Remme: Herr Stüber, gibt es ein Angebot in dieser ersten Rund in Stuttgart heute Nachmittag?
Stüber: Nein, die erste Runde ist ja in der Regel die Runde, in der wir unsere Informationen, unsere Forderungen und unsere Begründungen austauschen. Aber wir haben ja bereits ein Angebot gemacht, wenn Sie so wollen. Wir haben gesagt: Wenn wir in dieser Runde über Einkommensveränderungen reden wollen, dann muss es Kompensationen geben. Wir haben eine Nullrunde, eine Nullbelastung gefordert und anderes verkraften die Kassen angesichts der dramatischen Finanzlage, die ja gestern noch einmal nachdrücklich durch die neuen Steuerschätzungen bestätigt wurde, nicht. Etwas anderes verkraften die Kassen nicht.
Remme: Sie haben Erfahrung. Können Sie sich an eine vergleichbare Situation in den vergangenen Jahrzehnten erinnern?
Stüber: Also, so schlimm wie zur Zeit war die Finanzlage noch nie. Das wird ja auch daran deutlich, dass der Bundesfinanzminister eine Kommission berufen hat, die sich mit den kommunalen Finanzen befassen soll, dass selbst in der Koalitionsvereinbarung das Thema Kommunalfinanzen als ein besonderes, zentrales Thema rausgestellt worden ist und dass sich inzwischen alle Menschen Gedanken darüber machen, wie das denn auf der kommunalen Ebene aussehen soll.
Remme: Mit welchem Ziel gehen Sie in diese Verhandlungen, Herr Stüber?
Stüber: Wir gehen da rein, mit dem Ziel, dass wir das Wort von der neuen Ehrlichkeit, das ja die Gewerkschaft ver.di geprägt hat, ernst nehmen, und wenn wir das ernst nehmen, dann müssen wir uns in der Tat objektiv mit den Fakten auseinandersetzen, die nun transparent für jeden auf dem Tisch liegen und dann sehen, was wir auf dieser Basis für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun können. Ich sage noch einmal: Da muss es am Ende für die Haushalte eine Nullbelastung geben. Wenn man auf der einen Seite eine Veränderung auf der Einkommensseite haben will, muss man auf der anderen Seite Kompensation anbieten und man muss das Instrument, das Argument der sicheren Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst nachdrücklich werten.
Remme: Also, kein Angebot in der ersten Runde. Nun wissen wir, dass es bei Tarifverhandlungen nun einmal Maximalpositionen gibt. Es wird vermutlich keine Nullrunde geben und gar zu kräftig wird die Erhöhung auch nicht ausfallen. Werden diese Rituale am Anfang dem Ernst der Lage gerecht?
Stüber: Noch einmal wiederholt: Wenn Sie sich anschauen, wie denn die Finanzlage, die Arbeitsmarktlage und die Wirtschaftslage in diesem Lande aussieht, dann ist die wirklich dramatisch und hat sich seit Frühjahr, seit die ersten Abschlüsse in der privaten Wirtschaft gemacht worden sind, noch dramatisch verschlechtert. Alle Wachstumsprognosen sind nach unten korrigiert worden. Die Steuerschätzung gestern hat dramatische Perspektiven aufgezeigt. Die Defizite in den Verwaltungshaushalten der 99 größten Städte sind um 50 Prozent höher als im letzten Jahr. Wer angesichts dieser Lage jetzt noch den Personalkostenbereich, der ja den dicksten Brocken in allen Haushalten ausmacht – bei den Krankenhäusern beispielsweise 70 Prozent – noch zusätzlich belastet, der greift tief in die Existenz von kommunalen Haushalten und Verwaltung ein, der gefährdet die Arbeitsplätze, der gefährdet die Leistungen für Bürgerinnen und Bürger, der treibt Gebühren für die Bürgerinnen und Bürger hoch und der macht eigentlich eine Handlung auf kommunaler Eben fast unmöglich.
Remme: Ganz konkret, Herr
Stüber: Was würden drei Prozent für Bochum bedeuten?
