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Tagung in Berlin
Sprache als Waffe und Heilmittel

Die möglichen Auswirkungen einer radikaler werdenden Sprache waren Thema einer Tagung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Doch anders als etwa ein Messer sind Worte keine Waffen, die irreparable Blessuren hinterlassen. Wunden durch Worte können wieder geheilt werden: mit Sprache.

Von Andreas Beckmann | 25.01.2018
    US-Präsident Donald Trump
    US-Präsident Donald Trump polarisiert mit Äußerungen (dpa / picture alliance / Mike Theiler)
    "Sprache ist eine Waffe". Anknüpfend an dieses Bonmot von Tucholsky fand am Wochenende im Salon Sophie Charlotte in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eine Tagung statt, die mehr einem Science-Festival glich als einer Konferenz, auf dem sich das Publikum in überfüllten Veranstaltungen mit Snacks und Rotwein Gesprächen über Tier- und Jugendsprache, über Sprachkunst und Kunstsprache widmete. Der inhaltliche Fokus lag dabei allerdings nicht mehr auf Tucholsky, dessen Zitat mit dem Aufruf weiterging, die Waffe der Sprache scharf zu halten, damit sie für Kritik einsetzbar bleibe.
    Den Salon Sophie Charlotte prägte die Sorge, dass im alltäglichen wie im politischen Gespräche die Schärfe überhand nehmen und zu Verletzungen führen könnte. In Zeiten von Trump und Pegida drehten sich Debatten um verbale Ab- statt Aufrüstung.
    Vor etwa 500 Jahren, als noch niemand an Gott zweifelte, fühlten die Menschen intuitiv, dass Sprache eine furchtbare Waffe sein konnte. Ganz besonders deutlich wurde das, erzählt der Dresdener Mittelalter-Historiker Gerd Schwerhoff, wenn die Geistlichkeit den Vorwurf der Blasphemie erhob.
    "Es gibt sehr eindrückliche Holzstiche, wo die verschiedenen Stände des 16. Jahrhunderts unter dem Kreuz stehen und mit ihren Speeren den gekreuzigten Christus traktieren. Das ist der Vorwurf, den die Theologen tatsächlich jedem Gotteslästerer machten, den Gekreuzigten mit ihren Zungen noch einmal zu kreuzigen. Für die Menschen der damaligen Zeit war es keine Frage, dass man mit Sprache verletzen konnte, und zwar in einem ganz körperlichen, unmittelbaren Sinne."
    Verletzung durch Sprache im MRT sichtbar
    Aufgeklärte Zeitgenossen wissen heute natürlich, dass Worte nicht Wunden reißen wie Speere. Deshalb halten sie es auch nicht für Schwäche, sondern für ein Zeichen der Überlegenheit, wenn Angela Merkel etwa Nazi-Vergleiche des türkischen Präsidenten Erdogan einfach an sich abperlen lässt. Doch die Vorstellung, dass Verbalinjurien den Menschen heute nichts mehr anhaben könnten, lässt sich im Lichte der modernen Wissenschaft nicht aufrecht erhalten, erklärt der Münchener Historiker Martin Zimmermann.
    "Da war es für mich sehr lehrreich, dass die Neurologen immer wieder darauf hingewiesen haben, dass verbale Gewalt im Gehirn genauso abgebildet wird wie physische Gewalt. Daher kommt ja auch das Wort, du hast mich verletzt, buchstäblich wird es so wahrgenommen."
    Sprache taugt also eindeutig als Mittel der Gewalt. Und oberflächlich betrachtet scheint sie zunehmend so verwendet zu werden, gerade von der jüngeren Generation.
    "Jugendliche können nicht von sich aus auf die Idee kommen, dass der Begriff "Du Jude" oder "Du Schwuler", "Du Spasti" in irgendeiner Weise beleidigend oder stigmatisierend wirken können. Das muss gelehrt werden."
    Sie meinen es gar nicht so, hält ihnen der Linguist Niels Bahlo von der Universität Münster zu Gute.
    "In erster Linie dient Jugendsprache dazu, Distinktion zu betreiben. Es geht darum, zu sagen, wer bin ich, wer ist meine Gruppe, wer ist die Community, mit der ich mich beschäftige und mit der ich einen einheitlichen Werte- und Normenkanon pflege, und wer sind die anderen."
    Mädchen sind im Sprachumgang sensibler
    Jugendliche wollen im Allgemeinen niemandem wehtun. Wenn sie unter sich sind, denken sie kaum an andere, sondern vor allem an sich und ihre Gemeinschaft, die sie festigen wollen. In der Pubertät, wenn sie besonders intensiv auf Identitätssuche sind, tun sie das vorzugsweise nach Geschlechtern getrennt.
