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Tarifpartner in Deutschland haben kein Vertrauen zueinander

    Gerner: Kein Wirtschaftswachstum in Deutschland. Die Metallgewerkschaften fordern trotzdem 6,5 Prozent mehr Lohn. Damit gefährden sie einen möglichen Aufschwung und auch die Zukunft des Bündnisses für Arbeit, so die Kritik der Arbeitgeber gestern an den Gehaltsforderungen der IG-Metall. Das Bündnis für Arbeit, eine Todgeburt - so scheint es in den letzten Monaten. Können regelmäßige Treffen beider Tarifparteien überhaupt eine erfolgreiche Harmonieveranstaltung sein? Das Beispiel Holland mit seinem sogenannten Polder-Modell ist immer wieder als Erfolgsnummer eines Bündnisses für Arbeit in den Schlagzeilen gewesen. Immer wieder sind deutsche Politiker in die Niederlande gereist, um sich abzuschauen und anzuschauen, warum es dort gelang, die Arbeitslosigkeit auf vorübergehend läppische 1,9 Prozent zu drücken. Am Telefon ist Cees van Paridon, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Erasmusuniversität in Rotterdam. Ich grüße Sie.

    van Paridon: Guten Tag.

    Gerner: Herr van Paridon, was unterscheidet denn prinzipiell das holländische Polder-Modell als Bündnisveranstaltung von dem Deutschen Bündnis für Arbeit?

    van Paridon: Ich denke, das Wichtigste ist, dass schon seit sehr langer Zeit - man kann sagen, ab den 50-er Jahren - Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus eigenem Willen in bestimmten Zeiten eng zusammengearbeitet haben. Das haben sie nicht immer getan, aber man kann sagen, in den 50-er und 60-er Jahren und auch nach 1983 haben sie das aus eigenem Willen gemacht. Außerdem hat es in diesen Zeiten auch immer gute Kontakte zu den Regierungen gegeben. Eine gewisse Abstimmung zwischen der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung und der Sozialpolitik der Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat es eigentlich auch immer gegeben. Seit 1983 haben die Gewerkschaften auch immer ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrgenommen und nicht nur die mit einem Arbeitsplatz sondern auch diejenigen ohne einen Arbeitsplatz berücksichtigt.

    Gerner: Nun sagen in Deutschland die Arbeitgeber, dass die Gewerkschaften ihre gesellschaftliche Verantwortung mit 6,5 Prozent Lohnforderung nicht wahrnehmen. Hat sich denn über diese Jahrzehnte in den Niederlanden eine Kultur niedriger Tarifabschlüsse entwickelt?

    van Paridon: Das war in den 50-er und 60-er Jahren und auch in den Jahren nach 1983 so. Nur in den letzten Jahren, weil es immer mehr Spannung auf dem Arbeitsmarkt gab - es gab so viele öffentliche Stellen und so wenig Arbeitslose - ist diese Lohnmäßigung eigentlich verschwunden. Somit kann man in den letzten Jahren in den Niederlanden nicht mehr von Lohnmäßigung sprechen.

    Gerner: Sie sagten, mehr Spannungen als Erfolg einer niedrigen Arbeitslosenquote, wenn ich das richtig verstanden habe. Das müssen sie uns erklären.

    van Paridon: Durch diese Lohnmäßigung, aber auch - und das muss sicher auch genannt werden - durch eine Reihe von anderen Maßnahmen im Bereich der Wirtschafts- und Sozialpolitik, im Bereich der sozialen Sicherheit, mehr Wettbewerb, Flexibilisierung der Regulierung hat sich die Stimmung in den Niederlanden allmählich geändert und das hat dazu geführt, dass es eigentlich in den letzten 20 Jahren jedes Jahr Wachstum gegeben hat und dadurch auch so viele neue Arbeitsplätze entstanden sind. Es sind etwa 2 Millionen Arbeitsplätze hinzugekommen, das sind heute 50 Prozent mehr Arbeitsplätze als 1983.

