Michael Köhler: Zweimal im Jahr finden die Treffen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung statt - das Frühjahrstreffen meist im Ausland. Dass die ehrenwerte Akademie, die auch den Büchner-Preis vergibt, aber kein Touristikclub ist, sondern sich literatur- und kulturpolitisch stärker einmischen will, sichtbarer sein will.
- Das kommt jetzt im Gespräch mit dem Akademiepräsidenten Heinrich Detering zum Ausdruck, den ich gefragt habe, wie er denn nach Tartu in Estland gekommen ist und was er da macht?
Heinrich Detering: Mit dieser Frage habe ich meine Eröffnungsansprache begonnen und meine Gegenfrage gestellt: Warum kommen wir erst jetzt? Die Deutsche Akademie hat sich seit Jahren schon, seit meinem Vorgänger, intensiv um Kontakte zu den Staaten dessen, was wir früher mal den Ostblock nannten, bemüht und um die Begegnung mit den deutschen und anderen Traditionen, Sprachen, Kulturen in der Ukraine, in Ungarn sehr intensiv und in anderen Ländern, auch in Nordeuropa. Und wir haben gerade in den vergangenen anderthalb Jahren uns darum bemüht, unsere Freunde in Ungarn zu unterstützen, die unter sehr schwierigen Bedingungen leben und arbeiten.
Wir haben es im Baltikum, vor allen Dingen in Estland, mit einer Region zu tun, die einerseits eine sehr intensive, sehr ambivalente, tief zerklüftete Geschichte mit Deutschland hat, mit Jahrhunderten deutscher Vorherrschaft, aber auch glanzvoller deutsch-baltischer kultureller Leistungen. Und die andererseits ein Vorbild dafür gibt, wie in der postsowjetischen Zeit unterschiedliche Sprachen und Kulturen miteinander leben können. Die Universitätsstadt Tartu ist seit Jahrhunderten, seit ihrer Gründung durch den schwedischen König und ihrer Neugründung im 19. Jahrhundert, ein intellektuelles Zentrum des Baltikum. Und deshalb war das für uns ein idealer Ort, an den wir eigentlich längst schon hätten reisen müssen.
Köhler: Jetzt haben Sie mir natürlich den Wind aus den Segeln genommen, weil ich Ihnen vorwerfen wollte, damit ein bisschen Salz in die Suppe unseres Gesprächs kommt, ob Sie zu nordlastig sind. Aber mit Ihren vielen Beispielen des Ostblocks haben Sie eigentlich begründet, dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung da sehr paneuropäisch aufgestellt ist. Ein fester Punkt sind Begegnungen der wichtigsten Stimmen der Gegenwartsliteratur, der deutschen und auch des Gastlandes. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube und bin ehrlich: Mir fällt kein Schriftsteller ein. Wer ist wem begegnet in Tartu?
Detering: Darf ich vielleicht einen kleinen Augenblick zu einer Frage ausholen, die Sie gerade überspielt haben in der Einleitung Ihrer Frage. Wir sind in der Tat sehr intensiv darum bemüht, mit unterschiedlichen Nachbarländern den Kontakt neu aufzunehmen und auch, wo es notwendig scheint, kulturpolitisch zu aktualisieren. Das bringt mit sich die Notwendigkeit, über die beiden großen Tagungen, die uns im Jahr zur Verfügung stehen, hinaus auch Zwischenformen zu finden, beispielsweise eine Tagung außerhalb unseres Tagungsrhythmus, die wir im vergangenen Herbst in Budapest gehabt haben mit führenden Schriftstellern Ungarns und des deutschen Sprachraums. Und wir werden das auch außerhalb des Tagungsrhythmus noch in diesem Herbst fortsetzen in Bukarest und in Czernowitz. Also man sieht zu eng, wenn man nur auf die großen Tagungen blickt. Das ist wichtig zu erwähnen, finde ich.
