Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Tanzende Worte

Martina Hefter ist Tänzerin und Autorin, was sich in ihrer Arbeit auch schon mal darin äußerte, dass sie einen Vortrag über das Schreiben zugleich als Performance choreografierte. Nach drei Romanen stellt sie nun ihren ersten Gedichtband vor.

Von Volkmar Mühleis | 21.07.2010
    Der Tanz ist eine Bewegung - wie das Denken. Das räumliche Denken heißt ein Abschnitt in Martina Hefters Gedichtband Nach den Diskotheken. Die Bewegung von Tanz und Denken sprachlich zu erkunden, genügt das Wörtchen 'um', auch als Silbe in 'darum': Das kausale 'um' - man tut etwas, um etwas zu erreichen - steckt schon in der philosophischen Grundfrage: warum? Das 'darum' ist dann nicht nur ein trotziger Kommentar - eben darum -, sondern zugleich ein Fingerzeig für die Bewegung - darum, dort herum musst du gehen. Wenn dann im Text noch der Name Wittgenstein auftaucht, wird der philosophische Leser sich vielleicht an dessen Rat erinnern, lieber querfeldein nach Antworten zu suchen, statt auf geradem Wege. Es geht immer darum, dort herum, wohin man zuerst kaum geblickt hat. Bei Martina Hefter klingt diese Andeutung so: 'Ich denke mir lieber das Denken als Fluss,/ im Ufergestrüpp ein "darum" tanzender Kranich.' Zu ihrem Schreiben und Denken vom Tanzen her, meint die Autorin und Tänzerin:

    "Man wird sich im Laufe des Entstehungsprozesses natürlich dann bestimmter Prozesse bewusst, und das Denken ist auch ein wichtiges Stichwort, weil wir im zeitgenössischen Tanz hauptsächlich - oder eigentlich auch im klassischen Ballett -, immer davon ausgehen, dass das Tanzen, also auch eine Form des Denkens ist, also körperliches Denken. Man muss immer mit dem Körper auch sehr weit, sehr stark sich bewusst machen, wie jetzt die nächste Bewegung ist und wie man in die nächste Bewegung reinkommt. Und das hat mich immer angezogen, diese zwei unterschiedlichen, vielleicht Denkweisen, die man so im landläufigen Sinne haben kann - also mit dem Kopf denken und mit dem Körper denken, wobei mit dem Körper denken der Kopf immer beteiligt ist. Und ich denke schon, dass es dann so'ne gewisse Lenkung gab auf dieses Thema Denken. Vielleicht hat das mich dann so interessiert, dass die Gedichte mein Interesse angezogen haben oder der Stoff hat mein Interesse angezogen oder umgekehrt."

    Wenn Martina Hefter von 'Prozess' spricht oder 'Fluss', dann darf sich der Hörer die Worte in der neuen Rechtschreibung vorstellen, die älteren Schriftstellerkollegen so weit entfernt von der 'Sprache Goethes' erscheint. Warum hat sie sich bei ihrer Lyrik für das Doppel-S bei 'Fluss' oder 'Kuss' entschieden, anstelle des abschließend scharfen S?

    "Ich habe lang darüber nachgedacht und habe mich auch lang nicht entscheiden können, aber, es ist so, ich habe zwei schulpflichtige Kinder, die wachsen definitiv mit dieser neuen Rechtschreibung auf, und ich glaube, irgendwann käme ich durcheinander. Und es war einfach'ne Entscheidungsfrage, das jetzt auch zu übernehmen, weil ich, wenn ich mit meinen Kindern irgendwas lese oder die Deutschhausaufgaben anschaue, dann begegnet mir dieses Doppel-S immer, und ich glaub, ich kann es - ich möchte auch meine poetische Arbeit nicht so sehr trennen von dem Leben, dass ich sonst noch habe, und ich glaube, da ist das eine sehr bewusste Entscheidung, die tatsächlich mit diesem Umstand sehr viel zu tun hat."

    In ihrer poetischen Sprache folgt die Autorin keinem klassischen Ideal, sondern ergründet sie in ihrem historischen wie regionalen oder auch subkulturellem Potential: Wenn sie das barocke Deutsch von Simon Dach zitiert, der noch von 'Drangsals-trost' und 'KranckheitArtzt' sprach, ein Gedicht in bayrischer Mundart verfasst - sie stammt selbst aus dem Allgäu -, oder an die Parole 'Bildet Banden' erinnert, nun aber auf die Fans eines Skispringers gemünzt, in der Reihe Vierschanzengedichte. Bewegung ist nicht nur Tanz und Denken, Bewegung ist ebenso Sport. Und so gliedert sich der Gedichtband in Sinnabschnitte, die vom Tanz über das Denken zu verspielteren Themen führen: Wappenvögel, Apfelkunde, Skispringen. Es ist diese Vielfalt der poetischen Sprache wie der Themen und Anspielungen, die den Band zu einem literarischen Genuss machen, der keineswegs hermetisch ist. Nach den Diskotheken ist ein Buch im kulturellen Freiraum, fern der ideologischen Verengung, es ist ein Teil auch der Popkultur, ohne dem Stigma 'Popliteratur' zu verfallen, sprich wiederum darin einseitig zu werden. Dass die Autorin die Band Chicks on Speed mag, verrät schon ihr Sprachspiel 'Babes on Vorstellungskraft' - die Nachfrage bestätigte das nur. Das nimmt nicht weg, dass ihre Sprache überaus durchgearbeitet ist. Das zeigt sich bis in die kleinsten Lautverschiebungen hinein, etwa bei der Wortfindung 'Fältelung', in dem Gedicht Von außen nach innen. So wie man von der Gabel die Gabelung ableitet, führt die Falte normalerweise zur Faltung. Ist die Klangverschiebung vielleicht eine süddeutsche Variante?

