Das seit zwei Jahren gültige Gesetz sieht vor, dass bei konkurrierenden Tarifverträgen in einem Betrieb nur der Abschluss mit der mitgliederstärksten Gewerkschaft gilt. Andere Arbeitnehmervertretungen können sich diesen Vereinbarungen nur durch nachträgliche Unterzeichnung anschließen. Wer die meisten Mitglieder hat, das sollen im Zweifel die Arbeitsgerichte entscheiden.
Das Gesetz soll dafür sorgen, dass sich Rivalen von vornherein an einen Tisch setzen und sich abstimmen. Spartengewerkschaften, wie es sie bei der Deutschen Bahn oder der Lufthansa gibt, fürchten um ihre Durchsetzungskraft. In Karlsruhe sind insgesamt elf Verfassungsklagen gegen die Tarifeinheit anhängig, über fünf davon hat der Erste Senat nun stellvertretend entschieden. (Az. 1 BvR 1571/15 u.a.)
Streikrecht nicht in Gefahr
Die Richter stellen fest, dass das Gesetz Grundrechte beeinträchtigen kann. So habe es die schwächere Gewerkschaft im Betrieb womöglich schwerer, Mitglieder zu werben und zu mobilisieren. Das Streikrecht sei aber nicht in Gefahr. Der Senat sieht allerdings das Risiko, dass die Interessen kleinerer Berufsgruppen wie Piloten oder Krankenhausärzte unter den Tisch fallen. Dazu muss der Gesetzgeber bis Ende nächsten Jahres eine Neuregelung schaffen.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Lokomotivführer, Weselsky, wertete den Zwang zu Nachbesserungen als Erfolg. Er sagte im Deutschlandfunk, "der existenzgefährdende Angriff auf die Berufsgewerkschaften" sei abgewehrt. Der Vorsitzende der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, Kirchner, erklärte dagegen, die EVG sehe sich in ihrer Auffassung bestätigt, dass solidarische Tarifpolitik nur von den Gewerkschaften mit den meisten Beschäftigten verantwortet werden könne. Auch der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis hat das Urteil begrüßt.
Verfassungsrichter nehmen Arbeitsgerichte in die Pflicht
In anderen Punkten nehmen die Richter die Arbeitsgerichte in die Pflicht und machen verbindliche Vorgaben. Sie sollen beispielsweise dafür Sorge tragen, dass kein Arbeitnehmer Zusagen verliert, auf die er bei der Lebensplanung fest vertraut hat. Dazu gehören die Altersvorsorge, eine Arbeitsplatzgarantie oder die Lebensarbeitszeit. Die Entscheidung war im Senat umstritten. Zwei von acht Richtern stimmten dagegen, weil sie das Gesetz für zu scharf halten.
Anlass für die Neuregelung war ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2010, das verschiedene Tarifverträge nebeneinander möglich machte. Mit dem Tarifeinheitsgesetz will Bundesarbeitsministerin Nahles zurück zu der über Jahrzehnte gängigen Praxis nach dem Motto "ein Betrieb - ein Tarifvertrag". Sie begrüßte das Urteil: Das Gesetz stärke die solidarische Interessenvertretung durch die Gewerkschaften. Die vom Gericht gemachten Auflagen und Vorgaben würden die Anwendung des Tarifeinheitsgrundsatzes in der Praxis erleichtern. Es gelte nun, die Urteilsgründe "gründlich und sorgsam" zu analysieren.
(mw/gri)