Hier ging es darum, tatsächlich ein Land kennenzulernen, das von uns sehr viel weiß, in dessen Sprache sehr viele deutsche Werke übersetzt sind, in dem beispielsweise unser Mitglied Daniel Kehlmann feste Schullektüre für Abiturienten geworden ist. Von dem wir aber allesamt sehr wenig wissen, dessen Schriftsteller - und zwar gegenwärtige wie literarische Traditionen - wir überhaupt erst kennenlernen mussten und wollten. Wir sind in der Tat solchen Schriftstellern begegnet, deren Namen Ihnen nicht viel sagen werden, aber jetzt unseren Mitgliedern sehr viel mehr sagen. Wir haben mit Jan Kaplinski einen Lyriker gehört, der wiederholt für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen worden ist, mit Doris Kareva eine Dichterin, die in der Emanzipation Estlands von der sowjetischen Vorherrschaft eine bewundernswerte Rolle gespielt hat, auch im Hinblick auf Bürgerrechtsfragen. Wir haben eine ganze Reihe Vorträge gehört über die Tradition und die schwierigen Beziehungen zwischen dem, was man so deutsch-baltische Literatur nannte, und den Authochtonen estnischer Traditionen. Wir haben zum Schluss noch gehört über russische Dichter, Joseph Brodsky zum Beispiel, für die dieses Estland und vor allem diese Universitätsstadt Tartu ein Zufluchtsort gewesen ist vor geistiger Bedrückung in Moskau und dem damaligen Leningrad.
Köhler: Ich frage in einer Schlussrunde mal den Göttinger Germanisten. Kurische Nehrung und Thomas Mann – und damit spreche ich auch den Thomas-Mann-Forscher in Ihnen an -, das ist einem so ein bisschen bekannt. Sie haben gerade gesagt, wir wissen zu wenig über Estland. Gibt es da auch so einen ganz privaten Zugang? Ich habe den Verdacht, dass Ihre Heimatuniversität Göttingen und Tartu da in einem regen Austausch sind. Ist das richtig?
Detering: Tatsächlich besteht im Augenblick zwischen den Universitäten Göttingen und Tartu die meines Wissens einzige – das ist ein offizieller Name – germanistische Institutspartnerschaft in Europa, die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst gefördert wird, seit vielen Jahren schon und mit ganz wunderbaren Erfolgen. Deshalb gehörte zu unserem Programm auch eine Diskussion mit estnischen und deutschen Studierenden, die an diesen und übrigens auch anderen deutschen Universitäten diesen Austausch konkret möglich machen. Und die sehr offenherzig mit uns über ihre Erfahrungen diskutiert haben, übrigens anschließend darauf verzichtet haben, an unserer weiteren Veranstaltung teilzunehmen, weil sie froh waren, sich wiederzusehen und zusammen feiern wollten. Das gibt einen Eindruck davon, dass wir hier nicht nur von Vergangenheit, von großer und problematischer Vergangenheit gesprochen haben, sondern auch einen Blick in die Zukunft versucht haben.
Köhler: ..., sagt Heinrich Detering, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, vom Frühjahrstreffen in Tartu (Estland).
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
- Das kommt jetzt im Gespräch mit dem Akademiepräsidenten Heinrich Detering zum Ausdruck, den ich gefragt habe, wie er denn nach Tartu in Estland gekommen ist und was er da macht?
Heinrich Detering: Mit dieser Frage habe ich meine Eröffnungsansprache begonnen und meine Gegenfrage gestellt: Warum kommen wir erst jetzt? Die Deutsche Akademie hat sich seit Jahren schon, seit meinem Vorgänger, intensiv um Kontakte zu den Staaten dessen, was wir früher mal den Ostblock nannten, bemüht und um die Begegnung mit den deutschen und anderen Traditionen, Sprachen, Kulturen in der Ukraine, in Ungarn sehr intensiv und in anderen Ländern, auch in Nordeuropa. Und wir haben gerade in den vergangenen anderthalb Jahren uns darum bemüht, unsere Freunde in Ungarn zu unterstützen, die unter sehr schwierigen Bedingungen leben und arbeiten.
Wir haben es im Baltikum, vor allen Dingen in Estland, mit einer Region zu tun, die einerseits eine sehr intensive, sehr ambivalente, tief zerklüftete Geschichte mit Deutschland hat, mit Jahrhunderten deutscher Vorherrschaft, aber auch glanzvoller deutsch-baltischer kultureller Leistungen. Und die andererseits ein Vorbild dafür gibt, wie in der postsowjetischen Zeit unterschiedliche Sprachen und Kulturen miteinander leben können. Die Universitätsstadt Tartu ist seit Jahrhunderten, seit ihrer Gründung durch den schwedischen König und ihrer Neugründung im 19. Jahrhundert, ein intellektuelles Zentrum des Baltikum. Und deshalb war das für uns ein idealer Ort, an den wir eigentlich längst schon hätten reisen müssen.