    "Was die Wissenschaft herausgearbeitet hat, ist, dass Mädchen wesentlich sensibler umgehen mit Sprachgebrauch. Sie wissen schon eher, wie andere darauf reagieren, was vielleicht verletzend sein kann. Sie denken öfter über Sprachgebrauch nach, zum Beispiel über Sprachgebrauch in der Öffentlichkeit. Das heißt aber nicht, dass sie nicht auch in der Bahn oder dem Bus laut sein können, dass sie sich nicht genauso vulgär verhalten können."
    Problematischer als das Getöse der Jugend sind sprachliche Grenzverletzungen von Erwachsenen. Die hat es immer gegeben, vor allem auf der politischen Bühne. Viele Zeitgenossen erinnern sich mit nostalgisch verklärtem Blick an Bundestagsdebatten, in denen sich Herbert Wehner und Franz-Josef Strauß verbal attackierten. Doch wenn heutzutage der amerikanische Präsident über die Strenge schlägt, hat das eine andere Qualität, meint Uffa Jensen, der sich in Berlin mit der Geschichte der Gefühle beschäftigt.
    "Für mich als Antisemitismus-Forscher oder als Vorurteilsforscher sind Beleidigungen einerseits natürlich oft das Salz in der Suppe, manchmal auch notwendig, aber es wird in dem Moment höchst problematisch, wie sie auf bestimmte Gruppen, bestimmte ethnische, religiöse, kulturelle Qualitäten der Beleidigten abzielen. Da ist Trump schon eine radikale Nummer, weil er diese Vorurteile in der Gesellschaft verbreitert hat."
    Political Correctness kein Patentrezept
    Trump ist nicht die Ursache des Problems, aber in einer emotional aufgeheizten Gesellschaft wie der amerikanischen fungiert er wie ein Brandbeschleuniger. Dem setzen Linke und Liberale gern eine Art Political Correctness entgegen, also Regeln, die helfen sollen, achtsam mit Verletzlichkeiten und Empfindsamkeiten umzugehen. Leute wie Trump zeigen sich dadurch eher angestachelt, noch einen drauf zu setzen. Aber auch diejenigen, die geschützt werden sollen, fühlen sich dabei nicht unbedingt wohl, hat Martin Zimmermann bei einem Forschungsaufenthalt in Princeton bemerkt.
    "Diese Political Correctness gegenüber Schwarzen und Asiaten soll ja die Unterschiede leugnen, nivellieren, hat aber genau den gegenteiligen Effekt. Das ist ganz merkwürdig. Die Asiaten an dieser Universität nehmen sich plötzlich als Asiaten wahr, weil sie merken, dass jemand auf alle Fälle verhindern will, dass da in der Sprache etwas transportieren wird, das sie abgrenzt. Man macht sich nur noch Gedanken, wer zu welcher Ethnie gehört."
    Selbstverständlich will sich niemand rassistische Stereotypen anhören, aber auch Rücksichtnahme kann herabsetzend wirken. Selbstbewusste erwachsene Menschen wollen nicht in Watte gepackt werden, weil auch das ihnen anzeigt, dass sie nicht für voll genommen werden. Dieses Problem taucht auch bei der sogenannten leichten Sprache auf. Die verwendet etwa der Deutschlandfunk freitagabends in seinem Wochenrückblick. Sie findet sich aber auch in Bedienungsanleitungen oder Wahlprogrammen. Das hilft manchen Menschen, komplizierte Sachverhalte zum ersten Mal zu verstehen, stellt die Sprachdidaktikerin Bettina Bock von der Universität Köln fest. Aber nicht alle werden damit glücklich.
    "Weil es auch aus der Zielgruppe Kritik gibt. Weil man sich nicht identifiziert mit der nicht vorhandenen Ästhetik, dem nicht vorhandenen Stil dieser Sprache. Es ist immer die abweichende Parallelform von einer Volltext-Form, beim Wahlprogramm etwa gibt es die Originalfassung und die leichte Fassung. Bei dieser leichten Sprache ist eben das Besondere, dass man hier von außen in einer bestimmten Form adressiert wird. Und da liegt ein Stigmatisierungspotenzial, auf jeden Fall."
    Sprache als Heilmittel
    Komplizierte Formulierungen können hingegen erniedrigen, wenn sie das Gegenüber als begriffsstutzig dastehen lassen. Dass sowohl leichte wie schwere Sprache verletzend wirken kann, zeigt, dass es keine Patentrezepte gibt. Doch anders als Faust, Messer oder Pistole sind Worte keine Waffen, die irreparable Blessuren hinterlassen können. Wunden, die von Worten herrühren, können mit dem gleichen Mittel geheilt werden, mit dem sie zugefügt wurden: mit Sprache. Man kann ja noch mal drüber reden.