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Technologie
Auf der Suche nach ethischen Antworten

Assistive Techniken wie Serviceroboter oder sensorbasierte Überwachungssysteme sollen Hilfe- und Pflegebedürftige in ihrer häuslichen Umgebung unterstützen und das Personal in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen entlasten. Angesichts der zu erwartenden Zunahme von alten und pflegebedürftigen Menschen können solche Systeme durchaus hilfreich sein.

Von Ingeborg Breuer | 26.02.2015
    Ein Serviceroboter wird am 3.6.2014 auf der Messe Automatica in München präsentiert.
    Ein Serviceroboter wird am 3.6.2014 auf der Messe Automatica in München präsentiert. (picture-alliance / dpa / Peter Kneffel)
    "Die Roboterrobbe Paro sieht aus wie eine kuschlige weiße Robbe, ist etwa 2,7 kg schwer, 57 cm lang, ausgestattet mit einem weißen kuscheligen Fell, das antibakteriell ist. Die Robbe hat etliche Berührungssensoren, die erkennen, wie man sie berührt. Also, ob man sie streichelt oder schlägt und entsprechend verhält sie sich. 2002 hat Guiness Buch den Paro als die therapeutischste Robbe der Welt ausgezeichnet. Sie wird in vielen Anwendungsbereichen eingesetzt, zum Beispiel bei Menschen mit demenziellen Erkrankungen, bei Menschen mit verschiedensten Behinderungen, bei autistischen Kindern..."
    "Serviceroboter und Avatare" hieß die Tagung der Evangelischen Akademie zu Berlin, auf der Prof. Barbara Klein den Kuschelroboter "Paro" vorstellte. Ein niedlicher Roboter, der behaglich brummt, wenn er gekrault wird und protestiert, wenn man zu grob mit ihm umgeht. Er soll Demenzkranke emotional anregen, so die Professorin für Soziale Arbeit, die ein Forschungsprojekt zu emotionaler und sozialer Robotik durchführte.
    "Zum Beispiel hatte eine meiner Studierenden die Robbe bei einem Mann eingesetzt, der schon mehrere Wochen nicht mehr gesprochen hat. Und wie er die Robbe dann im Arm hatte, hat er angefangen, die Robbe zu streicheln und gesagt, 'mein Bübele, mein Bübele'. Und alle waren überrascht, dass so eine Interaktion noch möglich ist."
    An der Robbe scheiden sich die Geister. Sie ermöglicht den Zugang zu Menschen, die für ihre Außenwelt kaum noch erreichbar sind, sagen die einen. Das ist kein Ersatz für echte Zuwendung, meinen die anderen, denn nur unter Menschen könne sich ein Mensch geborgen fühlen. - Mit solchen Fragen war der Horizont der Berliner Tagung abgesteckt. Welche Rolle werden, welche Rolle dürfen sogenannte "altersgerechte Assistenzsysteme" in Zukunft in Medizin und Pflege spielen?
    "Es gibt den Bereich, der sich mit alltagspraktischen Dingen beschäftigt, also Sicherheit: Abschaltung von Geräten, abschaltbare Bügeleisen, der Herdabschaltung..."
    So Birgid Eberhardt von der 'Tellur Gesellschaft für Telekommunikation' über assistive Technologien, die heute schon in Gebrauch sind. Da gibt es GPS-Ortungssysteme in Einlegsohlen für weglaufgefährdete Demente; in der Wohnung installierte Sensoren, die registrieren, wenn eine Person nicht aufsteht oder nachts unruhig durch die Wohnung geistert. Beim Telemonitoring werden Patienten mit Geräten zur Messung ihrer Vitaldaten ausgestattet, damit sie aus der Ferne medizinisch überwacht werden können. Und dann gibt es auch noch Forschungen an sogenannten virtuellen Avataren. Computergesteuerte künstliche Personen erscheinen auf Bildschirmen, kommunizieren mit dem Betrachter und unterstützen ihn bei seinen Alltagsverrichtungen. Ebenso forscht man an sogenannten Telepräsenzrobotern, Maschinen auf Rädern mit Webcam und Mikrofon ausgestattet, die sich im Raum bewegen können.