Stüber: Ein Prozent für Bochum umgerechnet macht etwa 2,3 Millionen, drei Prozent wären dann ungefähr sechs bis sieben Millionen Euro.
Remme: Und müssten Sie eine solche Steigerung kompensieren, was würde geschehen?
Stüber: Beim Kompensieren gibt es drei Möglichkeiten: Erstens, wir müssen Arbeitsplätze abbauen. Ein Prozent Einkommenssteigerung im gesamten öffentlichen Dienst macht etwa 19.000 Beschäftigte aus. Das zweite Argument oder die zweite Kompensation wäre, dass wir Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger drastisch einschränken müssten, also weitere Einrichtungen im jugendlichen und sozialen Bereich schließen, die wir bisher freiwillig aufrecht erhalten. Die dritte Möglichkeit, und ich denke, darüber werden wir mit ver.di reden müssen, sind Bausteine, die man anbieten muss. Wenn man auf der einen Seite Einkommensveränderungen haben möchte, dann müssen auf der andere Seite Kompensationen im Bereich der Arbeitszeit, im Bereich von Urlaub, von Weihnachtsgeld, im Bereich der freien Tage, von Aufstiegen und Leistungszulagen sein. Von allem, was es dort gibt, von einer gesamte Bandbreite kann man sich einzelne Bausteine gut und konkret in Verhandlungen anschauen.
Remme: Sind betriebsbedingte Kündigungen im öffentlichen Dienst weiterhin tabu?
Stüber: Das wird sich in dieser Runde zeigen. Bisher sind sie in weiten Fällen tabu. Viele Kommunen haben dazu sogar politische Appelle beschlossen. Wir werden nicht ohne weiteres von heute auf morgen Leute entlassen können, das weißt ich auch, denn die Sicherheit der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst ist gegeben, aber, wenn die Leistung entfällt, wenn die Arbeit entfällt, dann gibt es auch für diese Menschen, wo die Leistung wegfällt, keine Arbeit mehr, und dann werden wir uns von denen auch trennen müssen. Das heißt dann auch betriebsbedingte Kündigungen.
Remme: Herr Stüber, bisher verhandelte ÖTV und DHG für die Arbeitnehmer, jetzt nach der Fusion sitzt Ihnen ver.di gegenüber. Macht das die Sache leichter, schwieriger oder spielt das keine Rolle?
Stüber: Ich befürchte, das macht es eher schwieriger, weil ver.di jetzt seit Anfang dieses Jahres nun eine gesamte Bandbreite sozusagen der gesamten Wirtschaft verhandelt, weil ver.di zum ersten Mal als großer Gewerkschaftszusammenschluss von verschiedenen einzelnen Gewerkschaften verhandelt und weil ver.di natürlich zu Beginn dieses Tarifjahres auch hohe Erwartungen erzeugt hat. Unter dem eigenen Druck steht die Gewerkschaft nun.
Remme: Auch die weitere Angleichung der Ost- und Westgehälter steht auf der Tagesordnung. Können Sie hier Aussicht auf Fortschritte machten?
Stüber: Also, die Ost-Westangleichung ist sicher ein Thema, über das man reden muss. Nur will ich hier sagen: Eine Lösung, wie sie in der Koalitionsvereinbarung, übrigens völlig unter Eingriff und unter Missachtung der Tarifautonomie, vereinbart worden ist, das in Stufen bis zum Jahre 2007 zu realisieren oder bis zum Jahre 2006 ist völlig irreal, denn die Lage in den neuen Ländern ist noch schwieriger als bei uns, wobei man erkennen muss, dass wir zur Zeit in dem Tarifvertrag 90 Prozent geregelt haben. 90 Prozent! Die private übrige Wirtschaft liegt übrigens erst bei 72 Prozent - 72 Prozent im Westen. Wir sind im öffentlichen Dienst also weit voraus. Wenn man sich aber de facto ankuckt, sind wir heute schon bei 94 oder 95, denn die Beschäftigten in den neuen Ländern haben geringere Sozialabgaben, zahlen keine Leistung zu der Zusatzversorgung und stehen damit also besser als ihre Kollegen in den alten Bundesländern. Aber, man wird darüber reden müssen, ob es da ein Signal gibt oder ob es dort noch Veränderung geben kann, aber einen Stufenplan oder eine volle Angleichung ist völlig irreal.
