Gleich die erste Sendung von "Jaafar Talk" behandelte ein kontroverses Thema: Polygamie. Ein in der arabischen Welt weit verbreitetes Phänomen, einzig in Tunesien ist die Vielehe verboten - in manchen Ländern muss die "erste Ehefrau" der Vielehe zustimmen. In der Sendung diskutierten unter anderem eine Frauenrechtlerin und ein gläubiger Anwalt heftig über die Rolle der Frau in der Ehe.
Für den Moderator Jaafar Abdul-Karim sind solche Diskussionen ganz normal. Oft geht es hoch her, wenn die Sendung in Beirut, Kairo oder Tunis im Studio aufgezeichnet wird. Aber auch in den sozialen Netzen wird danach viel diskutiert. Bei der "Vielehen-Sendung" erreichten die Redaktion in Berlin Hunderte von Mails und Postings.
"Unglaubliches Verlangen nach Freiheit"
In der arabischen Welt bewegt sich etwas, meint Abdul-Karim, nach acht Jahren Erfahrung mit der Vorgänger-Sendung "Shabab Talk":
"Es ist einfach ein unglaubliches Verlangen nach Freiheit. Vor acht Jahren, als wir angefangen haben, hatten die Sozialen Medien noch nicht die Bedeutung von heute. Ich kriege heute, ob ich im Jemen bin, in Jordanien bin oder in Saudi-Arabien, mit, was auf der ganzen Welt passiert. Und das führt eben dazu, dass sich die Leute viel mehr Fragen stellen, viel mehr nachdenken, viel mehr wissen, viel mehr reflektieren - weil sie eben mitbekommen, was passiert und ihre eigene Situation hinterfragen."
Allerdings gibt Abdul-Karim zu, dass die Verhältnisse in den Ländern der arabischen Region sich nur sehr langsam, sehr vorsichtig ändern. Die Beharrungskräfte in der Politik und Religion sind nach wie vor sehr groß.
Jaafar Abdul-Karim stellt Fragen, die dort wohl kaum ein Fernsehjournalist stellen würde. Er ging beispielsweise in Berlin-Neukölln auf die Straße, und fragte in der arabischen Community, was die Frauen und Männer von der Vielehe halten. Die Antworten waren differenziert. Es gibt sie zwar noch immer, die Machos alter Schule, die die Vielehe normal und richtig finden - für einige Männer, und natürlich auch deren Frauen, kommt sie aber nicht mehr in Frage.
"Jaafar Talk" soll auch ältere Menschen ansprechen
Mit der neuen Sendung wollen Jaafar Abdul-Karim und sein Team die Diskussionen auf eine neue Ebene heben:
"'Shabab Talk' hat den Grundstein gelegt, dass wir in den arabischen Ländern einen Platz erschaffen haben für Dialog. Jetzt wollen wir wissen, wie divers, wie vielfältig ist dieser Dialog - und der beschränkt sich nicht nur auf junge Menschen, sondern der ist generationenübergreifend. Und wir haben gemerkt, dass das Verlangen nach Diskussionen nicht nur in einem bestimmten Alter, auch bei anderen da ist. Und zweitens: auch die Medienlandschaft hat sich enorm verändert. Die Leute wollen nicht nur Zuschauer sein, sie wollen auch sich an der Diskussion beteiligen."
"Jaafar Talk" enthält daher auch auflockernde Elemente wie Zuschauervoting, Zuschauerkommentare und anderes. Abdul-Karim erzählt, dass der Kontakt zum Publikum via Social Media natürlich nicht immer angenehm ist: Beschimpfungen, Beleidigungen, auch Morddrohungen hat es schon gegeben. Die Redaktion treffe Vorsichtsmaßnahmen und lasse sich davon nicht beirren.
"Alles wird diskutiert"
Nach dem Thema "Polygamie" geht es um körperliche Freiheit, also: Wer entscheidet, wie ich meinen Körper zeigen darf? Drittes Thema wird Rassismus in den arabischen Ländern sein - viele Syrer und Palästinenser erleben Diskriminierung, etwa im Libanon.
"Warum kann ich nicht so sein, wie ich will? Das ist der Grundsatz und dieser Satz bewegt uns. Wenn es mit Gesellschaft verbunden ist, ist es ein gesellschaftskritisches Thema, und wenn es mit der Politik verbunden ist, ist ein politisches Thema. Alles wird diskutiert."
Und das mit offenbar zunehmendem Erfolg. Die Vorgängersendung "Shabab Talk" hat im Laufe von acht Jahren über eine halbe Milliarde Videoabrufe verzeichnet - eine gigantische Zahl angesichts der Tatsache, dass die "Deutsche Welle" nicht überall so bekannt ist. Auch die Diskussionen auf den Social-Media-Plattformen sind stets intensiv und sehr kontrovers. Nun will die Redaktion mit "Jaafar Talk" auch das ältere Publikum einbinden.