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Taliban "wollen wieder Legitimität haben"

Um in Afghanistan nach dem Truppenabzug für Stabilität zu sorgen, müssten die Taliban beteiligt werden, sagt Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Daran sei auch die islamistische Miliz interessiert, denn die Alternative sei eine Fortsetzung des Krieges.

Volker Perthes im Gespräch mit Mario Dobovisek | 21.06.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Soll es Verhandlungen mit den Taliban geben oder nicht, und wenn ja, wer soll die Gespräche in Gang setzen? Darüber war zwischen Washington und Kabul ein heftiger Streit entbrannt. Afghanistans Präsident Karsai, der hat sogar die Verhandlungen in den USA abbrechen lassen, weil er sich von dem amerikanischen Vorstoß überrumpelt fühlte, denn die USA, die wollten wohl eigentlich schon gestern loslegen. Mario Dobovisek, mein Kollege, hat mit Volker Perthes gesprochen, dem Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, und er hat zunächst zitiert den Generalsekretär des Hohen Friedensrats der afghanischen Regierung. Der hat gesagt, die Taliban, die wandelten sich. Seine erste Frage an Herrn Perthes: Wandeln sich die Taliban tatsächlich, oder wandelt sich eher die Kraft, die Motivation und die Ausdauer der NATO-Verbündeten?

    Volker Perthes: Ja auch wenn das so wäre, würden sie sich ja wandeln, und die Frage ist nicht, weshalb sie sich wandeln, sondern ob sie sich wandeln. Tatsächlich haben sie sich in den vergangenen zwölf Jahren ein Stück weit gewandelt. Seitdem sie von der Macht vertrieben worden sind überlegen sie, wie sie wieder dran kommen, und haben dabei die eine oder andere Metamorphose durchgemacht. Sie wollen raus aus dem pakistanischen Exil, sie sind ähnlich ermüdet wie viele andere afghanische Akteure, sie wollen wieder Legitimität haben und sie sehen, dass das am leichtesten erreichbar ist, wenn sie neben ihren militärischen Aktivitäten auch auf politische setzen. Insofern ist das konsequent, wenn sie sagen, ja, der Krieg geht noch weiter, aber wir sind bereit, gleichzeitig zu verhandeln.

    Mario Dobovisek: Liegt in der Ermüdung beider Seiten also ein Hoffnungsschimmer?

    Perthes: Ja. So zynisch das klingen muss – die Ermüdung aller Beteiligten ist eine Chance dafür, das Kämpfen einzustellen. Die afghanische Bevölkerung will sicherlich keinen weiteren Krieg haben und keine Partei, die dafür eintreten würde, den Krieg weiterzuführen bis zum Sieg der einen Seite über die andere, würde wahrscheinlich sehr viel Unterstützung in ganz Afghanistan bekommen, vielleicht in einzelnen Teilen.

    Dobovisek: Am Eingang des Verbindungsbüros der Taliban in Katar prangte die Aufschrift "Islamisches Emirat Afghanistan", auf dem Gelände wehte die Taliban-Flagge, zumindest bei der Eröffnung. Inzwischen sind diese Insignien des 2001 gestürzten Taliban-Regimes wieder entfernt worden. Offenbar fühlen sich die Taliban aber weiter als Herrscher Afghanistans. Wie weit reicht ihre Macht in der Realität?

    Perthes: Die Taliban fühlen sich zumindest weiter als Taliban und nicht als irgendeine Partei in Afghanistan, die unter der Autorität des Regimes mit diesem und mit den Amerikanern verhandelt. Sie sind schon etwas Besonderes, sonst gäbe es auch dieses Büro in Katar nicht und sonst würden sie auch nicht von den Amerikanern eingeladen, mit ihnen und den USA zu verhandeln. Das nutzen sie aus, da provozieren sie auch und ich glaube, da wird man sich auch auf weitere Provokationen einstellen müssen.

    Dobovisek: Sind Verhandlungen mit den Taliban unumgänglich?

    Perthes: Ich denke, ja, wenn man die Alternativen bedenkt, und die Alternativen heißen Fortsetzung des Krieges und wahrscheinlich eine Teilung des Landes, in der die Taliban dann spätestens nach dem Abzug aller Kampftruppen der ISAF, der NATO das Sagen haben werden.

