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"Tarifgemeinschaft der Länder ist eine erstrebenswerte Grundhaltung"

Nach mehr als fünfwöchigem Streik im öffentlichen Dienst glaubt auch der Innensenator von Berlin, Ehrhart Körting (SPD), dass ein Schlichtungsverfahren beiden Seiten eine Lösung ohne Gesichtsverlust bieten kann. Gleichzeitig halte er einen umfassenden Tarifvertrag für vernünftig. Der Tarifvertrag der Länder schütze beiden Seiten und sei deshalb eine erstrebenswerte Grundhaltung, betonte Körting.

    Heinlein: Nach dem Scheitern der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst haben sich beide Seiten nun eine Denkpause verordnet, um die Gemüter zu beruhigen. Doch im Arbeitgeberlager von Ruhe keine Spur. Im Gegenteil: lautstark die Kritik an Niedersachsens Finanzminister Möllring. Schlechter Stil und fehlender Einigungswille, so die massiven Vorwürfe an den Verhandlungsführer der Länder. Der CDU-Politiker wehrt sich nach Kräften gegen diese Kritik von Seiten der SPD. Ein Konflikt, der in Wahlkampfzeiten auch die große Koalition zunehmend belastet. – Bei mir am Telefon ist nun der Innensenator von Berlin, Erhart Körting (SPD). Guten Morgen!

    Körting: Guten Morgen!

    Heinlein: Herr Körting, bei Ihnen ist alles ruhig in der Hauptstadt. Niemand streikt im öffentlichen Dienst, denn Berlin – ich sagte es – ist seit Jahren nicht mehr Mitglied in der Tarifgemeinschaft der Länder. Fühlen Sie sich heute mehr denn je bestätigt in Ihrem Sonderweg?

    Körting: Ich glaube der Sonderweg Berlins ist durch die Sondersituation Berlins bedingt. Wir sind eine Stadt, die sich in Haushaltsnotlage befindet, und wir haben deshalb Konsequenzen gezogen, letztlich dann sogar im Einvernehmen auch mit den Gewerkschaften, und haben hier in Berlin 2003 einen so genannten Anwendungstarifvertrag geschlossen, der mehr Flexibilität auch für die Zukunft eröffnet. Ob der Weg für alle anderen gangbar ist, wage ich zu bezweifeln. Es ist eben unsere Sondersituation als Land ohne Geld.

    Heinlein: Aber klamme Kassen gibt es ja auch in anderen Landeshaushalten. Warum ist Ihr Weg kein Vorbild für andere Bundesländer?

    Körting: Vom Grundsatz her halte ich einen Tarifvertrag, der umfassend ist, schon für eine vernünftige Sache. Das schützt ja auch den Arbeitgeber, etwa in einem Land, wenn es mal ein bisschen mehr Geld hat, vor übertriebenen Forderungen. Was bisher ein bisschen gefehlt hat ist eine Flexibilität, die wir in Berlin durch immerhin einen Abschlag von 10 Prozent, dafür auch 10 Prozent weniger Arbeitszeit, gemacht haben. Das ist eine Situation, die in einer solchen Sonderlage, wenn man zu viel Personal hat, aber kein Personal entlassen will, Flexibilitätsmöglichkeiten eröffnet, die wir bisher im öffentlichen Tarifrecht nicht gehabt haben. Aber dass die Grundlagen identisch sind, dass man sich nicht in jedem Bundesland über einen anderen BAT unterhält, das würde ich vom Grundsatz her schon für vernünftig halten.

    Heinlein: Mehr Flexibilität sagen Sie ist ein Vorteil. Welche anderen Vorteile hat denn diese Unabhängigkeit von Berlin von der Tarifgemeinschaft der Länder für Sie als öffentlicher Arbeitgeber?

