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"Taktieren der Parteien" führt zu Desinteresse der Wähler

Doris Simon: Es hat auch dieses Mal nicht gereicht: Selbst der dritte Versuch innerhalb von 14 Monaten, einen neuen serbischen Präsidenten zu bestimmen, scheiterte gestern, weil weniger als die erforderlichen 50 Prozent der Wahlberechtigten zur Abstimmung erschienen waren. Nur 38 Prozent der Serben gingen gestern wählen. Und die meisten Stimmen erhielt ausgerechnet auch noch der ultra-nationalistische radikale Tomislav Nikolic. Serbien droht jetzt eine große Regierungs- und auch Verfassungskrise, denn das Parlament ist außerdem letzte Woche aufgelöst worden. Ohne Präsident kann nach den Parlamentswahlen in sechs Wochen nicht der Auftrag zur Bildung einer Regierung vergeben werden. Erhard Busek ist Koordinator des Stabilitätspaktes für Süd-Ost-Europa. Herr Busek, was bedeutet es, dass Serbien weiterhin keinen Präsidenten hat?

    Erhard Busek: Sie haben das bereits beschrieben. Es ist eine Verfassungskrise, die sich vielleicht allerdings auch daraus ergibt, das nach der föderativen Republik Jugoslawien Serbien-Montenegro gebildet wurde, es keine neue Verfassung für Serbien gibt und außerdem im Vorfeld der Parlamentswahlen natürlich eine Fülle von politischen Spielen gemacht wird. Aber eines muss man deutlich sagen, Demokratie lebt davon, dass man hingeht, also dass man sein Wahlrecht ausübt, und es wird hoffentlich die Lektion gelernt werden, denn manche sind hingegangen und haben jemanden gewählt, wo man Zweifel haben muss, ob der Weg nach Europa auf diese Weise geht, und viele sind fern geblieben und an sich nützt das auch niemandem. Also, Taktik müsste doch zurück gestellt werden gegenüber der Notwendigkeit der Entwicklung der Demokratie.

    Simon: Sie sprechen von Taktik. Sehen Sie darin die Ursachen oder hat es mehr auch mit einem sehr weit verbreiteten Desinteresse zu tun?

    Busek: Das ist ganz sicher auch der Fall. Nur das Desinteresse steigt, wenn die politischen Parteien sich nur taktisch präsentieren. Mit diesen Spielchen wird kein Problem gelöst, das in Serbien besteht, und die sind zweifellos groß, denn wir brauchen eine moderne Gesetzgebung, damit wir überhaupt entsprechende Investitionen bekommen, damit es wirtschaftlich funktioniert, denn Serbien hätte, und das muss man positiv sagen, alle Chancen. Es hat eine wichtige geo-politische Lage und auch die besten Voraussetzungen, wie sich zunächst nach dem Sturz von Milosevic gezeigt hat. Aber da braucht es Voraussetzungen. Und wenn dann jeder in den Medien verfolgen kann, dass es eigentlich keine Regierung mehr gibt, kein Parlament und keinen Staatspräsidenten, dann müssen wir nicht hingehen und investieren, das muss man sehr, sehr deutlich sagen.

    Simon: Wie sehr glauben Sie denn, bedroht dieses erneute Scheitern die Stabilität des Landes insgesamt. Der Übergang vom Milosevic-Regime zu einer Demokratie ist ja noch nicht so lange her.

    Busek: Wie gesagt, ich bin überzeugt, dass der Weg zur Demokratie auch in Serbien irreversibel ist. Man kann wirklich nicht sagen, dass es Kräfte gibt, die nun dringend wieder einmal irgendein totalitäres System einführen wollen. Aber die Effizienz der Demokratie ist auf diese Weise ganz sicher nicht gegeben. In Wahrheit erzeugt es nicht eine akute Krise, dass man nun Sorge haben muss, dass die Demokratie fällt. Es erzeugt eine Ineffizienz des politischen Systems und kein Problem wird damit gelöst. Und das ist auch nicht sehr gut.

    Simon: Sie sagten, Sie sehen keine Anzeichen, dass da undemokratische Kräfte wieder ans Ruder kommen, aber wenn man sieht, das die meisten, die gestern zur Wahl gegangen sind, für den Kandidaten der serbischen Radikalenpartei gestimmt haben, man muss dazu sagen, die Partei von Herrn Seselj, der ja in Den Haag auf seinen Prozess wartet, stimmt Sie das nicht ein bisschen ängstlich?

    Busek: Also, wenn ich einmal von der Annahme ausgehe, dass die, die nicht hingegangen sind, sie nicht gewählt hätten, sonst wären sie ja hingegangen, weil ein Kandidat von dieser Partei vertreten war, dann reduzieren sich diese 46 Prozent, sagen wir einmal über den Daumen gerechnet, auf 15 Prozent. Das ist an sich ein normaler Prozentsatz. Aber natürlich treiben die politischen Parteien, und zwar die anderen, die Wähler in diese Richtung, weil damit das Gefühl entsteht, da muss jemand anderer her, damit endlich etwas geschieht, und das ist sicher nicht sehr gut. Also, ich hoffe, dass dieses Wahlergebnis dieses Repräsentanten der Seselj-Partei doch ein deutliches Warnsignal an die anderen demokratischen Parteien ist, konstruktiver zu werden.

    Simon: Sehen Sie denn Bereitschaft in diesen Parteien, das anders anzugehen als bisher?

    Busek: Na ja, es wird hier herum taktiert in Richtung auf die kommenden Parlamentswahlen. Es gab auch keine Übereinstimmung in der Frage des Präsidentenamtes und der berühmten 50 Prozent-Schwelle. Einige waren dafür, die abzuschaffen. Da spricht auch einiges dafür unter diesen Umständen. Aber wie wäre das ausgegangen, wenn die 50 Prozent-Schwelle nicht existieren würde? Da wäre ein Präsident gekommen, den natürlich der Großteil der anderen demokratischen Parteien alles andere als wirklich willkommen geheißen hätte. Darin liegt die eigentliche Problematik, dass zu kurzfristig und nicht langfristig gedacht wird. Was es dringend gebraucht wird, ist eine stärkere und breitere Basis oder ein Konsens über die Zukunft Serbiens über alle Parteien hinweg.

    Simon: Das Ganze ist ganz klar eine innerserbische Angelegenheit, aber gibt es für das Ausland Möglichkeiten, da vielleicht zu helfen?

    Busek: Ja, die eindeutige Warnung muss zweifellos die sein, dass der ersehnte Weg nach Europa auf diese Weise nicht zustande kommt. Gegenwärtig läuft da eine Machbarkeitsstudie, dass Serbien-Montenegro an dem so genannten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen teilnehmen kann. Das ist die erste Stufe zur Integration. Das wird sich nicht gut auswirken auf diese Machbarkeitsstudie, weil man auf die politischen Unsicherheiten dann entsprechend aufmerksam machen muss und da wird die Freude der Mittelstaaten der Europäischen Union, einem solchen Programm zuzustimmen, mit Sicherheit sinken.

    Simon: Was werden Sie bei nächste Gelegenheit in Belgrad den zuständigen Politikern sagen?

    Busek: Ich war vorgestern in Belgrad und ich bin demnächst dort und ich lasse es mit Sicherheit nicht an Deutlichkeit missen. Das ist auch eine Region, wo man deutlich reden muss, sonst wird man nicht verstanden.

    Simon: Ganz Das war Erhard Busek, der Koordinator des Stabilitätspaktes für Süd-Ost-Europa, vielen Dank für das Gespräch.