Dienstag, 30. April 2024

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"-tainment!"

Kein Medium ist derzeit wohl so fragwürdig geworden wie das Bild. Einstmals als wahres Abbild der Wirklichkeit begrüßt, ist es heute zu so etwas wie einem Schnappschuss innerhalb der Gesamtproduktion "Bewusstseins-Industrie" geworden, ein Medium, jederzeit einsetzbar, beliebig manipulierbar, eine Hohlform für die Inhalte der Medienindustrie, die etwas anderes will als Wahrheit, nämlich: Schein, Mythen, Emotionen, Infotainment, Edutainment, wie auch immer. Es sei an Peter Sloterdijk erinnert, der angesichts der Berichterstattung über den Irakkrieg formulierte, der "Krieg sei zu langsam" für die Bildernachfrage im Fernsehen.

Von Carsten Probst | 05.01.2005
    Wie verhalten sich Künstler in einem solchen aufgerüsteten Feld medialer Bilderfluten? Das will die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst in Berlin mit Hilfe einer Ausstellung analysieren. Sie heißt: "-tainment. Spielformen der Bewusstseinsindustrie".

    Zwei Kinderhände, ganz groß im Bild, die eine Fünfundvierziger Magnum halten. Die Pistole ist viel größer als beide Hände zusammen, und sie ist echt. Aber diese Kinderhände scheinen sich bestens auszukennen mit dem Schießeisen. Geschickt zerlegen sie die Waffe in ihre Einzelteile und setzen sie ebenso fix wieder zusammen. Die gebürtige Münchnerin Monika Oechsler, die inzwischen in London lebt und arbeitet, hat für ihren Videofilm den einzigen offiziell zugelassenen Waffenclub in Großbritannien aufgesucht, der seine Mitgliedschaft bereits an Kinder ab acht Jahren vergibt. Auf das Angebot wird offenbar reichlich zurückgegriffen auf der Insel, denn im Film führen durchaus verschiedene Kinderhände ihre Waffenkunststücke vor.

    Irgendwie scheint vieles an der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie mit Waffen und Krieg zu tun zu haben. Unterhaltung ist Krieg, könnte man sagen, diese spezifische Sorte von Terror, die sich mit den Endsilben. "-tainment" garniert und aus allen Lebenslagen ein rechtes Kinderspiel macht. Die Abteilung "Realismusstudio" der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst vermeidet Übertreibungen in ihren Ausstellungen, künstlerische Arbeiten sollen die gesellschaftliche Realität dokumentieren, so, wie sie ist, und das reicht ja oft schon, um jede Übertreibung entbehrlich machen.

    Der Schweizer Marc Lee tut nichts anderes, als über einen Computer ein Internet-Unternehmen vorzustellen, das ein automatisiertes Online-Nachrichtenportal entworfen hat. Loogie.net, so der Name des Portals, verarbeitet Suchanfragen zu aktuellen Meldungen, die ausschließlich von Computeralgorithmen, ohne Einwirkung von Menschen erstellt werden. Dabei kann der Benutzer aber die Nachrichten selbst manipulieren und als Meldungen ins Netz stellen, die auch die Suchmaschine Google aufspürt und anzeigt. Der Amerikaner Jon Haddock spitzt dieses Prinzip der privaten Realitätsverfremdung zu, indem er Screenshots fiktiver Computerspiele produziert, die nach dem Vorbild der klassischen Simulationsspiele funktionieren, jedoch Pressefotografien welthistorischer Ereignisse seit 1945 wiedergeben. Man sieht den chinesischen Dissidenten Wang Weilin vor einem Panzer auf dem Platz des Himmlischen Friedens, das Schulmassaker an der Columbine School oder den zerstörten Mercedes von Prinzessin Diana am Pariser Place de l’Alma. Bei Missfallen kann die Weltgeschichte durch Klicken der Reset-Taste neu gestartet werden.

    All that’s "-tainment", gewiss. Aber im übrigen aber zieht in dieser Ausstellung allzu vieles Bekannte vorüber: Die Fernsehshows mit Intimbeichten, öffentliche Psychoberatung, Endlosschleifen von Loopingbahnen in Vergnügungsparks. Der Erkenntniswert erschöpft sich hier viel zu schnell Summarischen und Aneinandergereihten. Das erstaunt nun aber gerade an diesem Ort, der Kreuzberger NGBK, deren Themenausstellungen sich so oft durch subtil-bissige und höchst originelle Unabhängigkeit vom kunstbetrieblichen Allgemeingut auszeichnen. Hier aber sind es nur die wenigsten Arbeiten, die den Mut zur verwirrenden Hintergründigkeit jenseits der Bildoberflächen haben. Das Künstlerduo Beate Geissler und Oliver Sann zeigt das an einem schlüssigen Beispiel. Die beiden Kölner haben hier unter anderem großformatige Fotografien aufgehängt von Uniformierten in einer weiten, baumlosen Landschaft, deren nähere Bestimmung sich dem Betrachter verschließt. Es könnten Bilder von fiktiven Militäroperationen sein, aber es sind keine Kampfhandlungen zu sehen. Aber es geht ja auch um gespielte Realität: Die Uniformierten stehen wie Spielfiguren in einem realen Raum, der aber zugleich abstrakt erscheint, als wären sie für Jedermann verfügbar, und doch irritiert, dass es sich um lebendige Körper handelt. Hier wird die perverse Poesie des Begriffs "Menschenmaterial" als Spielschema ins Bild gesetzt, in dem sich die verschwiegene Grundanalogie von Kriegsspiel und Entertainment spiegelt. Denn worum geht es beim "-tainment" anderes um Verfügbarkeit? Der Reiz des "-tainment" entfaltet sich für ein Publikum, dessen zeitgemäßes Bedürfnis dahin geht, Anstrengung und Erholung, Freiheit und Disziplinierung unmittelbar miteinander zu kombinieren. Man will eine Realität, in die man ständig eingreifen kann, aber zugleich will man auch ergriffen werden. Verfügbar machen und verfügbar sein: Für dieses buchstäblich halsbrecherische Paradox hätte man sich gerade einmal rund um die Weihnachtszeit noch mehr ähnliche schlüssige Bilder aus Kreuzberg gewünscht.