    "Also im Süddeutschen ist mir das jetzt nicht explizit bekannt, ich denke, dass ist vielleicht so ein, kann sein, dass das von mir ein Neologismus ist. Ich hab nicht gedacht, dass ich das erfunden habe, aber die 'gefältelte Tischdecke' oder so ist vielleicht ein - ich dachte an die Berge, die so eingefaltet sind, die ein Faltenmuster haben. Und ich fand es einfach das entsprechende Wort, es erschien mir ganz stimmig."
    Der Kreis ihrer poetischen Wahlverwandtschaften erstreckt sich von Emily Dickinson über John Keats zu Heinrich Heine oder Friederike Mayröcker. In einem Gespräch für den Poetenladen im Internet, aus Anlass ihres Romans "Die Küsten der Berge", gestand sie, welcher Romancier sie im Gegenteil immer 'gelangweilt' habe, wie sie es selbst ausdrückte. Mit Blick auf ihre Gedichte ist natürlich die gleiche Umkehrung aufschlussreich: Wessen Gedichte haben Martina Hefter 'gelangweilt'?

    "Jetzt muss ich ganz ehrlich sein und werde wahrscheinlich den Zorn einiger Hörer auf mich ziehen, aber ich muss gestehen: Goethe habe ich nie so gern gelesen, also die Gedichte. Ich kann - es ist blöd, vielleicht habe ich auch nicht die richtigen Gedichte gelesen, aber - es war natürlich noch Schullektüre, und vielleicht wurde es auch nicht durch den Lehrer, durch die Lehrerinnen richtig an uns herangetragen. Aber ich weiß, dass ich in der Schule da sehr gelangweilt war und auch später nie mehr so ganz den Zugang gefunden habe. Aber ich kenne andere, denen das genauso geht!"

    Ihre eigene Sprache bewegt sich zwischen Balance und Experiment, mutet nicht forcierte avantgardistische Akrobatik zu und verfällt doch nicht in bildungsbürgerliches Maßhalten. Vielmehr sucht sie die Leichtigkeit des avantgardistischen Erbes, die Fortführung seines Anspruchs im Zeichen des Austauschs, der Kommunikation, eben der heutigen Kultur. Um ein Beispiel zu geben:

    " "Ich lese aus dem Zyklus 'Ein Buch des Körpers' und dem sind zwei Zitate voran gestellt. Eines ist von Augustinus: 'Unsere Leiber leben aus uns, indem sie uns anhangen'. Das andere ist von Xavier Le Roy, ein zeitgenössischer Choreograf: 'Warum sollte der Körper an der Haut enden?' Figur I: 'Der Körper ein Rucksack, gut durchblutet,/ immer unterwegs zum Kräftemessen mit den Gedanken,/ über Wertstoffhöfe, Kompost?/ Mein linker Arm beschreibt kleine Kreise./ Ich fürchte, die Gene. Sternfeuer aus Abfall./ Ich schleppe an einer Qualle, einem Blasebalg,/ mit allem vertraut, was an mir haftet/ an Glanz./ Ich lade auf, werfe ab,/ schnips mit den Fingern, und puff./ Werde ich spüren, dass ich nichts wiege,/ zwischen die Lichtbündel hüpfen,/ die Spotlights schleudern?' "

    Die 'Lichtbündel' und 'Spotlights', sie verdichten sich in dem titelgebenden Abschnitt des Bandes: 'Nach den Diskotheken'. 'Disco', das war ein Inbegriff der 70er-Jahre, der sich längst überlebt hat, das Nachtleben von heute findet in 'Clubs' statt, so scheint es zumindest. 'Nach den Diskotheken ist, wenn der Heimweg beginnt', schreibt Martina Hefter im Klappentext. Der Heimweg im Morgengrauen, nach durchtanzter Nacht, ist jeder Generation vertraut, und nicht selten lockern sich die Gesichtszüge der eigenen Eltern, wenn sie beiläufig davon erzählen, von welcher Gaststätte, aus welchem Jazzkeller, von welcher Disco sie auch kamen. Die Leichtigkeit in diesen Gedichten erinnert auch daran - 'Die Straße eine Richtung, von Schritten durchflitzt?' Der Heimweg ist eine Passage, zwischen ekstatischer Ausnahme und Prosa des Lebens. Nach dem Tanz ist vor dem Schlaf - und mitten im Gedicht.


    Martina Hefter: "Nach den Diskotheken"
    Gedichte
    erschienen im Kookbooks Verlag
    80 Seiten. 19,90 Euro