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Tango
Virtuose am Bandoneon

In Buenos Aires wird seine Musik immer noch gespielt − wie seit den 40er-Jahren, als er das bekannteste Tango-Orchester Argentiniens leitete. Der Komponist und Bandleader Aníbal Troilo "Pichuco" wurde vor 100 Jahren geboren.

Von Victoria Eglau | 11.07.2014
    Sammlung von alten Bandoneons in Chemnitz
    Das Bandoneon brachten deutsche Einwanderer nach Argentinien, wo es als wichtigstes Instrument des Tango Karriere machte. (dpa / picture alliance / Wolfgang Thieme)
    Buenos Aires, 11. Juli 1914. Im Marktviertel Abasto wird ein Junge namens Aníbal Troilo geboren. In den Bars und Cabarets des Abasto hat wenige Jahre zuvor eine neue Ära des Tango begonnen, mit besser ausgebildeten Musikern und neuen Instrumenten. Das aus Deutschland stammende Bandoneon wird zum tragenden Instrument der argentinischen Tango-Orchester. Der kleine Aníbal Troilo, Sohn eines früh verstorbenen Metzgers und einer Hausfrau, wächst mit den Klängen des Bandoneons auf. Er verliebt sich in das Instrument und bekommt mit zehn Jahren ein eigenes.
    "Seine Mutter kaufte ihm das Bandoneon auf Raten. Nach vier Raten machte das Geschäft zu und sie musste nichts mehr zahlen. Aníbal Troilo erhielt Unterricht bei einem Lehrer im Viertel. Nach sechs Monaten sagte der zu ihm: Du musst nicht mehr kommen, du kannst schon mehr als ich."
    ... erzählt der argentinische Tango-Pianist und Troilo-Spezialist José Ogivieki. Nach dem raschen Ende seiner musikalischen Ausbildung blieb Aníbal Troilo nichts anderes übrig, als alleine weiter zu lernen. Einige Stunden nahm er bei dem angesehenen Bandoneon-Meister Pedro Maffia.
    Das außergewöhnliche Talent und die technischen Fertigkeiten des jungen Troilo sprachen sich im Tango-Milieu von Buenos Aires bald herum. Mit nur 16 Jahren wurde er in das bekannte Sextett des Violinisten Elvino Vardaro berufen, das in dieser Aufnahme von 1933 zu hören ist. Dort spielte Troilo unter anderem mit dem Pianisten Osvaldo Pugliese.
    1937, mit 23 Jahren, gründete der Bandoneon-Spieler mit dem Spitznamen Pichuco sein legendäres eigenes Orchester, genannt Orquesta Típica Aníbal Troilo.Orquesta Típica – das war das typische Tango-Orchester jener Jahre.
    José Ogivieki: "Ein typisches Orchester bestand aus vier oder fünf Bandoneons und vier Geigen. Im Laufe der Zeit kamen in Troilos Orchester Cello und Viola dazu, wodurch der Klang runder wurde. Unersetzlich waren Klavier und Kontrabass."
    Großer Respekt vor der Melodie
    Zur Orquesta Típica gehörte auch der Tango-Sänger. Aníbal Troilos Orchester spielte gewöhnlich im Café Germinal an der Avenida Corrientes, der Theatermeile von Buenos Aires, zum Tanz auf. Es wurde schnell bekannt und erlebte in den 1940er-Jahren, wie alle Tango-Orchester, seine Glanzzeit.
    José Ogivieki: "Kein Orchester klang wie das von Aníbal Troilo, auch später nicht. Was es von allen anderen unterschied, war sein großer Respekt vor der Melodie. Die größten Sänger traten in Troilos Orchester auf, und selbst jene, die nicht zu den besten gehörten, klangen unter seiner Leitung, als wären sie die besten. Auch die Soli der einzelnen Instrumente wurden respektiert. Das Ergebnis war ein transparenter Klang, in dem alle Stimmen unterschieden werden konnten."
    Aníbal Troilo war nicht nur ein virtuoser Bandoneonist und Orchester-Chef, sondern auch ein hochbegabter Komponist unzähliger Tangos.
    José Ogivieki: "Troilo hat mit dem Sänger Carlos Gardel gemeinsam, dass er der Geschichte des Tango eine andere Wendung gegeben hat. Es mag Bandoneonisten gegeben haben, die besser gespielt haben als Troilo, aber sie haben nicht die Tango-Geschichte verändert."
    Aníbal Troilos Orchester spielte fast vier Jahrzehnte lang. Der beleibte Mann mit dem Doppelkinn wurde zu einem der beliebtesten Musiker Argentiniens, er schätzte das heimische Publikum und trat nur wenige Male im Ausland auf. Troilo, der unter Suchtproblemen litt, lebte lange mit seiner Mutter zusammen, nach deren Tod mit Ehefrau Zita. Am 18. Mai 1975 starb er in seiner geliebten Geburtsstadt Buenos Aires.