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Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst

    Müller: Am kommenden Freitag fällt der Startschuss für die Mammuttarifrunde im Öffentlichen Dienst. Die Tarifparteien verhandeln erstmals seit zwei Jahren wieder um mehr Lohn und Gehalt für die rund drei Millionen Arbeiter und Angestellten bei Bund, Ländern und Gemeinden. Beim letzten Abschluss im Frühjahr 2000 sind die Tarifparteien nur knapp an einem Streit vorbeigeschrammt. Diesmal könnte es ähnlich laufen, denn die Staatskasse ist leer. Schwierige Zeiten also für die Staatsdiener, in dieser Situation mehr Geld zu fordern. Vor der Sendung hatten wir Gelegenheit mit Erhard Geyer zu sprechen, Chef des Deutschen Beamtenbundes. Die erste Frage an Erhard Geyer: Wie schlecht sind denn die Tarifkarten diesmal wirklich?

    Geyer: Ich denke, dass wir eine sehr moderate Forderung gestellt haben. Wir haben uns orientiert an den Abschlüssen, die in diesem Jahr getätigt worden sind. Der Anspruch, den wir erheben und den man auch erheben kann, der realistisch ist, ist eben Teilhabe an der allgemeinen Einkommensentwicklung. Die kennt man nun jetzt. Und deshalb haben wir eine Forderung von 3,5 Prozent gestellt, aber auch deutlich gemacht, dass es da keinen großen Spielraum mehr gibt, was da noch zu verhandeln wäre. Ich denke, das ist auch auf der Arbeitgeberseite durchaus zu akzeptieren, und wir gehen mit einem guten Einstieg, mit dieser Forderung in die Verhandlung, aber ich bin mir sicher, dass es eine sehr harte Verhandlungsrunde oder –runden werden.

    Müller: Harte Verhandlungsrunde in harten Zeiten. Ist das gerechtfertigt?

    Geyer: Die Zeiten sind hart, aber ich kenne das seit nunmehr der gesamten Verhandlung, zehn, zwanzig Jahre lang. Immer war es dasselbe Thema, die Zeiten sind hart, die öffentlichen Kassen sind leer. Hier ist sehr viel hausgemacht, und das kann nicht bei den Beschäftigten abgeladen werden. Wenn ich denke, dass man für die wirtschaftliche Entwicklung und für den Arbeitsmarkt sicherlich nicht rechtzeitig durch diese Regierung etwas getan hat, dass Herr Eichel als Finanzminister eine Steuerreform präsentiert hat, die zur Folge hatte, dass die Großunternehmen, dass die Körperschaften keine Körperschaftssteuer mehr in die Landeskassen bezahlen, im Gegenteil, sogar nach dieser Steuerreform die Möglichkeit besteht, Steuererstattungen in Milliardenhöhe vom Staate zu verlangen, was dann auch in diesem Jahr sich natürlich zusätzlich negativ in den öffentlichen Haushalten niederschlägt...

    Müller: Um Sie hier zu unterbrechen, Sie bestreiten ja nicht, dass die Kassen leer sind. Welche Handlungsoptionen hat der Staat denn, den Beamten mehr Geld zu geben, wenn er kein Geld hat?

    Geyer: Also er muss den Beamten, den Angestellten und Arbeitern des Öffentlichen Dienstes wie auch den Versorgungsempfängern das geben, was auch den Leuten zusteht, und es steht sicherlich ihnen zu, an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilzuhaben. Einem Betrieb, der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten ist, wird es nicht anders gehen. Insofern ist das eine Frage, die der Staat, die Regierung bei sich lösen muss. Aber es kann nicht sein, dass alles, was ein Fehlverhalten möglicherweise vom Regierungshandeln angeht, bei den Beschäftigten nachher auf dem Rücken abgeladen wird.

    Müller: Wo ist der solidarische Beitrag der Beamten, wenn es darum geht, dies alles in den ökonomischen Kontext zu stellen und festzustellen, dass die Beamten nun immerhin Arbeitsplatzsicherheit haben, was in diesen Zeiten wichtiger ist als alles andere?

    Geyer: Mit Sicherheit ist das ein Thema, Arbeitsplatzsicherheit. Diese Sicherheit gibt es aber auch in weiten anderen Bereichen unserer Wirtschaft. Das ist nicht nur ein Synonym Öffentlicher Dienst. Aber was ist an Solidarbeitrag geleistet worden? Da muss ich wirklich auf das hinweisen, was an gesetzgeberischen Maßnahmen noch aus der Regierungszeit Kohl mit Innenminister Kanther bei dem Öffentlichen Dienst gelandet ist. Wenn ich sehe, dass wir ein Versorgungsreformgesetz, was ja nochmals verschärft worden ist durch Innenminister Schily, durch diese Regierung, was wir hier an Einbußen und Abstrichen haben hinnehmen müssen, dass die Beamtenbesoldungsanpassung wie auch die Versorgung in den letzten Jahren immer zeitversetzt erst angepasst wurde, dass zum Beispiel es Jahre mit Nullrunde gegeben hat. Also hier haben wir ein Bereich Öffentlicher Dienst, der schon ganz erhebliche Vorleistungen gebracht hat.

