Freitag, 19. April 2024

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Tarifabschluss im öffentlichen Dienst
"Nachdenken, ob diese Art der Lohnfindung zeitgemäß ist"

Der Finanzwissenschaftler Reinhold Schnabel fordert ein Umdenken in der Lohnfindung für den öffentlichen Dienst. Er kritisierte im Dlf, der Tarifabschluss gelte bundesweit, ohne Rücksicht auf die großen regionalen Unterschiede im Lohnniveau und in der Zahlungsfähigkeit der Kommunen. Das führe zu Unzufriedenheit.

Reinhold Schnabel im Gespräch mit Mario Dobovisek | 18.04.2018
    Reinhold Schnabel, Finanzwissen (25.8.2008).
    Reinhold Schnabel ist Finanzwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen (dpa / Rainer Jensen)
    Mario Dobovisek: Dieses Mal war sie besonders heftig, die Warnstreikwelle der Gewerkschaften im Tarifkonflikt des öffentlichen Dienstes. Kitas blieben geschlossen, Busse und Bahnen fuhren nicht, Ämter stellten ihren Dienst ein und auch das Bodenpersonal an Flughäfen streikte. Jetzt gibt es eine Einigung für die gut zwei Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst: Fast siebeneinhalb Prozent mehr Geld in drei Schritten, verteilt über 30 Monate. Eine ungewöhnlich lange Laufzeit ist das. Dazu kommt eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro für die unteren Gehaltsgruppen. – Am Telefon begrüße ich Reinhold Schnabel, Volkswirt an der Universität Duisburg-Essen, dort spezialisiert unter anderem auf öffentliche Finanzen. Guten Morgen, Herr Schnabel!
    Reinhold Schnabel: Schönen guten Morgen!
    Dobovisek: Hören wir mal zu Beginn unseres Gesprächs gemeinsam rein, Herr Schnabel, wie das gestern nach der Einigung der Tarifpartner klang:
    O-Ton Frank Bsirske: "Ich habe Herrn Seehofer als einen ebenso angenehmen wie kompetenten und lebensnah agierenden Verhandlungspartner kennengelernt und würde mich freuen, noch ganz viele Verhandlungen mit ihm zu machen."
    O-Ton Horst Seehofer: "Das könnte mir schaden."
    "Die Forderung der Gewerkschaften war ja wesentlich höher"
    Dobovisek: Verdi-Chef Frank Bsirske und Bundesinnenminister Horst Seehofer. Beide sprachen sogar von Harmonie bei den Gesprächen. Und dennoch schienen sich beide Seiten ziemlich ineinander verhakt zu haben. Wie passt das zusammen aus Ihrer Sicht?
    Schnabel: Die Forderung der Gewerkschaften war ja wesentlich höher. Es ging ja um eine Forderung von sechs Prozent pro Jahr. Außerdem wollte die Gewerkschaft ursprünglich ja nur einen einjährigen Tarifvertrag abschließen. Hier ist sie den Arbeitgebern doch sehr weit entgegengekommen. Diese 30 Monate bedeuten jetzt erst mal 30 Monate Ruhe und im Durchschnitt für die Gemeinden vor allen Dingen sind diese drei Prozent erträglich.
    Dobovisek: Sind denn die Gewerkschaften dann aus Ihrer Sicht auch gleichzeitig die Verlierer?
    Schnabel: Die Gewerkschaften sind nicht die Verlierer. Es war aber ursprünglich geplant, vor allen Dingen für die Hauptklientel der Gewerkschaften, also die untersten Lohngruppen, deutlich mehr herauszuholen, und da kann ich mir vorstellen, dass es einige Unzufriedenheiten gibt – vor allen Dingen dort, wo wir Kommunen haben, wo die Mieten hoch sind, wo das Lohnniveau insgesamt hoch ist. Da werden vermutlich viele Leute unzufrieden sein: Stuttgart, Hamburg, München. Die hatten sich dort sicherlich mehr vorgestellt.
    Dobovisek: Der öffentliche Dienst sollte ja attraktiver werden. Horst Seehofer, der Bundesinnenminister sagt jetzt sogar, der öffentliche Dienst sei mit diesem Abschluss wettbewerbsfähig. Sehen Sie das genauso?
    Schnabel: Nein, ich sehe das ganz und gar nicht so. Es gibt ein ganz massives strukturelles Problem, das natürlich in der Art der Lohnfindung im öffentlichen Dienst verankert ist, dass es überall in allen Regionen immer die gleichen Abschlüsse dann gibt. Die Löhne haben sich sehr stark auseinanderentwickelt. Auch die Zahlungsfähigkeit der Kommunen. Es gibt ja ganz viele Kommunen, die unter Nothaushaltsrecht stehen, die nicht das Geld haben. Für einige Kommunen ist es viel zu viel. Die werden stark einsparen müssen. In anderen Kommunen ist es von der Arbeitnehmerseite her einfach viel zu wenig, weil im freien Markt die Löhne ja wesentlich stärker gestiegen sind.
    Dobovisek: Wir sprechen bei den Kommunen über insgesamt fast siebeneinhalb Milliarden Euro in den nächsten 30 Monaten.
    Schnabel: Ja.
    Schnabel: Für viele Kommunen ein schwerer Brocken
    Dobovisek: Wo sehen Sie da konkret die größten Probleme?
    Schnabel: Die größten Probleme, die sehe ich in den Kommunen, die wie gesagt unter Nothaushalten stehen. Das sind sehr viele Kommunen im Ruhrgebiet, die hoch verschuldet sind und die jetzt schon nicht wissen, wie sie ihre Schwimmbäder, ihre kulturellen Einrichtungen und dergleichen finanzieren sollen. Da kommt natürlich auch noch die Belastung aus der Flüchtlingskrise dazu. Für diese Kommunen wird dieser Abschluss ein schwerer Brocken sein. Für andere Kommunen, denen es finanziell gut geht, sind diese ungefähr drei Prozent sicherlich kein Problem. Die haben hohe Überschüsse im Moment.
    Dobovisek: Sie plädieren für eine Kleinstaaterei im öffentlichen Dienst, für viele verschiedene regionale Abschlüsse?
    Schnabel: Ich bin mir dessen bewusst, dass das ein Tabubruch wäre.
    Dobovisek: Ganz neu wäre das ja nicht. So was gab es ja schon mal zum Beispiel mit Blick auf Westberlin im Kalten Krieg. Da gab es die sogenannte Inselzulage. Neue Idee also nicht, aber tatsächlich im Moment ein Tabubruch, wie Sie sagen?
    Schnabel: Es ist etwas, worüber man mal nachdenken muss, ob diese Art von Lohnfindung zeitgemäß ist in Zeiten, wo die Regionen sich sehr stark auseinanderentwickeln. – Genau!
    Dobovisek: Sehen Sie in dieser Richtung Bewegung?
    Schnabel: Da sehe ich bisher überhaupt keine Bewegung. Die Gewerkschaften haben meines Erachtens da noch nichts vorgelegt. Die Tarifgemeinschaft müsste dafür auch geändert werden. Das sind ganz massive Änderungen im gesamten Tarifrecht. Aber vermutlich wird man früher oder später in diese Richtung gehen müssen.