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Talentscouting
Mit Big Data zum Fußballprofi

Die meisten Nachwuchstalente im Fußball müssen erst 18 oder 19 werden, bis man sagen kann: Ja, das reicht für die Bundesliga. In Berlin gibt es jetzt aber ein Unternehmen, das schon bei Kindern vorhersagen können will, wer das Zeug zum Fußballprofi hat. Mit statistischen Daten.

Von Matthis Jungblut | 13.10.2019
Fussballtraining für Jugendliche
Bis zum Fußballprofi ist es ein weiter Weg. (imageBROKER)
Als Daniel Heidrich das Angebot bekommt, zweifelt er. Ist es das wert? Hat sein Sohn das Zeug dazu? Soll er ihm die Strapazen wirklich antun? Heidrich ist einer von tausenden Vätern, denen jedes Jahr gesagt wird: Ihr Sohn kann es schaffen. Er kann Fußballprofi werden!
Doch nur 0,01 Prozent eines Fußball-Jahrgangs landet am Ende im professionellen Fußball, also in den ersten drei Ligen. Das ist eins von 10.000 Kindern, das anfängt Fußball zu spielen. Selbst in einem Jugendleistungszentrum eines Bundesligisten zu spielen, ist keine Garantie: Aus über 800 dort angemeldeten Kindern schafft es nur eine zweistellige Zahl in den Profi-Bereich.
"Wir als Familie haben uns die Frage gestellt: Okay, wenn das der erste Schritt ist, wird es vielleicht auch irgendwann einen zweiten Schritt geben, der bedeutet dann: Sportschule, der bedeutet dann: Vier bis fünf Mal die Woche Training und die Aufgabe einer Kindheit, so wie wir sie kennen. Wenn man Dinge gerne macht und talentiert ist habe ich überhaupt nichts dagegen, die Dinge zu tun. Die Frage ist nur: Vergucken die Leute sich da nicht. Dem wollte ich einfach vorbeugen."
Heidrich ist gelernter Ingenieur, deshalb will er sich dem Thema statistisch nähern - das passt zum aktuellen Hype des Fußballs: Der Datenanalyse und Big Data.
Auch im Jugendbereich werden Statistiken wichtiger
Bundesligisten nutzen computerbasierte Daten, um das Training zu steuern und Spiele zu analysieren, doch auch im Jugendbereich werden Statistiken immer wichtiger. Im modernen Fußball werden je nach Spielidee unterschiedliche Spielertypen gebraucht: Große, kleine, wendige, bullige - daher fragt sich Heidrich: Gibt es bestimmte Eigenschaften, die alle Profis haben? Dafür schaut er sich zunächst Leistungsdaten von allen Bundesligaspielern an, spezifisch für jede Position.
"Demnach haben wir Typen gebildet und haben geschaut: Wie groß sind die? Wie schnell sind die? Welche Grundvoraussetzungen müssen sie mitbringen? Wir reden über kognitive Leistungsfähigkeit und solche Themen. Und dann haben wir uns gefragt, was kann man da schon bei Kindern beobachten? Was ist schon ausgeprägt, was ist noch nicht ausgeprägt?"
Mit diesen Erkenntnissen gründet er im vergangenen Jahr ein Unternehmen: "4talentsanalytics". Heidrich kooperiert bereits mit Union Berlin und Dynamo Dresden. Seine Expertise ist heiß begehrt. Heidrich zufolge gibt es vier Bereiche, in denen ein Fußballer talentiert sein muss: Körperbau, Koordination, Kognition und Schnelligkeit.
"Wir suchen nach Jugendlichen, die in diesen Bereichen herausragend begabt sind und sagen: Wenn du das mitbringst und dich für Fußball interessierst, fleißig bist, soziale Komponenten mitbringst, kann aus dir ein sehr guter Fußballer werden. Das ist dann das Thema Wahrscheinlichkeit."
Auch den Kontext nicht außer Acht lassen
Christofer Clemens kümmert sich beim DFB um Scouting und Datenanalyse. Er warnt davor, sich bei der Spielerausbildung ausschließlich auf Daten zu verlassen und verweist auf etwas, was jeden gemessenen Wert beeinflussen kann: Kontext. Letztlich sei der Schritt in den Profi-Fußball abhängig von vielen Faktoren:
"Ein entscheidender Kontext ist sicherlich das unmittelbare familiäre Umfeld - bei entsprechenden Einflüssen, die wir gar nicht kontrollieren können. Dann gibt's natürlich einen komplett fußball-immanenten: Man wechselt vielleicht dann von einem Verein in den nächsten, um Lernentwicklung zu haben."
Trainer, Verletzung, Mitspieler - all das kann eine Entwicklung beeinflussen und ist nicht zu berechnen. Das ist der große Haken an der Datenanalyse. Fußball ist ein Spiel, das vom Zufall geprägt ist. Ein Torwartfehler ist eine statistische Ausnahme, kann aber ein Spiel entscheiden.
Trotzdem setzen viele Vereine auf Datenanalyse und versuchen dabei den Tick innovativer zu sein als der Konkurrent. Vor allem für finanzschwache Vereine ist es eine Chance, auf dem europäischen Markt mitzuhalten. Es ist ein Wettkampf um Wissen.
Sehen, was andere nicht sehen
Sascha Schmidt erforscht die Zukunft des Sports an der WHU - Otto Beisheim School of Management - dabei beobachtet er seit einiger Zeit ein Prinzip im deutschen Profifußball.
"Dass man Spieler identifiziert, die im Markt unterbewertet sind oder in denen man etwas sieht, was andere nicht sehen. Dadurch bin ich ja dann auch in der Lage günstiger einzukaufen oder auch teurer zu verkaufen. So eine Begabungsdiagnostik ist jetzt ein Weg, Informationen über einen Spieler zu generieren, die so jetzt nicht offensichtlich sind."
Schmidt nennt es Moneyball-Prinzip, benannt nach der Geschichte des Baseball-Managers Billy Beane. Der nutzte als Erster rein objektive Leistungsdaten um seinen Kader zusammenzustellen und war damit sehr erfolgreich.
Baseball ist jedoch viel statischer als Fußball und daher leichter zu berechnen - deshalb stehen Unternehmen wie das von Daniel Heidrich vor großen Herausforderungen. Vor einem Jahr gestartet, wird man erst in ein paar Jahren sagen können, ob die Vorhersagen wirklich stimmen. Überprüfen kann Heidrich das dann auch aus nächster Nähe: Sein Sohn hat die Tests bestanden und spielt seit einem Jahr in der Jugendmannschaft von Union Berlin.