    Müller: Der Innenminister Otto Schily wird ja noch einmal mit dieser Forderung, Nullrunde, in diese Verhandlungen reingehen. Was werden Sie ihm antworten?

    Geyer: Das ist das typische Ritual, dass die Arbeitgeber in die erste Verhandlungsrunde ohne Angebot hineinkommen, manchmal auch in der zweiten Verhandlungsrunde. Ich halte dies mittlerweile nicht mehr für erträglich. Wenn auf der anderen Seite die Gewerkschaftsforderung wirklich eine moderate ist, dann muss die Arbeitgeberseite auch zeigen, was sie zu leisten bereit ist, und ich erwarte, dass mindestens in der zweiten Verhandlungsrunde, die Mitte Dezember stattfindet, dann auch ein verhandelbares Angebot auf den Tisch gelegt wird.

    Müller: Wie können und sollen die Beamten sich wehren beziehungsweise Widerstand leisten, wenn es zu keiner Einigung kommen sollte?

    Geyer: Wenn wir vom Verhandeln reden, meine ich natürlich, dass wir als eine tariffähige Gewerkschaft für Angestellte und Arbeiter des Öffentliches Dienstes verhandeln. Die Beamten- und Versorgungsempfängeranpassung geschieht per Gesetz, da ist der Gesetzgeber zuständig. Da wird man erst die Tarifrunde abzuwarten haben. Insofern ist unsere Forderung gleichlautend für alle Statusgruppen. Aber dann wird man auch über die Anpassung von Besoldung und Versorgung zu reden haben.

    Müller: Ein anderes Thema, was derzeit heftig diskutiert wird, unter anderem in der letzten Woche im Bundesrat – es ist verschoben worden –, ist das Stichwort Öffnungsklausel, sprich Beamte sollen aufgrund unterschiedlicher finanzieller Ausstattung, finanzieller Situation in den unterschiedlichen Kommunen unterschiedlich bezahlt werden. Warum kommen Sie dort den notleidenden Kommunen nicht entgegen?

    Geyer: Wir lehnen dies aus dem Grunde ab, dass eine Öffnungsklausel, wenn sie eingeführt würde, zu einer Abschmelzung der Besoldung bis zu 10 Prozent führen würde, dass die Sonderzuwendungen, das sogenannte Weihnachts- und Urlaubsgeld, zur Disposition gestellt werden. Hier handelt es sich um eine Verringerung der Besoldung der Einkommen also um bis zu 18 Prozent. Dies ist nicht hinnehmbar, und diesbezüglich, damit es auch in der Tat rechtlich untermauert wird, habe ich von Professor Wolf von der Uni München ein vorläufiges Gutachten, was auch zu der Erkenntnis führt, dass dies verfassungswidrig wäre.

    Müller: Haben Sie sich dennoch intern Gedanken darüber gemacht, wo man finanzielle Zugeständnisse machen könnte?

    Geyer: Was die Öffnungsklausel angeht, können wir nicht Abschmelzung der Einkommen akzeptieren, und Entgegenkommen heißt, dass man – und hier kommt es ja von Berlin mit der besonderen Situation und teilweise finanziellen Notlage – über andere Möglichkeiten sprechen und verhandeln muss. Dies geschieht zur Zeit mit meinen Kollegen aus dem Berliner Beamtenbund, mit dem Senat, aber das ist nicht die Lösung, dann eine Abschmelzung durch eine Öffnungsklausel vorzunehmen.

    Müller: Ich muss da nochmals nachhaken. Wenn Sie mich jetzt als neutralen Bürger betrachten, man erfährt, dass eine Stadt, eine Kommune zahlungsunfähig ist, beispielsweise Berlin, und dort sagt man, wir müssen weniger bezahlen, um diese problematische Situation zu umschiffen, zu umfahren. Wie kann man sich dann, rational gesehen, dagegen sperren?

    Geyer: Also Berlin leidet zum einen natürlich auch an der Steuerreformfolge durch Herrn Eichel, und das haben nicht die Beschäftigten zu verantworten. Berlin hat einen großen Anteil von sehr werthaltigem Grundbesitz. Ich bin nicht jemand, der sagt, Tafelsilber verscheuern, aber wenn ich in einer solchen Situation bin, die mir gar keine andere Möglichkeit mehr lässt, dann muss ich auch die Sanierung meines Haushaltes über sehr unkonventionelle Maßnahmen mal in Angriff nehmen.

    Müller: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio