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Taufe von "Poseidon"
Debatte um Kirchen-Schiff zur Flüchtlingsrettung

Ein früheres Forschungsschiff zur Flüchtlingsrettung im Mittelmeer - die Idee hat der Evangelischen Kirche in Deutschland Zuspruch aber auch Morddrohungen eingebracht. Nun wird das alte Forschungsschiff "Poseidon" in Kiel neu getauft und darüber diskutiert, wie (un-)politisch Kirche sein darf.

Von Johannes Kulms | 20.02.2020
Die Evangelische Kirche in Deutschland EKD hat mit dem Buendnis United4Rescue im Dezember 2019 in der Flussschifferkirche in Hamburg eine Spendensammlung für ein Seenotrettungsschiff gestartet. Zu sehen sind Joachim Lenz, Sprecher United4Rescue, Katharina Fegebank, zweite Buergermeisterin von Hamburg, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD, Leoluca Orlando, Buergermeister von Palermo, Michael Schwickart, Gemeinsam Retten e.V. (v.l.)
Im Dezember 2019 startete die Evangelische Kirche in Deutschland EKD hat mit dem Buendnis United4Rescue in der Flussschifferkirche in Hamburg eine Spendensammlung für ein Seenotrettungsschiff (imago images / epd / Philipp Reiss)
Von der Dankeskirche im Kieler Stadtteil Holtenau sind es nur wenige Schritte zum Ostseeufer. Die Gemeinde ist maritim geprägt, in Holtenau leben viele aktive und ehemalige Kapitäne und Lotsen. Unter der Kirchendecke schweben Steuerräder und Modelle von Segelschiffen. An diesem Sonntagmorgen hat Pastor Jens Voß zum Familiengottesdienst eingeladen
"Wir sind Kinder einer Welt – und träumen wie es uns gefällt" - den Auftakt machen die 20 Mädchen und Jungen vom Kinderchor. "Wir sind Kinder einer Welt – dieser einen Welt. In Kiel oder Afrika, überall sind Kinder da, ob weiß ob schwarz ob nah und fern – wir haben alle Kinder gern."
Bündnis United4Rescue hat das Schiff gekauft
Einen direkten Bogen von Kiel nach Afrika spannt auch das Schiff, das wenige Kilometer entfernt von hier an einem Kieler Hafenkai liegt.
Bis vor wenigen Monaten schipperte die "Poseidon" als Forschungsschiff über die Meere. Schon in wenigen Wochen soll es wieder aufgehen zu einer neuen Mission. Dann aber nicht mehr im Auftrag der Wissenschaft. Sondern zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer.
Ermöglicht hat das das Bündnis "United4Rescue". Dessen rund 300 Mitglieder – viele stammen aus dem kirchlichen Bereich – haben in den letzten Monaten Spenden gesammelt. Am Ende konnte sich das Bündnis bei der Auktion durchsetzen und das 60 Meter lange Schiff kaufen. Nun soll es der Rettungsorganisation Sea Watch zur Verfügung gestellt werden.
Pastor Jens Voß hat durch den Besuch des Radioreporters spontan entschieden, auf das kirchliche Flüchtlingsschiff in seinem Gottesdienst einzugehen.
"Das ist ein Zeichen von Menschlichkeit, das ist ein Zeichen von Solidarität in einer Zeit, in der man in Europa in erster Linie damit beschäftigt ist, sich nach außen abzuschotten."
"Wir können doch die Leute nicht ertrinken lassen"
Die Evangelische Kirche hat für ihre Aktion in den letzten Monaten viel Zustimmung erhalten. Doch es gab auch andere Reaktionen. EKD-Chef Heinrich Bedford-Strohm hat wegen des Engagements rund um das Schiff sogar Morddrohungen erhalten.
Frau Walek hat dafür nur wenig Verständnis. Die 88-Jährige Rentnerin aus Holtenau steht nach dem Ende des Gottesdienstes am Ausgang. Und meint, die Kirche hätte schon viel früher dieses Projekt vorantreiben sollen:
"Wir können doch die Leute nicht mehr ertrinken lassen, die nicht mehr in ihrem Land leben können…"
Traurig sei sie, dass sich die EU bei der Rettung der Flüchtlinge im Mittelmeer immer noch nicht einig sei. Sie selber könne nachvollziehen, was die Leute antreibt, sich auf die lange gefährliche Reise zu machen – denn im Zuge des Zweiten Weltkriegs ist auch sie zum Flüchtling geworden.
"Und damals habe ich den bösen Satz geprägt: 'Die Flüchtlinge sind das Vieh in den Ställen von den Einheimischen.' So kam mir das manchmal vor, wir wurden dann irgendwo hingeschoben…"
Mancher meint: Kirche sollte frei von Politik sein
Neben der Seniorin taucht jetzt Helena auf. Die Neunjährige hat eben im Kirchenchor mitgesungen.
"Also, wir finden es gut, dass die Kirche dieses Schiff kauft. Weil wir sind auch sehr viel für Menschenrechte und spenden auch sehr viel für Hilfsorganisationen."
Doch in der Holtenauer Dankeskirche gibt es auch andere Stimmen.
Der 34-jährige Gottesdienstbesucher, der seinen Namen lieber nicht im Radio hören will, findet das Projekt grundsätzlich erst mal gut. Wenn schon die Politik versage, müsse ja irgendwer vorangehen bei der Seenotrettung. Andererseits wünscht er sich eine Kirche, die sich mehr vor Ort engagiert. Und die neutral bleibt.
"Kirche sollte neutral und eigentlich frei von Politik sein. Weil die Kirche ist ja für jeden da. Und egal, welcher Politik man angehört."
Pfarrer: "Man kann nicht unpolitisch sein!"
Ein paar Meter weiter steht Martin Schmeling. Er trinkt nach dem Gottesdienst noch einen Kaffee. Ein einzelnes Schiff im Mittelmeer sei leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein, findet Schmeling. Viel wichtiger sei es, die Probleme der Menschen vor Ort in Afrika zu lösen. Und ihnen von Europa aus keine falschen Hoffnungen auf ein Leben in Wohlstand zu machen.
"Ob es gut ist, die Leute hierherzulocken und zu sagen, kommt doch einfach her, hier ist es viel besser. Das ist eine Art auch von Arroganz, den Menschen das vorzugaukeln. Denn auch wir haben unsere Probleme hier, und die Menschen werden hier früher oder später mit diesen Problemen konfrontiert sein."
Pastor Jens Voß macht sich keine Illusionen darüber, dass bestimmte Menschen mit dem Einsatz der Kirche für die Rettung von Flüchtlingen ein Problem haben. Und doch findet er das politische Statement sehr wichtig. Denn die Kirche könne eben politisch nicht neutral sein.
"Ich halte das für einen ganz großen Irrtum. Gerade in diesen Tagen, wo wir das Ende des Zweiten Weltkriegs bedacht haben. Gerade wenn wir sehen, wie Kirche in der DDR eindeutig Position bezogen hat in einer Zeit, wo andere auch einfach den Mund gehalten haben – man kann nicht unpolitisch sein! Auch derjenige, der den Mund hält, ist politisch in einer bestimmten Richtung. Und es ist an uns als Kirche, eindeutige Position zu beziehen für Frieden, für Gerechtigkeit und dafür, dass alle Menschen auf der Welt das bekommen, was sie zum Leben brauchen."