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Tarifstreit bei der Bahn
"Jeder Streik muss ein Ende haben"

Bei jedem Streik müsse es ein Ausstiegsszenario geben, wie der Arbeitskampf beendet werden könnte, sagte Klaus Wiesehügel, ehemaliger Vorsitzender der IG Bau, im DLF. Die Bahn solle sich "ein attraktives materielles Angebot" überlegen.

Klaus Wiesehügel im Gespräch mit Christiane Kaess | 07.11.2014
    Klaus Wiesehügel, Ex-Vorsitzender der IG Bau
    Klaus Wiesehügel, Ex-Vorsitzender der IG Bau, fordert ein attraktives Angebot der Bahn für die Lokführer. (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
    "Jeder Streik muss auch ein Ende haben", sagte Klaus Wiesehügel, ehemaliger Vorsitzender der IG Bau, im Deutschlandfunk. Er habe immer darauf geachtet, dass es ein Szenario zum Ausstieg gab, wenn ein Streik bei ihm beantragt wurde. Doch nicht nur die streikende Gewerkschaft habe es in der Hand, den Arbeitskampf zu beenden. "Die Deutsche Bahn muss überlegen, ob sie nicht den Lokführern ein attraktives materielles Angebot machen will, das diese nicht ausschlagen können."
    Für Wiesehügel ist der aktuelle Bahnstreik auch zu sehr auf den Machtkampf zwischen GDL und EVG fokussiert. "Es geht in erster Linie immer noch um bessere Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer." Das dürfe auch GDL-Chef Claus Weselsky nicht außer Acht lassen. Andernfalls verliere er über kurz oder lang die Unterstützung der GDL-Mitglieder.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Die Lokführer dürfen erst einmal weiterstreiken, so das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main gestern Nacht. Es gibt keine einstweilige Verfügung gegen den Streik bisher. Heute Vormittag beschäftigt sich das hessische Landesarbeitsgericht mit dem Konflikt, nachdem die Bahn Berufung eingelegt hat. Am Telefon ist jetzt Klaus Wiesehügel. Er war von 1995 bis 2013 Bundesvorsitzender der IG Bauen, Agrar, Umwelt, kurz der IG Bau. Guten Tag, Herr Wiesehügel.
    Klaus Wiesehügel: Guten Tag, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Wiesehügel, ist das die härteste Tarifauseinandersetzung, die wir jemals hatten?
    Wiesehügel: Nein. Es gab auch schon andere Tarifverhandlungen, die auch sehr hart waren, die andere Gewerkschaften geführt haben. Nur hier haben wir natürlich die Situation, dass öffentliche Betroffenheit wesentlich größer ist. Wenn Sie gegen einen Arbeitgeberverband des produzierenden Bereiches streiken, dann ist das für den natürlich genauso unangenehm, aber Sie haben nicht die Begleitmusik durch Presse und vor allen Dingen durch Betroffene, die an sich gar nicht Beteiligte des Tarifverfahrens sind, wie wir das bei Streiks erleben, die den öffentlichen Verkehr betreffen.
    Kaess: Wie wirkt sich Ihrer Meinung nach diese öffentliche Betroffenheit aus in dem Konflikt?
    Wiesehügel: Erstaunlicherweise - und das freut mich eigentlich, dass die Menschen auch darüber nachdenken, dass es ja darum geht, das Einkommen der Lokführer zu verbessern, das nicht wirklich sehr ruhmreich ist von der Höhe her, und dass es nicht so ist, dass die Menschen jetzt alle sagen, wie können die nur streiken, ich will fahren, sondern dass viele Verständnis dafür haben, und das finde ich an sich ganz gut.
    Kaess: Aber es geht natürlich neben dieser Lohnauseinandersetzung auch um einen Machtkampf zwischen zwei Gewerkschaften. Sie haben ähnliche Erfahrungen zumindest in der Tarifauseinandersetzung gemacht. Wie haben Sie solche besonders schwierigen Situationen erfahren?
    Das Streik-Ende muss erfolgreich sein
    Wiesehügel: Solche Tarifauseinandersetzungen, die zum Streik führen, sind immer eine sehr kritische Angelegenheit. Das war bei uns auch und auch bei mir persönlich so, dass man dann natürlich in einer besonderen Weise gefordert ist. Man weiß, was auf dem Spiel steht, ein verlorener Streik ist für eine Gewerkschaft und auch für den Vorsitzenden dieser Gewerkschaft eine Situation, die mehr als misslich ist. Das wirft einen viele Jahre zurück und das kann man sich an sich auch nicht erlauben, und von daher habe ich meinen Kolleginnen und Kollegen, die für verschiedene Branchen zuständig waren, immer gesagt, Leute, wenn ihr bei mir einen Streik beantragt, weil ihr nicht weiterkommt in der Tarifpolitik, dann will ich von euch auch das Szenario wissen, wie wir aus diesem Streik wieder rauskommen. Weil jeder Streik hat einen Anfang, er muss aber auch ein Ende haben und das Ende muss erfolgreich sein.
    Kaess: Glauben Sie, dass Herr Weselsky eine Vorstellung davon hat, wie es ausgehen könnte?