    Körting: Im Moment haben wir den ungeheueren Charme, dass wir mit den Gewerkschaften seinerzeit vereinbart haben, dass wir zwar über einen neuen Tarifvertrag verhandeln, aber erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die Tarifgemeinschaft der deutschen Länder einen neuen Tarifvertrag abschließt. Insofern beobachten wir zurzeit die Tarifauseinandersetzung quasi aus der ersten Reihe und warten ab, ob es einen neuen Tarifvertrag gibt. Der gilt dann nicht automatisch in Berlin. Dann sind wir in der Verhandlungsverpflichtung und können mit den Gewerkschaften darüber reden, welche Besonderheiten für Berlin gegebenenfalls bei einer Übernahme gelten. Das erleichtert uns zurzeit zuzusehen.

    Heinlein: Ist es für Sie aktuell einfacher, mit den Gewerkschaften zu verhandeln, ins Gespräch zu kommen?

    Körting: Ich habe den Eindruck, ungeachtet aller lautstarken Bekundungen, die es da von allen Seiten gibt, dass auch die Gewerkschaften durchaus daran interessiert sind, dass es zu einer Einigung kommt. Irgendwie hat bisher auf beiden Seiten so das letzte Fünklein, zusammen zu gehen, gefehlt.

    Heinlein: Ist denn vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Finanzsituation in den einzelnen Bundesländern aus Ihrem Blickwinkel ein gemeinsamer Tarifabschluss überhaupt noch zeitgemäß?

    Körting: Das sind zwei Fragen. Die eine Frage ist, ob man gemeinsam einen Vertrag hat, der den BAT ersetzen soll. Das ist der Tarifvertrag öffentlicher Dienst, der sozusagen die Grundlagen regelt, welche Gehaltsgruppen und Ähnliches es gibt. Die zweite Frage ist dann, ob es regionale Unterschiede bei Zuschlägen oder Ähnlichem geben soll. Das Letztere halte ich allerdings in unserer Zeit für zwingend.

    Heinlein: Haben Sie denn vor diesem Hintergrund dieser beiden Aspekte, die Sie gerade erwähnt haben, Verständnis für die Haltung Ihres Amtskollegen Stegner aus Schleswig-Holstein, der ja unbedingt diese Tarifgemeinschaft der Länder erhalten will?

    Körting: Das wollen übrigens beide; das will Möllring auch. - Ich halte vom Grundsatz her die TDL schon für eine erstrebenswerte Grundhaltung. Wie gesagt: es schützt auch den Arbeitgeber, die Arbeitgeberseite, wenn man eine gemeinsame Front machen kann, genauso wie die Gewerkschaften ja auch eine gemeinsame Front machen. Das halte ich vom Grundsatz her schon für hilfreich. Aber es bedarf glaube ich in der Zukunft schon der Möglichkeit, regionale Unterschiede zu machen. Wir werden ja in Kürze irgendwann die neuen Bundesländer angleichen an das Tarifgefüge. Das ist ja das letzte Mal schon vereinbart worden. Wir werden dann Unterschiede haben in den Lebenshaltungskosten. Wir werden Unterschiede haben in den Gehältern und Löhnen von Mitarbeitern anderer Branchen, ob das Metall, Bau oder was auch immer ist. Ich glaube auch der öffentliche Dienst kann sich dann von solchen Unterschieden nicht völlig ausklammern.

    Heinlein: Gibt es dort einen Dissens mit Ihrem Parteivorsitzenden Platzeck, der sich ja auch für einen Erhalt der Tarifgemeinschaft ausgesprochen hat?

    Körting: Nein! Auch Brandenburg, das von dem Parteivorsitzenden Platzeck regiert wird, hat über einen Anwendungstarifvertrag Besonderheiten für Brandenburg mit den Gewerkschaften vereinbart. Insofern hat auch Brandenburg von der Möglichkeit der Flexibilität durch Gespräche mit den Gewerkschaften Gebrauch gemacht. Das ist bisher auf ganz wenige Situationen – wie gesagt: in Berlin, Brandenburg gibt es so etwas, in Sachsen, Sachsen-Anhalt – begrenzt. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass es tarifliche Besonderheiten für die Nothaushaltslage des Landes Saarland, des Landes Bremen oder so geben muss.