    Gerner: Nun sagen Kritiker der holländischen Arbeitslosenstatistik, dass dort versteckte Zahlen, bzw. versteckte Arbeitslose in Arbeit untergebracht würden. Es gebe viele subventionierte Jobs. Die Vorruhestandregelung und Integrationsprogramme seien in Wahrheit nicht das Volksmodell.

    van Paridon: Natürlich gibt es in den Niederlanden diese Arbeitsunfähigkeitsprobleme, aber wenn man in die anderen Länder - auch nach Deutschland - sieht, dann kann man spüren, dass dort auch bestimmte Personen, die eigentlich als arbeitslos gelten sollten, in verschiedenen Regelungen untergebracht sind. Der Bereich dieses Arbeitsunfähigkeitsgesetz ist wirklich ein sehr großes Problem und lange Zeit schien es so, als ob hier das Polder-Modell keine wirkliche Lösung gebracht hat. Gestern ist es vielleicht gelungen, wieder zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Regierung eine Neuregelung in diesem Bereich zu schaffen, wodurch dieses Problem im Laufe der Zeit etwas geringer werden soll. Ich denke, das ist ein Beispiel, das im Falle des Gelingens zeigt - es ist noch nicht vollbracht, aber es scheint zumindest möglich -, dass das Polder-Modell wirklich einen Beitrag geleistet hat.

    Gerner: Nun sind Sie auch ein kritischer Beobachter der Verhältnisse in Deutschland. Was läuft denn in der deutschen Bündnisveranstaltung falsch?

    van Paridon: Ich denke, dass es eigentlich nicht die eigenen Sache der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist, dass sie kein Vertrauen zueinander haben. Ich kann mir vorstellen, dass in verschiedenen Industriefaktoren die Möglichkeit für Lohnerhöhungen da sind - vielleicht nicht in der Höhe von 6,5 Prozent -, aber es gibt viele andere Sektoren, wo diese Möglichkeit eigentlich nicht da ist. Das Problem ist, dass alle Leute glauben, dass, wenn jemand anfängt, solche Forderungen, wie die der 6,5 Prozent, zu stellen, alle Leute mitmachen sollen. Das kann so nicht gehen.

    Gerner: Würden Sie denn Gerhard Schröder empfehlen, diese Bündnis für Arbeit, jetzt wo wir auch in Deutschland im Wahlkampf sind, zu beenden, oder kann er damit noch punkten?

    van Paridon: Ich denke, er kann damit punkten, aber dann soll er deutlich machen, dass die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wirklich das dringendste Problem ist und dass er dafür harte, entscheidende Maßnahmen treffen wird, auch wenn das für einige vielleicht nicht so attraktiv ist. Wenn dieses Problem gelöst werden soll, dann kann das nicht ohne harte Maßnahmen geschehen. Das haben wir in den Niederlanden auch mitgemacht.

    Gerner: Sie haben eben gesagt, dass Ihrer Meinung nach die Tarifpartner in Deutschland kein Vertrauen gegenüber einander hätten. Woran merken und sehen Sie das?

    van Paridon: Das spürt man, wenn man mit Deutschen spricht und speziell wenn man die Verhältnisse zwischen Personen auf verschiedener Ebene - auf Bundesebene, aber auch innerhalb von Sektoren und Betrieben - betrachtet. Man spürt, dass das in den Niederlanden doch auf eine andere Art und Weise abläuft. In Deutschland ist es immer noch schwerer, diesen Widerstand sozusagen von Arbeit gegenüber Kapital, zu bekämpfen. Diesen Widerstand haben wir in den letzten Jahren in den Niederlanden eigentlich nicht mehr gehabt. 1983 war die Lage in den Niederlanden dramatisch. Das wichtigst Problem ist die Arbeitslosigkeit und das ist das größte Budgetdefizit. Alles ist sozusagen gestattet, um dieses Problem zu verringern. Das hat viele Jahre gedauert, aber heute sehen wir noch immer, dass es relativ gut geht. Die Arbeitslosigkeit in den Niederlanden steigt noch immer nicht - auch im letzten Jahr nicht -, das Budget gibt einen Überschuss und das macht es auch für die Regierung etwas einfacher, bestimmte Maßnahmen zu treffen. Ich denke, das ist doch ein Unterschied zu den Deutschen.

    Gerner: Cees von Paridon war das, Wirtschaftswissenschafter an der Erasmusuniversität Rotterdam. Danke für Ihre Einschätzung und Auf Wiederhören.