    "Wenn wir uns die Übertragung im Bereich der Senioren vorstellen, dann sind da manchmal Kleinigkeiten, die nicht funktionieren. Also mal die Situation der Betroffenen einzunehmen, mal ... eine Hilfestellung zu geben, da auch mal zu sagen, ich werfe mal den Blick aus dem Fenster raus, ist da wirklich eine Geräuschquelle oder sagt sie nur, da steht jemand vor dem Fenster ..."
    Angesichts unserer alternden Gesellschaft und der wachsenden Zahl von pflegebedürftigen Personen, die sich zu Hause nur auf ein labiles Versorgungsnetzwerk stützen können, hält Birgid Eberhardt solche Systeme für durchaus hilfreich. Denn sie ermöglichen Hilfs- und Pflegebedürftigen länger selbstbestimmt im eigenen häuslichen Bereich zu leben.
    Neue Technik führt zu neuen ethischen Fragen
    "Gerade die Erkenntnis dessen, wie ist die häusliche Situation bei der Mutter, der Großmutter ohne einen Anruf, der nicht beantwortet wird, ... das Gefühl, es ist alles im grünen Bereich. Viele Menschen wollen ja präsent sein, sie wollen auch helfen, aber jeder muss auch mit seinen eigenen Möglichkeiten haushalten. Und ... Frauen geben heute ihren Beruf nicht mehr auf und es ist nicht so, dass sie nicht unterstützen wollen, sondern sie wollen punktgenau unterstützen, sie wollen auch in Ruhe arbeiten können ..."
    Doch neben solchen positiven Aspekten birgt die Technikverwendung in Medizin und Pflege auch ethische Fragen, die, so Dr. habil Arne Manzeschke, Theologe an der Universität München und Mitveranstalter der Tagung, bislang zu wenig bedacht werden.
    "Ich bin in dem Feld der technischen Assistenzsysteme schon länger unterwegs und hab beobachtet, dass in diesem Bereich sehr viele Projekte gefördert werden, die im Grunde technische Fragen sehr intensiv, ökonomische Fragen intensiv behandeln, aber wenig nachfragen, wie sieht es mit den ethischen und sozialen Aspekten aus, die mit solchen Dingen verbunden sind."
    Das grundlegende Unbehagen, das viele bei der Entwicklung solcher Assistenzsysteme äußern, gründet letztlich in der Frage, wie weit Technik das Leben bestimmen soll. Damit beschäftigte sich auch der Medizinhistoriker Prof. Heiner Fangerau in seinem Einführungsreferat. Auf Naturwissenschaft und Technik, so der Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Uni Köln, basiert das Erfolgsmodell der Moderne. Dies gilt auch für die Medizin, in der es seit dem 19. Jahrhundert durch die technischen Entwicklungen zu enormen Fortschritten in der Diagnose und Therapie vieler Krankheiten kam.
    "Technik ist riesig erfolgreich in der Erklärung von Krankheit, in der Erklärung von physiologischen Prozessen, aber auch in der Behandlung von Krankheiten. Und ethische Probleme, die zum Beispiel im Zusammenhang mit der Seele auftauchen, versucht man auch wieder einer Lösung zuzuführen mit einer neuen Technik."
    Angesichts des Erfolgs von Technik versucht man dann auch, auftretende ethische Probleme selbst wieder technisch zu lösen. Wenn es etwa ethisch problematisch ist, Embryonen zu nutzen, um Stammzellen herzustellen, ist die technische Lösung dieses Problems, Stammzellen ohne Embryonen zu gewinnen. Aber, so Heiner Fangerau:
    "Damit scheint dieses ethische Problem technisch gelöst. Und in der Debatte jetzt wird kaum darauf rekurriert, dass wenn man diese Stammzellen ernst nimmt, die ja auch wieder technisch in Embryonen überführt werden können und man damit wieder am Ausgangspunkt der Debatte stünde, darf man potenzielles menschlichen Leben verfügbar machen?"