    Dobovisek: Da haben wir aber gleich das große Problem, dass die Verhandlungen über ein Sicherheitsabkommen für die Zeit nach 2015 vor dem Scheitern stehen, weil Hamid Karsai, der amtierende Präsident Afghanistans, da blockiert.

    Perthes: Ja er blockiert da, weil die Verhandlungen über ein solches Sicherheitsabkommen oder status-of-forces-Abkommen sind letztlich ja Verhandlungen über die Margen der Souveränität, die Karsai behält oder von denen er etwas abgeben muss an die Amerikaner und an andere NATO-Truppensteller. Ein solches status-of-forces-agreement schränkt ja immer die Souveränität des Gastlandes ein Stück weit ein, weil zum Beispiel die Amerikaner - das gleiche gilt übrigens für die Bundeswehr und die Deutschen - nicht wollen, dass ihre eigenen Soldaten etwas vor afghanische Strafgerichte kommen können – nicht nur, weil man denen misstraut, sondern weil man ohnehin nicht möchte, dass die eigenen Truppen, wenn sie hier denn auf Einladung Afghanistans weiter für Sicherheit sorgen sollen, oder afghanische Kräfte ausbilden sollen, hier möglicherweise vor Gerichte gestellt werden. Aber wir müssen, glaube ich, darüber hinaus sehen: Wir haben hier wirklich drei sehr unterschiedliche Agenden, die hier gerade aufeinandertreffen. Karsai geht es um die Legitimität seiner Regierung als der einzigen Regierung Afghanistans, und deshalb ist er so sauer, dass die USA bereit sind, mit den Taliban zu verhandeln. Den Taliban geht es um ihre Anerkennung und ihre Legitimierung und den USA geht es darum, Afghanistan unter den bestmöglichen Bedingungen zu verlassen, jedenfalls mit dem größten Teil ihrer Truppen, und auch sicherlich darum, ein wenig Druck auf Karsai auszuüben.

    Dobovisek: War es vor diesem Hintergrund klug von den USA, dieses Hin und Her, was die Verhandlungen angeht, zu bestreiten?

    Perthes: Ich glaube, man hat in den USA – da hatte man ja auch lange gebraucht über die letzten Jahre, bis man sich dazu entschieden hat – dazu entschieden, solange die Taliban und wenn die Taliban der stärkste Kriegsgegner in Afghanistan sind, dass man dann mit ihnen verhandeln muss. Da geht kein Weg daran vorbei, man kann sich den Feind nicht wegwünschen, es ist nicht gelungen, über zwölf Jahre ihn zu besiegen, also bleibt wahrscheinlich wenig anderes übrig, als mit ihm zu reden und zu versuchen, auch für die Zeit nach dem Abzug der ISAF-Truppen eine Form von Stabilität herzustellen, bei der die Taliban vielleicht in irgendeiner Form beteiligt und integriert sind.

    Dobovisek: Bundesverteidigungsminister de Maizière spricht sich ebenfalls für Verhandlungen mit den Taliban aus, stellt aber klare Bedingungen: Die Taliban müssten die afghanische Verfassung uneingeschränkt anerkennen, sagt er, und sich von Al Kaida distanzieren. Ist das mit der bisherigen Linie der Taliban überhaupt möglich?

    Perthes: Das Zweite ist leichter als das Erste. Sie haben ja etwas Ähnliches getan, als sie das Büro in Katar eröffnet haben. Sie haben erklärt, dass es ihnen nur um Afghanistan geht. Das heißt verklausuliert - wir hätten es sicherlich lieber klar gehabt -, dass man mit Organisationen wie Al Kaida, die eine globale Agenda haben, nichts zu tun hat, jedenfalls keine direkte Interessenübereinstimmung. Und sie haben dazu gesagt, dass, wenn sie in Afghanistan wieder etwas zu sagen haben, von Afghanistan keine Gefährdung für irgendein anderes Land ausgehen sollte. Das sind beides Formulierungen, die indirekt heißen, wir distanzieren uns von Al Kaida. Was sie nicht gemacht haben, explizit nicht gemacht haben ist, sich auf die afghanische Verfassung zu berufen oder diese anzuerkennen, und hier fällt es schon auf, auch wenn wir auf die unterschiedlichen Positionen der USA und ihrer NATO-Verbündeten in Europa schauen, dass die USA dies nicht als Vorbedingung für Verhandlungen mit den Taliban gefordert haben.

    Heckmann: Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes, hier im Deutschlandfunk.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.