Köhler: Jetzt haben Sie mir natürlich den Wind aus den Segeln genommen, weil ich Ihnen vorwerfen wollte, damit ein bisschen Salz in die Suppe unseres Gesprächs kommt, ob Sie zu nordlastig sind. Aber mit Ihren vielen Beispielen des Ostblocks haben Sie eigentlich begründet, dass die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung da sehr paneuropäisch aufgestellt ist. Ein fester Punkt sind Begegnungen der wichtigsten Stimmen der Gegenwartsliteratur, der deutschen und auch des Gastlandes. Ich mache aus meinem Herzen keine Mördergrube und bin ehrlich: Mir fällt kein Schriftsteller ein. Wer ist wem begegnet in Tartu?
Detering: Darf ich vielleicht einen kleinen Augenblick zu einer Frage ausholen, die Sie gerade überspielt haben in der Einleitung Ihrer Frage. Wir sind in der Tat sehr intensiv darum bemüht, mit unterschiedlichen Nachbarländern den Kontakt neu aufzunehmen und auch, wo es notwendig scheint, kulturpolitisch zu aktualisieren. Das bringt mit sich die Notwendigkeit, über die beiden großen Tagungen, die uns im Jahr zur Verfügung stehen, hinaus auch Zwischenformen zu finden, beispielsweise eine Tagung außerhalb unseres Tagungsrhythmus, die wir im vergangenen Herbst in Budapest gehabt haben mit führenden Schriftstellern Ungarns und des deutschen Sprachraums. Und wir werden das auch außerhalb des Tagungsrhythmus noch in diesem Herbst fortsetzen in Bukarest und in Czernowitz. Also man sieht zu eng, wenn man nur auf die großen Tagungen blickt. Das ist wichtig zu erwähnen, finde ich.
Hier ging es darum, tatsächlich ein Land kennenzulernen, das von uns sehr viel weiß, in dessen Sprache sehr viele deutsche Werke übersetzt sind, in dem beispielsweise unser Mitglied Daniel Kehlmann feste Schullektüre für Abiturienten geworden ist. Von dem wir aber allesamt sehr wenig wissen, dessen Schriftsteller - und zwar gegenwärtige wie literarische Traditionen - wir überhaupt erst kennenlernen mussten und wollten. Wir sind in der Tat solchen Schriftstellern begegnet, deren Namen Ihnen nicht viel sagen werden, aber jetzt unseren Mitgliedern sehr viel mehr sagen. Wir haben mit Jan Kaplinski einen Lyriker gehört, der wiederholt für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen worden ist, mit Doris Kareva eine Dichterin, die in der Emanzipation Estlands von der sowjetischen Vorherrschaft eine bewundernswerte Rolle gespielt hat, auch im Hinblick auf Bürgerrechtsfragen. Wir haben eine ganze Reihe Vorträge gehört über die Tradition und die schwierigen Beziehungen zwischen dem, was man so deutsch-baltische Literatur nannte, und den Authochtonen estnischer Traditionen. Wir haben zum Schluss noch gehört über russische Dichter, Joseph Brodsky zum Beispiel, für die dieses Estland und vor allem diese Universitätsstadt Tartu ein Zufluchtsort gewesen ist vor geistiger Bedrückung in Moskau und dem damaligen Leningrad.
Köhler: Ich frage in einer Schlussrunde mal den Göttinger Germanisten. Kurische Nehrung und Thomas Mann – und damit spreche ich auch den Thomas-Mann-Forscher in Ihnen an -, das ist einem so ein bisschen bekannt. Sie haben gerade gesagt, wir wissen zu wenig über Estland. Gibt es da auch so einen ganz privaten Zugang? Ich habe den Verdacht, dass Ihre Heimatuniversität Göttingen und Tartu da in einem regen Austausch sind. Ist das richtig?
Detering: Tatsächlich besteht im Augenblick zwischen den Universitäten Göttingen und Tartu die meines Wissens einzige – das ist ein offizieller Name – germanistische Institutspartnerschaft in Europa, die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst gefördert wird, seit vielen Jahren schon und mit ganz wunderbaren Erfolgen. Deshalb gehörte zu unserem Programm auch eine Diskussion mit estnischen und deutschen Studierenden, die an diesen und übrigens auch anderen deutschen Universitäten diesen Austausch konkret möglich machen. Und die sehr offenherzig mit uns über ihre Erfahrungen diskutiert haben, übrigens anschließend darauf verzichtet haben, an unserer weiteren Veranstaltung teilzunehmen, weil sie froh waren, sich wiederzusehen und zusammen feiern wollten. Das gibt einen Eindruck davon, dass wir hier nicht nur von Vergangenheit, von großer und problematischer Vergangenheit gesprochen haben, sondern auch einen Blick in die Zukunft versucht haben.
Köhler: ..., sagt Heinrich Detering, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, vom Frühjahrstreffen in Tartu (Estland).
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.