    Anders gesagt: Oft geht man in der modernen Medizin 'zweckrational' vor, ohne danach zu fragen, welcher Wert möglicherweise durch dieses Vorgehen verletzt wird. Die Frage nach dem Wert gilt es aber auch bei den neuen assistiven Technologien zu berücksichtigen.
    "In Bezug auf Pflege muss man bei der Bewertung von Assistenzsystemen sehr genau beobachten, welchen Zweck sollen sie haben und ist dieser Zweck in irgendeiner Art und Weise mit einem Wert behaftet, den man durch die Einsetzung so eines Roboters infrage stellt."
    Neben der 'Zweckrationalität' gelte es also auch immer die "Wertrationalität" von technischen Neuerungen zu berücksichtigen, fordert der Medizinethiker an der Uni Köln.
    Dystopien einer Welt ohne menschliche Zuwendung
    "Es gibt den ganzen Bereich der Heimüberwachung. Der Zweck ist, einen demenzkranken Menschen zu schützen, dafür zu sorgen, dass jemand mit einer Demenz nicht wegläuft, nach einem Sturz eine Meldung erfolgt, dass dafür gesorgt wird, dass so ein Mensch genug trinkt. Wenn das Maschinen machen, 'ne Weglaufsperre, ein Armband, das die Türen steuert, eine Meldung des Teppichs, dann wird der Zweck des Schutzes optimal erfüllt. Aber den Wert einer Zuwendung erfährt dieser Mensch dadurch nicht. Es tritt eine permanente Kontrolle auf, die vielleicht einem Menschen und seinem Autonomiebedürfnis auch mit einer beginnenden Demenz zuwider läuft."
    Zwar ist es vorerst noch eine Vision - doch durch die smarte Vernetzung der Wohnungen, in denen Bewegungsbilder, Ess-, Trink- und Schlafgewohnheiten und möglicherweise auch noch Blutdruck, Herzfrequenz und Gewichtschwankungen der Bewohner weitergeleitet und ausgewertet werden, verliert der Nutzer solcher Dienste zunehmend die Kontrolle über seine Daten. In einer paradoxen Weise wäre dann der Verbleib in der häuslichen Umgebung – als Erhalt der Selbstbestimmung – zugleich durch Einbußen bei der Privatheit erkauft, was aber wiederum als Einschränkung der Selbstbestimmung zu verstehen ist.
    "Der Punkt ist, dass diese Assistenzsysteme ja zunehmend ambient erscheinen, eben nicht in Erscheinung treten, sondern im Hintergrund ihre Wirkung tun. .... Die werden in der Wohnung installiert. Die Wohnung gilt als ein sehr intimer und geschützter Raum, gleichzeitig werden aber durch die technischen Systeme Daten rein- und rausbefördert und die Geschlossenheit dieser Wohnung ständig perforiert. .... Das bedeutet aber, dass wir, die wir als Menschen viel Wert auf unsere Selbstbestimmung legen, durch diese technischen Geräte, die uns sanft umgeben und uns Empfehlungen geben, dass die uns zunehmend bestimmen. ... Die Frage ist, ob die Leute das so wollen und was das für die Gesellschaft als Ganze bedeutet, wenn wir diesen inneren Raum öffnen?"
    Kommt es am Ende zu einer Art biopolitischem Kontrollsystem, in dem den Menschen diktiert wird, wann und was sie zu essen haben und welche Medikamente sie zu nehmen haben? So wie es die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh in ihrem Roman "Corpus Delicti" entwirft: Sie malt dort eine Gesundheitsdiktatur aus, die für alle nur das Beste will und deshalb das Ernährungs-, Trink- und Bewegungsverhalten der Menschen reglementiert. Übernehmen in Zukunft Maschinen das, so der Leiter der Forschungsstelle für Ethik und Anthropologie an der Uni München Arne Manzeschke, was der Barmherzigkeit, der Fürsorge für den bedürftigen Menschen entsprang?
