen. Also wir haben es schon lange diskutiert, was wir dann aber gemacht haben ist, dass wir uns ehrgeizige Ziele gesetzt haben, aber dann nicht dahingekommen sind, die zu erreichen. Wir haben immer davon gesprochen, ja, wenn wir die Ziele erreichen wollen, dann müssten wir das und das tun, und die Zeiten haben sich jetzt geändert, jetzt sind wir soweit, dass wir sagen, wir wollen die Klimaziele erreichen, und wir werden jetzt das und das tun. Das das und das steht jetzt auch auf der Agenda der Politik und heute Abend dann auch wieder beim Klimakabinett.
"Wir wollen ja, dass klimaschonendes Verhalten sich lohnt"
Heckmann: Und wer genau hat da gebremst aus Ihrer Sicht?
Lenck: Das ist letztlich wahrscheinlich die politische Angst davor, den Wähler zu belasten. Das ist natürlich ein unbequemes Thema, wenn ich das, wodran wir gewöhnt sind, verändern möchte, und diese Veränderungen sind allerdings notwendig. Dann ist die Frage, mit welchen Instrumenten können wir das auch letztlich richtig angehen, um auch Verteilungseffekte zu haben, die wir im Griff behalten können, denn es geht natürlich um Verteilungseffekte auch bei dem Thema CO2-Bepreisung. Wir wollen ja, dass klimaschonendes Verhalten sich lohnt, und dazu müssen wir das Preissystem ändern. Wenn wir jetzt über eine Anreizstruktur denken, könnten wir jetzt Fördermittel beispielsweise nehmen und das in die klimaschonenden Techniken stecken. Dann bräuchten wir aber das Geld aus dem Bundeshaushalt dafür. Da ist die Frage, woher soll das kommen, und deswegen ist das Thema CO2-Bepreisung spannend, weil ich damit das bestehende Abgaben-Umlagen-System umbauen kann, die CO2-Bepreisung, und zu einer Umshiftung komme, die natürlich diejenigen stärker belastet, die einen hohen CO2-Verbrauch haben. Das wollen wir ja auch, dass die einen Anreiz haben, auf die klimaschonenden Technologien umzusteigen.
Heckmann: Okay, und dann gibt es da verschiedene Modelle, haben wir ja gerade gehört vom Kollegen aus Berlin, bei der CO2-Bepreisung. Die Wirtschaftsweisen von Wirtschaftsminister Peter Altmaier, die favorisieren einen Ausbau des Zertifikatehandels, den es ja jetzt schon gibt für die Industrie auf europäischer Ebene, das auszuweiten auf Wärme und Verkehr. Was wäre hier der Vorteil bei diesem Modell?
Lenck: Der Vorteil ist ganz klar die Ausweitung eines Emissionshandels oder generell vom Emissionshandelssystem, dass die Politik nicht entscheiden muss, wie hoch ist der Preis, sondern die Politik sagt, gibt vor, wie viel Emissionen erlaubt sind und überlässt letztlich dem Markt die Preisfindung. Das ist ein ganz wesentlicher Vorteil dieses Systems, dass der Markt entscheiden kann, wie hoch der Preis ist, denn dann kommen die Technologien zum Tragen, die am günstigsten sind, und wir können am günstigsten Klimaschutz machen.
Heckmann: Hat aber auf europäischer Ebene nicht wirklich funktioniert, richtig?
Lenck: Das Emissionshandelssystem funktioniert. Da hatten wir das Problem der zu großen Zuteilung von Zertifikaten, dass wir deswegen lange Zeit keinen richtigen Preis gesehen haben. Das wurde jetzt korrigiert, jetzt sehen wir auch wieder Preisanstiege. Aktuell sind wir bei 28 Euro pro Tonne CO2. Das zeigt auch im Energiewirtschaftssektor und in der Industrie schon Wirkung, aber es gilt nicht für die Sektoren Wärme und Verkehr.