Remme: Vielen Dank. Das war der Bochumer Oberbürgermeister, Ernst-Otto Stüber. Er verhandelt auf der Arbeitgeberseite für die Gemeinden. Mitgehört hat der Mann, der auf der anderen Seite des Tisches in Stuttgart sitzen wird. Am Telefon ist Frank Bsirske, Verhandlungsführer für die Arbeitnehmerseite, Vorsitzender von ver.di. Morgen, Herr Bsirke.
Bsirske: Guten Morgen.
Remme: Herr Bsirske, ich habe eingangs die streikenden Feuerwehrleute in Großbritannien erwähnt. Müssen wir bei Feuer auch bald die Bundeswehr rufen?
Bsirske: Nun, ich denke, dass die Feuerwehrleute sehr aufmerksam verfolgen werden, wie sich diese Lohnverhandlungen entwickeln. Wir haben hier eine Situation, wo gerade die Feuerwehrleute besonderen Belastungen ausgesetzt sind. Sie haben eine Lebenserwartung, die im Durchschnitt acht Jahre unter der Lebenserwartung der männlichen Bevölkerung liegt, und da wird natürlich schon gekuckt, wie die Arbeitgeberseite mit der Lebenssituation dieser Menschen umgeht. Ich rechne fest damit, dass auch die Feuerwehrleute, wenn sich die Auseinandersetzung zuspitzen sollte, auf der Seite der verhandelnden Arbeiterinnen und Arbeiter und Angestellten stehen und auch mit Aktionen unterstützen werden, was an Protestaktionen und gegebenenfalls auch an Warnstreikaktionen und weiteren Handlungen auf Seiten der Arbeiter und Angestellten läuft.
Remme: Herr Bsirske, Sie haben Ernst-Otto Stüber gehört. Wie will ver.di, wie wollen Sie an der dramatischen Lage der öffentlichen Kassen, die ja keiner bestreiten kann, vorbeikommen und glaubwürdig Lohnerhöhungen durchsetzen?
Bsirske: Nun, sehen Sie, wir haben seit über zehn Jahren in den Verhandlungen des öffentlichen Dienstes das immer gleiche Lied gehört und auch die Ergebnisse deuten in die immer gleiche Richtung: Abschluss für Abschluss durchgängig unter denen der Privatwirtschaft eine Lücke von etwa 5 bis 6 Prozent, wenn man auf die letzten zehn Jahre guckt. Gleichzeitig sind allein im Gemeindebereich 5.000 Arbeitsplätze abgebaut worden. Nichts deutet darauf hin, dass sich daran etwas ändern würde, wenn die Beschäftigten Lohnzurückhaltung üben und darauf verzichten, das was in der Privatwirtschaft durchgesetzt sein könnte, auf den öffentlichen Dienst zu übertragen. Das wird, so wie die Dinge liegen, noch zehn Jahre so weitergehen, und auf der anderen Seite ist nicht einzusehen, warum die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit ihrem Portemonnaie dafür herhalten sollen, dass aufgrund politischer Entscheidungen mit dem Verzicht auf die Vermögenssteuer Jahr für Jahr den Reichsten im Lande Milliardenbeträge geschenkt werden. Das passt nicht zusammen. Ich halte es für einen ausgesprochenen Skandal, dass auf der einen Seite die Knappheit öffentlicher Kassen beklagt wird und anders als in allen Industriestaaten um uns herum, inklusive Nordamerika, den Reichsten im Lande Jahr für Jahr Milliardenbeträge geschenkt werden. Das ist eine Logik, die nicht mehr überzeugt, nicht akzeptiert wird, und ich glaube, niemand muss sich wundern, dass Kanalbetriebsarbeiter, dass Krankenschwestern, dass Erzieherinnen, dass Sozialarbeiter sagen: So kann es nicht weitergehen und Lohnzurückhaltung wird nicht honoriert.