    "Wie ist es um den Anspruch auf Fürsorge, den Wunsch, dass andere Menschen für mich Sorge tragen, weil ich das allein nicht mehr kann, bestellt, wenn wir sagen, wir tun doch technisch für dich alles und mehr ist auch nicht drin, wo wir sowieso in allen Ecken gefordert und überfordert sind?"
    Was Arne Manzeschke hier ausmalt, sind Dystopien, negative Utopien einer Welt ohne Blickkontakt, ohne Berührung und menschliche Zuwendung. Heiner Fangerau, Medizinhistoriker:
    "Sie können das als Dystopie beschreiben, der Ort, den wir im Augenblick nicht haben, also der technisch dominierte Ort. Die andere Dystopie wäre das absolute Zurück zur Natur, was auch keiner wirklich wünscht. In der Realität widersetzen sich Menschen der einen oder anderen Technik oder sie nutzen Technik, aber nicht ausschließlich, sondern machen das, was sie traditionell gelernt haben, zum Beispiel miteinander reden. Die Absolutheit, die manchmal in der Debatte aufgemacht wird, die existiert nicht."
    Dass alte, bedürftige Menschen nicht nur Technik, sondern ebenso Zuwendung und Fürsorge bedürfen, dürfte breiter gesellschaftlicher Konsens sein. Allerdings ist Pflege teuer und Pflegepersonal erst recht. Wenn smarte Technologien die Kosten für die Versorgung älterer Menschen senken könnten, warnt Heiner Fangerau, ökonomische Interessen Vorrang vor ethischen Vorbehalten gewinnen.
    "Es kann durchaus sein, dass Marktinteressen und auch politische Interessen dazu führen, dass wir einer solchen Dystopie näher kommen. Sie haben die Debatte immer, wenn irgendwo Maschinen eingeführt werden - es besteht die Sorge, das Menschen überflüssig werden. Und da muss man tatsächlich aufpassen, dass Menschen nicht zu überflüssig werden. Und das wäre etwas, da hätte ich tatsächlich in der Medizin und in der Pflege ein ganz klein bisschen Sorge."
    Auch Arne Manzeschke hält assistive Technologien durchaus für eine Möglichkeit, die Selbstständigkeit und Lebensqualität für Menschen insbesondere in höherem Lebensalter zu verbessern. Gleichwohl sollte dabei immer klar sein, dass Technik Mitmenschlichkeit sowie die Fürsorge für den anderen nicht ersetzen kann. Damit dies mehr als ein moralischer Anspruch bleibt, gelte es, institutionelle Rahmenbedingungen zu schaffen, die solche Mitmenschlichkeit fördern.
    "Die anspruchsvolle Aufgabe, vor der wir heute stehen, ist, dass wir Technik so konzipieren, dass wir den Einzelnen als Person nicht aus dem Blick geraten lassen. Dass er nicht bei uns auftaucht als ein Datenbündel, aus dem wir diese und jene Sachen ablesen können. Sondern das wir Strukturen schaffen, in denen wir immer noch die Möglichkeit der mitmenschlichen und zwischenmenschlichen Begegnung erlauben. Wir haben momentan Strukturen, wo die Leute keine Zeit dazu haben. Wir versprechen uns momentan von der Technik, dass sie uns diese Zeit zurückgibt. Die Erfahrung der letzten Jahrhunderte hat gezeigt, dass da, wo Technik eingesetzt wird, ... wir noch eher in einen Wettlauf geraten. Deswegen meine ich, braucht es diese Reflexion auf Technik in der Art, wie gestalten wir sie, wie lernen wir, mit ihr so umzugehen, dass uns das eben nicht passiert."