    Wiesehügel: Ich kann das nicht einschätzen. Ich stecke zu wenig in dieser Materie drin. Aber er geht durchaus auch ein hohes Risiko ein. Das ist nicht einfach, was er macht. Aber was ich nicht verstehe ist, dass in der Öffentlichkeit, dass in der Berichterstattung es überwiegend immer um diesen Machtkampf geht und vergessen wird, worum es ja eigentlich mir immer ging, wenn ich Tarifverhandlungen und auch Streiks geführt habe, nämlich um das Einkommen. Jetzt wird geklagt, dass die Bahn 150 oder 100 Millionen am Tag verliert an Minus durch diesen Streik. Ich habe mir das mal überlegt: Fünf Prozent fordern die. Fünf Prozent wäre für die Lokführer nicht schlecht. Wenn ich 3000, also das höchste Einkommen nehme, dann sind das 150 im Monat, sind 1800 im Jahr, wären 45 Millionen für die Bahn in einem Jahr. Jetzt verliert sie 100 am Tag. Die Bahn sollte vielleicht mal beginnen, darüber nachzudenken, dass man diesen Streik auch dadurch beenden kann, dass man den Lokführern ein gutes und ein großzügiges Angebot macht.
    Kaess: Aber, Herr Wiesehügel, der Kern ist doch in der Tat ein Machtkampf zwischen zwei Gewerkschaften, weil beide einen eigenen Tarifvertrag für sich beanspruchen für eine bestimmte Berufsgruppe.
    Wiesehügel: Das wird immer auf diesen Punkt fokussiert und vielleicht auch von beiden Seiten. Letztendlich zählen die Arbeitnehmer in diesem Bereich, und wenn die Arbeitnehmer ein richtig gutes Angebot bekommen, würde ich als Vorsitzender natürlich mit denen erst mal reden, wie wir denn nun weiter vorgehen. Von daher würde ich die Bahn auffordern, nicht nur sich vor den Gerichten umzutreiben und sich ständig zu beklagen, sondern sich mal hinzusetzen und zu überlegen: Welche Strategie können wir denn fahren, dass wir die Lokführer auf unsere Seite kriegen? Und die einzige Strategie, die sie fahren können, ist, ein großzügiges materielles Angebot zu machen.
    Kaess: Und dann glauben Sie, wenn es mehr Geld geben würde, dass Herr Weselsky von dieser Forderung nach einem eigenen Tarifvertrag abrücken würde.
    "Ich habe positive Erfahrungen mit Schlichtern gemacht"
    Wiesehügel: Zumindest wird es eine Diskussion in der GDL geben. Ich habe oft genug vor den Kollegen gestanden und musste diskutieren, warum wir hier oder an dieser Stelle nun streiken, und es war nicht einfach. Ich habe auch schon einen Streik verloren in Berlin, das war sehr, sehr schmerzlich. Ich kenne diese ganze Palette dessen, was da auf einen zukommen kann. Aber immer habe ich gewusst, dass der Streik immer dann gut zu Ende geht, wenn die Kollegen über das Ergebnis, vor allen Dingen das materielle Ergebnis sehr zufrieden sind.
    Kaess: Herr Wiesehügel, ist das jetzt der Moment, einen Schlichter einzuschalten? Bisher ist das ja abgelehnt worden. Aber gibt es im Moment jetzt gar keine andere Wahl mehr?
    Wiesehügel: Ich habe positive Erfahrungen mit Schlichtern gemacht. Ich habe mit unterschiedlichen Schlichtern gearbeitet. Uns hat das geholfen, aber wir waren in einer völlig anderen Situation als die GDL ist. Die GDL-Hauptforderung ist, für das gesamte fahrende Personal zu verhandeln, und sie weiß, dass die andere Seite dies überhaupt nicht will, und dann fragt man sich natürlich, was soll ich in einer Schlichtung, wenn diese Schlichtung höchst wahrscheinlich kein Ergebnis bringt. Sie müssen sicher auch sehen: Wenn es eine Schlichtung gibt und der Schlichter ist dann irgendjemand Prominentes oder sonst wie und der macht einen Vorschlag, den Claus Weselsky nicht annehmen kann, dann hat er natürlich den zweiten Preis, und deswegen wird er einer Schlichtung mit einem, der da mal herkommt und was erzählt, nicht einverstanden sein können. Dafür gibt es viel zu viel schon auch im politischen Bereich öffentliche Parteinahme, so will ich das mal sagen. Man sieht das ja auch dadurch, dass die Politik ein Gesetz vorlegt, das Gesetz zur Tarifeinheit, mit dem ich meine Probleme hätte.
    Kaess: Warum?
    Wiesehügel: Sie müssen ja sehen: Wenn Sie jetzt demnächst sagen, ich habe mehr Mitglieder als der andere, dann müssen Sie das beweisen. Dann müssen Sie gegebenenfalls die Namenslisten der Mitglieder offenlegen. Das finden, glaube ich, nicht alle so toll, die Mitglied einer Gewerkschaft sind. Und wir sind näher, sehr nahe dran an der Situation, wie sie zum Beispiel in Amerika ist. In Amerika muss jeder sagen, jawohl, ich will in diese Gewerkschaft eintreten, damit es überhaupt einen Tarifvertrag gibt, und das ist ein gefundenes Fressen für junge hemmungslose Juristen, die die Leute wirklich so was von verängstigen und fertig machen. Ich habe das erlebt, ich war ja auch mal international für die Gewerkschaft zuständig. Ich möchte nicht, dass wir demnächst die Namenslisten veröffentlichen müssen und der eine dann das vergleicht mit dem anderen, ach den hast Du, den habe ich, weil das erfahren nicht nur die Gewerkschaften, sondern das erfährt dann auch der Gegner, das heißt der Arbeitgeber, und denen traue ich nicht über den Weg.
    Kaess: ... , sagt Klaus Wiesehügel, von 1995 bis 2013 war er Bundesvorsitzender der IG Bau. Danke für das Gespräch heute Mittag.
    Wiesehügel: Ja bitte schön, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.