Remme: Die Arbeitgeber sagen, der öffentliche Dienst kann eine Lohnpause verkraften und führen die bisher hohe Arbeitsplatzsicherheit ins Spiel. Lassen Sie das Argument gelten?
Bsirske: Nun, wir haben Arbeitsplatzsicherheit ja nicht nur im Bereich des öffentlichen Dienstes, wobei wir gleichzeitig den massiven Arbeitsplatzabbau der letzten Jahre ja nicht übersehen dürfen. Nur, das ändert ja an einem nichts, nämlich dass die Menschen für den Lohn, den sie bekommen, auch über die Runden kommen müssen, dass sie, wenn von ihnen gute Arbeit erwartet wird, auch gutes Geld ihrerseits erwarten dürfen und dass das, was in der Privatwirtschaft in so schwierigen Branchensituationen, wie etwa der Bauwirtschaft durchgesetzt werde konnte, auch die Orientierungsmarke für den öffentlichen Dienst sein kann.
Remme: Aber Sie müssen doch gelten lassen, dass im öffentlichen Dienst sehr viele Angestellte weitaus weniger Angst um ihre Jobs haben müssen als in der Privatwirtschaft?
Bsirske: Ja, nur ändert das ja nichts daran, dass man mit dem Geld, das man kriegt auch über die Runden kommen muss, und die Entwicklung der letzten zehn Jahre – ich habe darauf hingewiesen – die uns Abschluss für Abschluss niedrigere Abschlüsse im öffentlichen Dienst erbracht hat, kann und soll so nicht weitergehen, und ich sage, die öffentlichen Beschäftigten sind nicht dazu da, den Reichsten im Lande den Verzicht auf die Vermögenssteuer zu finanzieren.
Remme: Nun erzwingen Sie möglicherweise auch eine Lohnerhöhung, erzwingen damit aber auch betriebsbedingte Kündigungen, die dann kein Tabu mehr sind. Nehmen Sie das ernst?
Bsirske: Ich halte das für eine vergleichsweise leere Drohung, denn wir sind in dieser Gesellschaft auf öffentliche Dienstleistungen angewiesen. Wir sind darauf angewiesen, dass in den Krankenhäusern eine vernünftige Versorgung hergestellt werden muss. Wir sind darauf angewiesen, dass es eine gute und ausreichende Kinderbetreuung gibt und auf viele andere Dinge mehr. Ich denke, dass eine Politik nicht fortgesetzt werden kann, die den Reichsten im Lande die Vermögenssteuer schenkt, die die Gemeinden finanziell auf eine sehr problematische Plattform stellt. Wir brauchen eine Gemeindefinanzreform. Es gibt Alternativen zu dieser Art, den öffentlichen Dienst zu finanzieren, und ich denke, vor diesem Hintergrund werden die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zurecht auch darauf bestehen, dass sie mir ihren Einkommensinteressen Berücksichtigung finden.
Remme: Sie haben im Vorfeld gesagt: Wir brauchen ein Angebot der Arbeitgeber in der ersten Runde. Herr Stüber hat gerade gesagt: Das wird nicht kommen. Wie reagieren Sie darauf?
Bsirske: Nun, das ist ein sehr schlechtes Signal. Wir haben ja mit unserer Forderung an den Realitäten der letzten Monate aufgesetzt und darauf gesetzt, dass dem auf der Arbeitgeberseite auch Rechnung getragen wird und vor diesem Hintergrund gesagt: Wir erwarten von Anfang an eine verhandlungsfähiges Angebot. Wir wollen diese Lohnverhandlungen zügig zum Abschluss bringen. Wenn die Arbeitgeberseite heute tatsächlich das umsetzt, was Herr Stüber angekündigt hat, dann ist das ein Signal, das die Weichen letztlich auf Konflikt und auf Auseinandersetzung stellt, und dann gehen wir in der Tat einer stürmischen Tarifrunde entgegen.
Remme: Vielen Dank. Das war Frank Bsirske, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und Verhandlungsführer auf Arbeitnehmerseite.