    Heinlein: Tarifliche Besonderheiten, mehr Flexibilität, das sind ja durchaus Reizworte für die Gewerkschaften. Muss künftig die Parole gelten "jedes Bundesland für sich und die Gewerkschaften gegen alle"?

    Körting: Nein, aber künftig muss die Parole gelten, dass regionale Besonderheiten berücksichtigt werden müssen. Das ist sicherlich für die Gewerkschaften ein schwieriger Prozess. Andererseits: sie sind schon seit einigen Jahren im Grunde genau auf dieser Schiene. Sie müssen sich nur bewusst werden, dass sie das tatsächlich seit Jahren schon tun.

    Heinlein: Sie sind, Herr Körting, schon seit Jahren Innensenator in Berlin, haben also entsprechende Erfahrungen als öffentlicher Arbeitgeber. Welche Folgen hat denn die jetzt offen zu Tage tretende Spaltung des Arbeitgeberlagers für die künftigen Verhandlungen mit den Gewerkschaften? Was sagt da Ihre Erfahrung?

    Körting: Wenn es wirklich zu einem völligen Auseinanderplatzen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder käme und sozusagen jedes Bundesland oder zwei Bundesländer sich jeweils zusammen tun, um Tarifverhandlungen zu führen, glaube ich hätte das für das Arbeitgeberlager durchaus nicht nur Vorteile, sondern auch Nachteile, weil man dann sozusagen sich den wohlhabensten Arbeitgeberpartner erst einmal aussucht, bei dem versucht, ein Ergebnis vorzulegen, und dann versucht, das auf die anderen Länder umzulegen. Sie haben das bei den Metallverhandlungen immer gesehen. Üblicherweise begannen die in Baden-Württemberg, also in einer Metallindustrie mit guten Erträgen, und dann hat man versucht, seitens der IG Metall das auch auf die Bundesländer umzulegen, wo die Erträge nicht so gut sind, und das durchzudrücken. Insofern hat das für mich nicht nur Vorteile. Ich würde davor warnen, die TDL völlig auseinanderzusprengen. Wie gesagt: Berlin war eine Sondersituation.

    Heinlein: Ist denn Ralf Stegner für Sie als Verhandlungsführer noch tragbar, jetzt nach seiner offenen Kritik, die ja zu dieser Spaltung geführt hat?

    Körting: Ich finde in der Politik ist offene Kritik immer gut. Ich war bei den Verhandlungen nicht dabei. Ich kann also nicht einschätzen, wie das Klima der Verhandlungen war. Wenn ich Ralf Stegner richtig verstanden habe, hat er seinem Kollegen Möllring sozusagen vorgehalten, eigentlich willst du ja gar nicht, eigentlich willst du ja den Bruch, und das wollen wir nicht. Das kann ich jetzt von hieraus nicht beurteilen. Für das Lager der Länder ist die offene Diskussion allerdings nicht positiv.

    Heinlein: Ihre Partei, Ihr Parteivorsitzender hat sich ja gestern nun ganz klar für eine Schlichtung ausgesprochen. Ist das für Sie der richtige Weg, um die Verhandlungen nun nach dieser Denkpause wieder aufs Gleis zu bekommen?

    Körting: Erst mal sollten vielleicht alle noch mal miteinander reden, ob sie zu einem Ergebnis kommen, und sonst ist dies das übliche Verfahren. Wenn man nicht mehr weiter kommt – das haben wir ja schon in vielen Bereichen gehabt -, dann ruft man eben einen Unabhängigen. Man muss sich dann allerdings dem Spruch des Unabhängigen auch beugen. Ich wage mal eine Prognose: Der Unabhängige wird nicht alles zusprechen, was die Arbeitgeberseite will, aber er wird auch nicht bei dem Mini-Angebot bleiben – und da muss ich Möllring Recht geben -, was die Gewerkschaften gemacht haben. Das heißt er wird versuchen, ein salomonischen Weg zu finden. Das ist dann vielleicht eine Lösung, wo beide Seiten ohne Gesichtsverlust herauskommen.

    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk der Berliner Innensenator Erhart Körting. Herr Körting, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin!

    Körting: Ja! Auf Wiederhören!