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Tarifexperte: Ver.di hat in den letzten Jahren schwach abgeschlossen

Die Forderung von ver.di im Tarifkonflikt des öffentlichen Diensts sei zu hoch, findet Karl Brenke, Referent am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Das Ziel, zumindest keine Reallohnverluste mehr hinzunehmen, sei aber durchaus berechtigt. Die Lohnentwicklung im vergangenen Jahr sei hinter dem zurückgeblieben, was im Verteilungsspielraum möglich gewesen wäre.

Karl Brenke im Gespräch mit Bettina Klein | 30.03.2012
    Christoph Heinemann: Im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen hat es am Abend keine Annäherung gegeben. Die Arbeitgeber und die Gewerkschaften wollen die Verhandlungen heute ab acht Uhr fortsetzen, um weiter nach einem Kompromiss zu suchen. Über die Verhandlungen hat meine Kollegin Bettina Klein mit Karl Brenke gesprochen, er ist Tarifexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, und sie hat ihn zunächst gefragt, ob er erkennen könne, wohin die Reise im öffentlichen Dienst geht.

    Karl Brenke: Das ist sehr schwer zu sagen. Wir sind in einer Situation, wo die Gewerkschaften mit relativ hohen Forderungen in die Verhandlungen hineingegangen sind. Die Arbeitgeber haben zunächst gar nichts angeboten. Dann haben sie aufs Jahr gerechnet eine Tarifsteigerung angeboten von 1,7 Prozent, was die Teuerung nicht ausgleichen würde. Es ist schwer zu sagen. Man ist schon von den Prozentsätzen her ziemlich weit auseinander: 1,7 auf der einen Seite, 6,5 auf der anderen Seite.

    Bettina Klein: Wie bewerten Sie die Verhandlungen bisher? Gibt es einen gravierenden Unterschied zu den letzten Tarifrunden?

    Brenke: Ja, kann man schon sagen. Ver.di war ja in den letzten Jahren bei den Lohnforderungen relativ zurückhaltend. Man hat für bestimmte Gruppen Forderungen durchgesetzt, beispielsweise was Altersteilzeit anbelangt. Und jetzt hat man sich gedreht und man setzt jetzt darauf, dass die Arbeitnehmer grundsätzlich mehr bekommen sollen. Und es war ja auch so in den letzten Tarifrunden: Unter dem Strich für alle Beschäftigten kamen deutliche Reallohnverluste heraus. Jetzt geht man in eine völlig andere Richtung und sagt, wir müssen jetzt kräftige Zuschläge haben.

    Klein: Und 6,5 Prozent ist eine berechtigte Forderung aus Ihrer Sicht?

    Brenke: Nein, sie ist natürlich nicht berechtigt. Wir haben dasselbe Ritual, was wir eigentlich oftmals haben: Die einen wollen viel haben, die anderen wollen wenig geben. Nun wird man sich irgendwo in der Mitte treffen. Aber man muss schon sagen, dass natürlich eine Forderung, die in die Richtung geht, dass man zumindest keine Reallohnverluste erzielt, durchaus berechtigt sind.

    Klein: Klagen über klamme Kassen in den Kommunen, das erschließt sich allen Bürgern. Aber wenn es dann an die Gehaltserhöhungen geht, dann zählt das Argument nicht mehr?

    Brenke: Ja ich will mal so sagen: Es ist ja nicht jede Kommune klamm. Auf der anderen Seite muss man ja auch sehen: Die allermeisten Kommunen werden ja von Personen geführt in der Verantwortung, die Parteien angehören, die in den letzten Jahren durchweg für Steuersenkungen eingetreten sind und sie auch durchgeführt haben. Das heißt, die Verantwortlichen in den Kommunen sind ja zum Teil auch selbst in die Pflicht zu nehmen. Und dann fragt man sich schon; auf der einen Seite geht es natürlich nicht, dass man den Beschäftigten Reallohnverluste zumuten will, und auf der anderen Seite hat man selbst über seine Parteien dafür gesorgt, dass die Haushaltssituation in manchen Kommunen alles andere als blendend ist.

    Klein: Wäre das denn eine Möglichkeit, besser differenziert abzuschließen, je nach Kassenlage der Kommunen?

    Brenke: Das wäre schwierig. Ich halte wenig davon, nach Kassenlage beziehungsweise nach Konjunktur die Tarifverhandlungen zu gestalten. Ich bin eher ein Freund von Tarifabschlüssen, die erstens längerfristig wirken und die zweitens den Verteilungsspielraum auf mittlere Sicht im Auge behalten. Und der Verteilungsspielraum ist - gut: beim öffentlichen Dienst kann man das schwer messen - einerseits die Produktivität, zum anderen ist es eine gewisse Teuerung. Aber für mehrere Jahre ein Tarifabschluss, der drei Prozent plus beinhaltet, wäre sinnvoll jetzt, wäre aber auch in der Vergangenheit sinnvoll gewesen.

    Klein: Es gab eine hohe Mobilisierung bei den Warnstreiks, die wir bereits gesehen haben. Das hat die Gewerkschaft natürlich erfreut. Erwarten Sie, dass ver.di einen richtigen Arbeitskampf riskieren wird?

    Brenke: Nun gut, ich meine, ver.di steht natürlich auch selbst unter Druck. Man hat in den letzten Jahren schwach abgeschlossen, man ist mit dem Problem konfrontiert, dass die Mitgliederbasis schrumpft, und von daher muss man seinen Mitgliedern schon einiges bieten.

    Klein: Sie wollen "ein Zeichen setzen, dass das deutsche System der gemeinsamen Lohnfindung von Arbeitgebern und Gewerkschaften noch funktioniert". Das waren ja fast pathetische Worte, die Bundesinnenminister Friedrich am Abend als Vertreter der Arbeitgeberseite gefunden hat. Steht unser Tarifsystem in Frage, dass man das so betonen muss?

    Brenke: Na ja, man hat schon an manchen Ecken und Enden Auflösungserscheinungen. Es gibt ja schon hin und wieder Berichte darüber, dass Spezialgewerkschaften, sehr kleine Gewerkschaften, großen Gewerkschaften das Terrain nicht gerade abgrasen, aber doch in gewisser Weise unter Druck setzen. Ich sehe das durchaus als problematisch an. Wir haben ja, was das Tarifsystem anbelangt, kooperative Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sind in der Regel auch gut damit gefahren. Allerdings muss man feststellen: Im letzten Jahrzehnt und auch im letzten Jahr hatten wir eine Lohnentwicklung, die hinter dem zurückblieb, was im Verteilungsspielraum möglich gewesen wäre. Das heißt, die Gewerkschaften müssen schon etwas zulegen. Das bedeutet aber nicht, dass man jetzt die kooperativen Beziehungen aufkündigt, sondern es bedeutet, dass man eben zu dem zurückkehrt, was wir ja in den 80er- oder 70er-Jahren gehabt haben.

    Heinemann: Karl Brenke, Tarifexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Mit ihm sprach meine Kollegin Bettina Klein.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.