"Jetzt ist die Zeit zu handeln"
Heckmann: Soweit also der Zertifikatehandel. SPD und Grüne, die fordern eine CO2-Steuer, auch weil die schneller umsetzbar sei. Ist das eigentlich so?
Lenck: Es ist momentan strittig. Es gibt momentan Rechtsgutachten und Papiere aus dem Bundesumweltministerium, die sagen, beispielsweise die Integration von Wärme und Verkehr in das bestehende Emissionshandelssystem europäisch hätte juristische Schwierigkeiten. Man würde wahrscheinlich auch Klagen von anderen Mitgliedsstaaten erwarten, wenn wir die Sektoren Wärme und Verkehr aus Deutschland in das europäische Emissionshandelssystem integrieren, denn das würde bedeuten, wir hätten einen CO2-Preis, der für Energie, Industrie, Wärme und Verkehr gleichermaßen gilt. Dann muss man sich angucken, wo würde dann bei steigenden CO2-Preisen der Klimaschutz stattfinden, und das wäre zunächst einmal im Stromsektor, und das vor allem im europäischen Stromsektor. Das heißt, gerade Kohlekraftwerke im Ausland würden weniger laufen, und da würden wir Klagen erwarten von unseren osteuropäischen Nachbarn gegen dieses System, und das hätte keinen …
Heckmann: Also juristische Schwierigkeiten – pardon, wenn ich da kurz einhake –, aber wäre es vielleicht auch sonst das bessere Modell, die CO2-Steuer?
Lenck: Von der wissenschaftlichen Theorie ja, die CO2-Steuer. Wir haben aber sehr, sehr unterschiedliche Kosten, was die CO2-Vermeidung anbelangt, und es sollte auch mitberücksichtigt werden bei der Entscheidung, dass wir nicht nur im Stromsektor Klimaschutz machen, sondern auch anfangen, in Wärme und Verkehr den Klimaschutz zu betreiben, denn insgesamt, das zeigen Studien, ist das eine Riesenaufgabe. Wir haben Rieseninvestitionen vor uns, gerade im Wärme- und Verkehrssektor, und das müssen wir langfristig angehen. Jedes Jahr, was wir dort vertun, kostet uns nachher stärkere Ambitionen, und wir müssen umso schneller dann den Klimaschutz vorantreiben. Das heißt, wir bräuchten Instrumente, die jetzt schnell einführbar sind. Wegen der juristischen Schwierigkeiten, um es kurzzufassen, bleibt dann letztlich nur eine Steuerlösung übrig – kurzfristig.
Heckmann: Und die Wirtschaftsweisen, die sagen, man könnte auch beide Modelle miteinander kombinieren. Wird es darauf hinauslaufen?
Lenck: Es könnte. Die Kombination würde aber auch nicht dazu führen, dass wir jetzt schnell ein neues Instrument haben, sondern wir müssten dann auch wieder einen Emissionshandel neu aufsetzen für Wärme und Verkehr, wenn wir das nationalstaatlich machen, oder hätten das Problem, dass wir, wenn wir uns dafür entscheiden, die Sektoren Wärme und Verkehr in das europäische Emissionshandelssystem zu integrieren, dass wir eventuell dann doch keinen wirksamen Preis haben, weil Klagen gegen das System anstehen, was die Leute dann nicht dazu bewegt zu investieren, wenn das System an sich unsicher ist.
Heckmann: Also was müsste jetzt ganz schnell passieren?
Lenck: Ganz schnell sollte ein CO2-Preis über die Steuerlösung eingeführt werden, wenn man wirklich kurzfristig noch was bewirken will, und aus meiner Sicht ist es dringend notwendig, dass wir schnell in einen CO2-Preis kommen, weil wir nicht mehr die Zeit haben, lange zu warten. Wir haben vor 30 Jahren schon mal diskutiert und nichts gemacht. Jetzt ist die Zeit zu handeln, und deswegen brauchen wir auch jetzt einen CO2-Preis, der nach Möglichkeit noch anfängt in dieser Legislaturperiode für Wärme und Verkehr zu wirken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.